Deutscher sein und zugleich Türke? Ja, das geht, sagt Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD). Mit einer Bundesratsinitiative verfolgt die Landesregierung das Ziel, Mehrstaatigkeit großzügig hinzunehmen. Das diene der Integration.

Stuttgart - Für etliche junge Baden-Württemberger ist das Jahr 2013 ein besonderes Jahr. Die ersten optionspflichtigen Migrantenkinder mit doppelter Staatsangehörigkeit voll-enden das 23. Lebensjahr – und verlieren nun womöglich ihren deutschen Pass, sofern sie nicht rechtzeitig die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern beantragt haben.

 

So will es das Anfang 2000 unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung wirksam gewordene Staatsangehörigkeitsrecht. Vorausgegangen war ein giftiger politischer Konflikt, der seinen Höhepunkt im hessischen Landtagswahlkampf 1999 fand, als der einstige CDU-Spitzenkandidat Roland Koch mit einer Unterschriftenaktion gegen die von Rot-Grün geplante großzügige Hinnahme von Doppelstaatsbürgerschaften einen überraschenden Wahlsieg erzielte. „Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?“ Diese an den Kampagneständen in brutaler Offenheit gestellte Frage hallt bis heute nach – und gilt inzwischen selbst in der Union als alarmierender Beleg dafür, welche rassistischen Reaktionen solch ein populistischer Feldzug heraufzubeschwören vermag.

Die 23 ist in Fragen der Staatsbürgerschaft maßgebend

Das Ergebnis dieses Großkonflikts war ein Kompromiss: das Optionsmodell, das den Kindern von Eltern mit ausländischem Pass durch die Geburt in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit gibt – unabhängig von der Herkunft der Eltern. Vorausgesetzt, ein Elternteil lebt bereits seit acht Jahren im Land und verfügt über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Ausländische Kinder, die in den Jahren 1990 bis 1999 in Deutschland geboren worden waren, konnten auf Antrag ebenfalls die Doppelstaatsbürgerschaft erhalten. Mit 18 Jahren müssen sich all diese junge Menschen überlegen, was sie tun: Wollen sie Deutsche bleiben, dann müssen sie die zweite Staatsbürgerschaft bis zur Vollendung des 23. Lebensjahrs zurückgeben, ansonsten verlieren sie ihren deutschen Pass.

Hauptherkunftsländer der Eltern sind die Türkei, die Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien, der Iran, Vietnam, Pakistan und Afghanistan. Der Optionspflicht unterliegen derzeit insgesamt etwa 440 000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. In diesem Jahr werden die ersten von ihnen 23 Jahre alt – bundesweit etwa 3300, davon 735 in Baden-Württemberg. Von den Letzteren haben sich bereits 566 für den deutschen Pass entschieden, zwölf optierten bis dato für die tradierte Staatsbürgerschaft, 27 erhielten eine Beibehaltungsgenehmigung, dürfen also beide Pässe behalten. Für die Kinder von EU-Ausländern ist das kein Problem, aber auch sie müssen den Doppelpassantrag stellen.

Viele Migrantenkinder fühlen sich als bikulturell

Das Optionsmodell hat das Staatsbürgerschaftsrecht zweifellos modernisiert – weg vom alten Abstammungsrecht, man darf auch sagen: Blutrecht, dem Ius Sanguinis, und hin zum Territorialprinzip, dem Ius Soli, nach dem der Staat die Staatsangehörigkeit allen Kindern gibt, die auf seinem Gebiet geboren wurden. Ein Fortschritt also, der dennoch in der Migrantencommunity zunehmend als unzureichend kritisiert wird. Viele fühlen sich der Kultur ihrer Eltern verbunden, nicht wenige haben auch beruflich mit deren Herkunftsländern zu tun. Ihre Lebenswirklichkeit und ihre Heimat aber liegen in Deutschland. Sie empfinden sich als bikulturell, was durchaus auch in zwei Pässen zum Ausdruck kommen dürfe. Was soll daran schlecht sein in einer globalisierten Welt?

Die baden-württembergische Landesregierung will deshalb im Bundesrat einen neuen Anlauf nehmen, um die Optionspflicht abzuschaffen. 2011 war sie damit gescheitert, nun legt die Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) einen erweiterten Entwurf vor, der auf die generelle Hinnahme auch von Mehrstaatigkeit abzielt. Am Dienstag will das Kabinett die Bundesratsinitiative beschließen. „Ich bin sicher, dass sich mehr Menschen einbürgern lassen, wenn sie ihren anderen Pass nicht abgeben müssen“, sagt die Ministerin, die übrigens nur einen Pass, den deutschen, besitzt. Dass etwa der frühere niedersächsische Ministerpräsident David McAllister auch britischer Staatsbürger ist, hat in der CDU nie die Frage nach dessen Loyalität zum deutschen Staat evoziert.

„Eingebürgerte können bessere Integrationserfolge vorweisen“

Öney verspricht sich vom Verzicht auf die Optionspflicht wesentliche Integrationsimpulse: „Alle Studien belegen, dass Eingebürgerte bessere Integrationserfolge vorweisen als nicht Eingebürgerte.“ So heißt es in einer Untersuchung des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts zur Einbürgerung und Integration in der Schweiz: „Eingebürgerte Zuwanderer sind – begünstigt durch ihre hohe Bildung und ihre Arbeitsmarkterfahrung – im Durchschnitt erfolgreicher am Arbeitsmarkt als Ausländer. Sie sind weniger von Arbeitslosigkeit betroffen, und sie verdienen besser.“

Zudem stellt Öney die Gerechtigkeitsfrage: Nicht nur EU-Bürgern, auch Brasilianern oder US-Amerikanern werde der deutsche Pass, Mehr-staatigkeit hin oder her, recht problemlos zuerkannt. „Nur bei einigen Migrantengruppen sagen wir: ‚Für dich gilt das nicht, du musst dich bekennen und entscheiden.‘ Das ist ungerecht.“ Dagegen hält der integrationspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Bernhard Lasotta, an der Optionspflicht fest. Bei den EU-Bürgern sei die Mehrstaatigkeit okay: „In allen anderen Fällen ist es aus integrationspolitischer Sicht notwendig, eine klare Entscheidung zu treffen.“

Vor der Wahl sind die meisten Parteien aufgeschlossen

Es mag kein Zufall sein, schließlich wird im September gewählt, dass auch die Fraktionen von SPD, Grünen und der Linken im Bundestag am 17. Mai aktiv werden, um den Optionszwang zu Fall zu bringen (Grüne), doppelte und mehrfache Staatsbürgerschaften zuzulassen (SPD) beziehungsweise generell das Ius Soli (Staatsbürgerschaft bei Geburt in Deutschland, sofern ein Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt hier hat) einzuführen.

Die CDU wird dabei nicht mitmachen, auf Seiten der FDP ist inzwischen zumindest Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu der Erkenntnis gekommen: „Wir sollten uns einer weiteren Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts nicht verschließen und die doppelte Staatsbürgerschaft auf eine rechtlich breitere Basis stellen.“