Das angedachte Mobilitätskonzept für das Wohnquartiert auf dem Postareal soll den ursprünglichen Stellplatzschlüssel von 1,5 auf 0,8 herunterschrauben. Den Gemeinderäten fehlen Entscheidungsgrundlagen.

Was in der Arbeitswelt mit dem sogenanntem „Desksharing“ längst Einzug gehalten hat – eine Arbeitsorganisation, bei der weniger Arbeitsplätze als Mitarbeiter existieren, die Mitarbeiter keinen festgelegten Arbeitsplatz haben und „ihren“ Platz täglich neu auswählen – wird künftig auch in der Stadtentwicklung ein großes Thema sein. Mit dem Ziel, vorhandenen Platz bestmöglich auszunutzen.

 

Zukunftsweisendes Bauen ist gefragt

Im Falle des Bauvorhabens auf dem ehemaligen Postareal in Leonberg, das in dieser Woche in den erlauchten Projekt-Kreis der Internationalen Bauausstellung Stadt Region Stuttgart IBA’27 aufgenommen wurde, heißt das in der Praxis, dass die Stadträte am Dienstag über die geplanten Änderungen des Stellplatzschlüssels abstimmen müssen.

Denn auch der Investor Strabag, der noch in diesem Jahr den städtebaulichen Vertrag mit der Stadt unterzeichnen möchte, konzentriert sich als Kooperationspartner der IBA auf zukunftsweisendes Bauen. „Das schließt ein innovatives Mobilitätskonzept mit ein“, sagte der Stuttgarter Strabag-Chef Axel Möhrle im Planungsausschuss.

Das Münchner Experten-Büro „Urban Standards“ hat ein Mobilitätskonzept erarbeitet und den Stellplatzschlüssel auf 0,8 für alle Wohnungen heruntergeschraubt. Für insgesamt 105 Wohnungen stünden dann anstatt ursprünglich vorgesehenen 136 Stellplätzen nur noch 84 zur Verfügung. Alternativ müsste eine entsprechende Zahl an Radstellplätzen vorgewiesen werden.

Der bisherige Stand: Wohnungen mit mehr als 65 Quadratmetern sollten 1,5 Parkplätze zugewiesen werden, kleineren Appartements nur eine Parkfläche. „Es geht nicht darum, das Auto zu killen, sondern wir wollen Alternativen schaffen, unter anderem mit Carsharing, öffentlichen Verkehrsmitteln oder Lastenfahrrädern.“, sagte Julius Streifeneder von „Urban Standards“.

Das zukünftige Modell, das Fuß- und Radverkehr stärken soll, basiere auf dem Prinzip eines dynamischen Parkraum- und Mobilitätsmanagements, das über eine zentrale Buchungs- und Abrechnungsplattform gesteuert werden soll. Die künftigen Bewohner und Beschäftigten des Postareals bekämen lediglich Nutzungsrechte in der Tiefgarage und keine fest zugewiesenen Parkplätze mehr. Das soll eine Doppel- und Mehrfachnutzung möglich machen, Leerstand vermeiden und die Auslastung erhöhen.

Die Tiefgarage soll an eine Betreibergesellschaft verpachtet werden, die sowohl das Parkraum- als auch das Mobilitätsmanagement übernehmen soll. Für Besucher und Kunden des Postareals stünden ausreichend Parkplätze für den normalen Wochenbetrieb zur Verfügung. Sind alle Parkplätze voll, sieht das System vor, die erhöhte Stellplatznachfrage gezielt auf das Umfeld zu verteilen – so werde auch die Auslastung des Parkhauses in der Altstadt verbessert, und es würden damit höhere Erlöse erzielt werden.

Eine Empfehlung an den Gemeinderat konnten die Mitglieder des Planungsausschusses nicht geben. „Wir brauchen eine Entscheidungsgrundlage, die ich noch nicht sehe“, sagte beispielsweise FDP-Fraktionschef Dieter Maurmaier. Ihm fehlten verlässliche Informationen und Zahlen. „Woher nehmen die Planer die Gewissheit, dass für 103 Wohnungen 84 Stellplätze reichen? Reichen die Plätze auch am Samstag zur Einkaufszeit aus? Wie ist der aktuelle Stand zum Hotel, Supermarkt und Einzelhandel?“, nannte der Verkehrsplaner für ihn einige offene Fragen. „Zudem halte ich die zwei Tage vor unserer Sitzung vorgenommene Unterzeichnung des IBA-Vertrags für einen Affront. Was kann ich denn heute entscheiden, gibt es noch Möglichkeiten für Ergänzungen oder Änderungen?“ Auch Willi Wendel (CDU) sieht noch großen Klärungsbedarf. „Wenn ich eine Wohnung kaufe, möchte ich doch auch einen Stellplatz dazu, über den Schlüssel sollten wir uns noch einmal unterhalten, zudem wissen wir noch gar nicht, welcher Handel ins Quartier kommt, es fehlen noch erhebliche Informationen.“

Der Parkverkehr wird nach außen verlagert

SPD-Fraktionsvorsitzender Ottmar Pfitzenmaier wandte sich mit Fragen an Axel Möhrle: „Glaubt Strabag daran, dass dieses Mobilitätskonzept nachfrageorientiert ist, und wird der Betreiber gewinnorientiert arbeiten und damit die Kosten nach oben treiben?“ Grünen-Stadträtin Gudrun Sach, die bekanntlich viel mit dem Fahrrad unterwegs ist, kann sich mit dem vorgestellten Mobilitätskonzept nicht anfreunden. „Verständlich, dass die Strabag die 5,2 Millionen teuren Ausschachtungen im harten Grund vermeiden und mit viel billigeren Fahrradstellplätzen davonkommen will. Einen Teil der Stellplätze will man einsparen, was nur eine Umverteilung des Parkverkehrs auf die umliegenden auch öffentlichen Plätze und Straßen bedeutet. Wer glaubt denn, dass jemand aufs Fahrrad umsteigt, weil er dafür einen Stellplatz findet?“

Bis Dienstag möchte Oberbürgermeister Martin Georg Cohn (SPD), der in dieser Sitzung sichtlich angespannt wirkte, von den Projektbeteiligten die geforderten Zahlen zur Berechnung des Stellplatzbedarfs nachgeliefert haben. „Das schaffen Sie“, meinte er lapidar auf den Einwand der Planer, das dies doch ein recht enger Zeitrahmen sei. Der Druck auf Cohn ist groß, schließlich steht die Unterschrift von Strabag noch aus.