In einigen Apotheken im Kreis sind die mutmaßlichen Strahlenabsorbierer ausverkauft. Experten warnen dringend vor einer unkontrollierten Einnahme.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Die Sorge um eine nukleare Eskalation im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg treibt offenkundig auch viele Menschen im Rems-Murr-Kreis um. In einigen Apotheken hat die Angst, im Katastrophenfall könnten mutmaßlich strahlenabsorbierende Jodtabletten nicht mehr verfügbar sein, bereits zu einem Ausverkauf einschlägiger Medikamente geführt.

 

Landesweit 35 Millionen Jodtabletten verteilt

Zumindest diese Sorge kann der Waiblinger Landrat Richard Sigel den Bürgern nehmen: Der Rems-Murr-Kreis und seine Kommunen hielten ausreichende Vorräte an jenen Tabletten vor, die verhindern sollen, dass radioaktives Jod im Körper gespeichert wird, versichert Sigel. Die Kaliumjodpräparate seien bereits im vergangenen Jahr an Städte und Gemeinden verteilt worden – landesweit 35 Millionen Tabletten – und könnten im Bedarfsfall an festgelegten Ausgabestellen in den Kommunen an die Bevölkerung verteilt werden.

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Selbst wenn es zu einem atomaren Vorfall kommen sollte, sei „aufgrund der Entfernung zur Ukraine eher nicht damit zu rechnen, dass bei uns eine Einnahme von Jodtabletten erforderlich ist“, betont der Leiter des Brand- und Katastrophenschutzes im Landratsamt, René Wauro. Von einer selbstständigen Einnahme der Tabletten rät der Kreisbrandmeister nicht nur deshalb dringend ab, eine solche berge auch „erhebliche gesundheitliche Risiken“.

Auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) warnt vor einer Selbstmedikation mit hochdosierten Jodtabletten: insbesondere für ältere Personen könne die Einnahme gefährlich sein und habe „aktuell aber keinen Nutzen“.

Radiologische Messwerte im normalen Bereich

In der Ende der 1980er-Jahre gegründeten Bundesbehörde mit Sitz in Salzgitter beobachtet man die Lage in der Ukraine zurzeit insbesondere unter einschlägigen Gesichtspunkten. Ein besonderes Augenmerk gelte dabei dem stillgelegten Kernkraftwerk Tschernobyl sowie dem größten Kernkraftwerk der Ukraine Saporischschja. Nach Einschätzung des BfS bestehe „aktuell keine akute Gefahr einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen. Es liegen auch keine Hinweise vor, dass in der Ukraine Radioaktivität freigesetzt worden sein könnte“, heißt es in einer Bewertung mit Stand von vergangenem Mittwoch. Die verfügbaren radiologischen Messwerte bewegten sich demnach „im normalen Bereich“.

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Ganz unabhängig vom aktuellen Konflikt in der Ukraine hat sich der Rems-Murr-Kreis eigenen Angaben zufolge dieser Tage tiefer gehend auf unterschiedliche Katastrophenszenarien vorbereitet. In einem, wie man betont, schon vor längerer Zeit geplanten Seminar habe die Landesfeuerwehrschule rund 70 Teilnehmende im sogenannten Stabsmodell Baden-Württemberg geschult, heißt es in einer Mitteilung des Landratsamts.

Nach diesem Modell solle beispielsweise im Falle eines Hochwassers oder bei anderen Katastrophen mit hohem Koordinierungsbedarf gehandelt werden. Leitfragen dabei seien: Wie kann die Zusammenarbeit im Krisenfall noch besser funktionieren? Worauf ist bei der Kommunikation zu achten? Das Ziel sei ein einheitliches Vorgehen – und zwar von den Städten und Gemeinden über den Landkreis bis zum Innenministerium.

Landrat: Kreis kann Krise

„Der Rems-Murr-Kreis kann Krise – das haben wir in den vergangenen Jahren mehrfach unter Beweis gestellt“, sagt dazu der Landrat Richard Sigel. „Wir wissen nicht, was jetzt auf uns zukommt. Wir haben aber in den letzten Jahren gemerkt, wie schnell Strukturen aufgebaut werden müssen und dass Krisenbewältigung nur gemeinsam mit den Städten und Gemeinden funktioniert.“

Auch materialtechnisch wird aufgerüstet beziehungsweise modernisiert. Der Rems-Murr-Kreis bekommt einen neuen Gerätewagen Atemschutz und Strahlenschutz. Das neue Fahrzeug ersetze eines aus dem Jahr 1994 und unterstütze die Feuerwehren im Kreis mit Atemschutzgeräten bei größeren Einsätzen, heißt es aus dem Landratsamt. Dafür habe man rund 400 000 Euro investiert.

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Der neue Gerätewagen soll bei der Feuerwehr in Fellbach stationiert werden. Zukünftig könnten damit auch Einsätze mit einem erhöhten Transportaufwand, Einsätze mit radioaktiver Strahlung und Einsätze mit besonderen hygienischen Anforderungen unterstützt werden. Die dafür notwendige Ausstattung sei größtenteils flexibel in speziellen Rollcontainern verstaut. Damit könne das Fahrzeug im Einsatz spezifisch beladen werden und bleibe auch für weitere Einsätze multifunktional.