Fast ein Viertel der Benninger Steillagen werden von Hobby-Wengertern bewirtschaftet. Beim Festle am Sonntag gab es Wein und Infos.

Der Blick ist atemberaubend – von oben nach unten. Und von unten nach oben sowieso: Steile Hänge mit sprießenden Reben. Ganz nah, förmlich greifbar liegen die Steillagen am Neckar direkt vor einem. Erst geht es fast sanft bergan und dann immer steiler hoch in die Terrassen, teils aus uralten Steinen. Eine Kulturlandschaft, die Jahrhunderte auf dem Buckel hat und Heimat für Eidechsen und allerlei anderes Getier ist – und die ganz nebenbei das hervorbringt, was der Schwabe liebt: Trollinger und viele andere Rebsorten, die auf den sonnenverwöhnten Hängen ein ganz besonders gutes Aroma entfalten.

 

Eine Kulturlandschaft, die ebenso atemberaubend schön ist, wie sie im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend anstrengend zu bewirtschaften ist. Die genau aus diesem Grund vom Verfall bedroht ist, weil sich immer weniger diese enorme Mühe machen können oder wollen. Weil es sich schlichtweg nicht rechnet. Und dennoch sieht es am Neckar in Benningen an vielen Stellen so aus, als wäre die Welt noch in Ordnung. Und das ist sie auch. Denn hier arbeiten neben denen, die es schon immer tun, vermehrt Hobby-Weingärtner. Der Initiative „Wengerter auf Probe“ um Martin Heim und Werner Widmaier ist es in den vergangenen dreieinhalb Jahren gelungen, mehr als 40 Hobby-Winzer zu akquirieren und auszubilden, die sich um die Stückle derjenigen kümmern, die es beispielsweise altershalber nicht mehr können. Denn wird ein Wengert aufgegeben, verbuscht er und die Trockenmauern beginnen langsam zu bröckeln, die Kulturlandschaft verschwindet und Hänge können abrutschen.

„Es wäre einfach schade um dieses jahrhundertealte Kulturgut“

Was die Initiative bisher geschafft hat, kann sich durchaus sehen lassen: Knapp ein Viertel der Benninger Steillagen wird von den „Wengertern auf Probe“ bewirtschaftet und wurde somit gerettet. Michael Aurich aus Kornwestheim ist einer von ihnen. Er ist im zweiten Jahr bei dem Projekt dabei. Als er in Rente ging, hat er hier eine neue Aufgabe gefunden. „Es wäre einfach schade um dieses jahrhundertealte Kulturgut“, sagt er. Auch, wenn es „ein Haufen Arbeit“ ist. Aber eine Arbeit, die ihm Freude macht und ihn erfüllt. 200 Stöckle auf etwas mehr als vier Ar bewirtschaftet Michael Aurich seitdem mit Unterstützung seiner Frau.

Vor allem Trollinger wächst in seinem Weinberg. Michael Aurich hat ihn zu einem Trollinger Rosé ausgebaut und schenkt ihn mit Erzeugerstolz beim Weinfest der Hobby-Wengerter am Sonntag in Benningen aus. Ein kühler, frischer Tropfen, der ganz weich daherkommt und im Mund fast schon an Sherry erinnert. M1 hat er ihn getauft. M für seinen Vornamen Michael, eins für seinen allerersten Wein.

Der künftige M2 ist schon am Werden. Er wächst in Sichtweite in der Sonne vor sich hin. Auf der Wiese vor dem Wengert sind am Sonntag Bierbänke und Schirme aufgebaut. Neugierige und Durstige können hier den M1 verkosten und wer mag, bekommet die Infos zum Wein, zur Arbeit in den Steillagen und zum Benninger Projekt gratis mit dazu. So wie bei all den anderen, die an diesem Tag bei „Benningen geht steil“ vorbeischauen. Über den ganzen Hügel verteilt, oben wie unten, haben die Hobby-Winzer und ihre Mentoren ihre Stückle zugängig gemacht oder eigene Stände aufgebaut.

Rehe knabbern lieber Gemüse als Wein

Wie Gerhard Bäuerle. Er gehört schon zu den alten Hasen im Wengert und hilft dabei, die Neuen anzuleiten. Sein Wengert ist ein Vorzeige-Stück: Nachdem er die Mauern erneuert hatte, gab es teilweise auch neue Reben. Er hat sich für Cabernet Dorsa entschieden, aus dem er mit Lemberger eine saftige Rotwein-Cuvée kreiert hat. Aber auch der Souvignier Gris ist neu. Eine pilzwiderstandsfähige Sorte (Piwi), mit der Bäuerle die 60 bis 80 Jahre alten Trollinger-Reben veredelt hat. Was den Vorteil hat, dass die alten Reben tief wurzeln und so auch in einem trockenen Sommer wie aktuell keinen Stress bekommen. Weiter unten im Wengert wachsen Nektarinen, Gurken, Paprika und Kakteenblüten. Ab und an verirren sich Rehe auf das Stückle und knabbern am Gemüse. Den Wein lassen sie in Ruhe.

Viele in der Branche sind sich einig: Die Steillagen am Neckar werden sich in den kommenden Jahren verändern. Ob die Jahrhunderte alte Kulturlandschaft zu retten ist? „Wer das in zehn bis 20 Jahren noch so sehen möchte, muss etwas tun“, sagt Hermann Morast, der Geschäftsführer des Weinbauverbands Württemberg. Heißt für den Weintrinker: Bereit zu sein, mehr für seinen guten Tropfen zu zahlen, der unter großer Mühe kultiviert und geerntet wurde.

Und es braucht weiter Engagierte wie die „Wengerter auf Probe“ in Benningen, die sich die „atemraubende“ Arbeit antun. Das Festle am Sonntag – so die frohe Kunde – hat einen weiteren Nachwuchs-Winzer überzeugt. Einen „Kulturlandschafts-Retter“, wie Martin Heim die Leute aus der Gruppe nennt.

Steillagen retten

Wengerter auf Probe Benningen
 Das Projekt in Benningen soll weiter wachsen, weil weitere Steillagenstücke Betreuung brauchen. Interessierte können sich telefonisch im Benninger Rathaus unter der Nummer 0 71 44 / 9 06 50 melden.

Heldenschmiede Ludwigsburg In Kooperation mit den Marbacher Weingärtnern sucht auch die Stadt Ludwigsburg Steillagenretter. Interessenten können sich unter Telefon 0 71 44 / 64 19 melden.

Wengerter für ein Jahr Rosswag Die Kellerei Rosswag gehörte zu den Pionieren und bietet die Ausbildung im Projektweinberg seit mehr als zehn Jahren an. Infos unter www.lembergerland.de.