Eine Studie des Verbandes Region Stuttgart zeigt: Manches Baugebiet bleibt brach, und die Bevölkerung wächst deutlich stärker als geplant. Vor allem in Stuttgart fehlt Wohnraum in eklatanter Weise.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - In der Region Stuttgart sind die Mieten allein seit 2005 um bis zu 25 Prozent gestiegen – das zeigt, wie groß der Mangel an Wohnraum zwischen Herrenberg und Göppingen ist. Immer mehr Bürgermeister und Regionalräte fordern deshalb, mehr Bauland auszuweisen. Eine neue Studie des Verbandes Region Stuttgart (VRS), die an diesem Mittwoch im Planungsausschuss diskutiert wird, kommt aber zu einem anderen Ergebnis: Die verfügbaren Bauflächen reichten aus, sofern die Realität nicht – wieder einmal – alle Bevölkerungsprognosen Lügen strafen sollte. „Für Alarmismus besteht keine Veranlassung“, sagt der VRS-Chefplaner Thomas Kiwitt: „Und es gibt auch keinen Grund, bewährte Regeln über Bord zu werfen.“

 

Die Bevölkerung in der Region wächst stark

Die Studie mit dem drögen Titel „Regionalplan und Bevölkerungsentwicklung in der Region Stuttgart“ zeigt, dass die Gegend rund um die Landeshauptstadt mit Abstand am attraktivsten ist in Baden-Württemberg. Im vergangenen Jahr 2014 ließen sich im Saldo 24 000 Personen mehr hier nieder als wegzogen; das entspricht einem Viertel der neuen Einwohner in allen zwölf Regionen des Landes. Mittlerweile ist die Bevölkerungsdichte in der Region Stuttgart mit 737 Menschen pro Quadratkilometer höher als in der Region München (510).

Diese Attraktivität liegt vor allem an der Wirtschaftskraft und schwankt deshalb mit der Konjunktur (siehe Grafik 1). Da die Wirtschaft brummt, kommen seit 2011 wieder verstärkt Menschen nach Stuttgart, allein von 2011 bis 2013 hat die Region rund 55 000 Menschen hinzu gewonnen. 80 Prozent von ihnen stammen aus dem Ausland, vorwiegend aus Ländern Osteuropas (Grafik 2). Da die Zahl der Flüchtlinge erst seit 2014 stark ansteigt, werden diese Werte weiter in die Höhe gehen: Insgesamt kamen 2014 etwa 24 000 Menschen in die Region, für 2015 werden alleine mindestens 23 000 Flüchtlinge erwartet.

Der Bau neuer Wohnungen ist zurückgegangen

Da wirkt es sich fatal aus, dass der Wohnungsbau in den zurückliegenden Jahren in eine Flaute geraten ist. Während in den 1990er Jahren in der Region Stuttgart bis zu 22 500 Wohnungen jährlich gebaut wurden, sind es derzeit nur 8500. Laut einem Gutachten des Stuttgarter Wohnbauunternehmens Südewo wuchsen deshalb die Mieten zwischen 2005 und 2013 um acht Prozent im Rems-Murr-Kreis und um bis zu 25 Prozent in Stuttgart. Derzeit liege die Durchschnittsmiete im Kreis Göppingen bei 6,78 Euro pro Quadratmeter, in Stuttgart bei 10,64 Euro. Wer bauen will, muss in der Region im Schnitt 488,50 Euro pro Quadratmeter Bauland bezahlen; die Spanne geht von 78 Euro in Großerlach im Welzheimer Wald bis 1125 Euro in Stuttgart.

So sieht es mit den verfügbaren Baugebieten aus

Der VRS hat im vergangenen Jahr alle Baugebiete in der Region überfliegen lassen – man wollte feststellen, wie viele Hektar, die eigentlich bebaut werden dürften, noch frei sind. Das Ergebnis: Es gibt rechnerisch Platz für 141 000 zusätzliche Einwohner – die Prognose des Statistischen Landesamtes sehe lediglich einen Zuwachs von 85 300 Menschen bis 2030 vor.

Auch die räumliche Verteilung sehe gut aus. In allen Landkreisen könnte deutlich mehr als notwendig gebaut werden, jeder neue Einwohner könne statistisch gesehen eine Wohnung erhalten (siehe Grafik 3). Nur Stuttgart ist die große Ausnahme – hier fehlt es dramatisch an Wohnraum.

Allerdings muss Thomas Kiwitt einräumen, dass die Einwohnervorhersage wacklig ist; 2014 sind 14 000 Menschen mehr hergezogen als in der Prognose vorhergesehen. In den Folgejahren dürfte die Diskrepanz wegen der Flüchtlinge noch ausgeprägter werden. Das zeigt auch eine neue Rechnung des Statistischen Landesamtes vom Montag: Jetzt gehen die Statistiker davon aus, dass die Einwohnerzahl in der Region Stuttgart um 4,9 Prozent (bisher 3,2) steigt. Der Wohnraum reicht laut Studie aber nur für 4,1 Prozent mehr Menschen bis 2030.

In der politische Debatte liegen die Ansichten auseinander

Der Regionalverband will dennoch vorerst an seiner Leitlinie festhalten, wonach es eine feste Vorgabe für jede Kommune gibt, wie groß Baugebiete sein dürfen. Thomas Kiwitt setzt sich im Grundsatz dafür ein, die immer rarer werdenden Grünflächen in der dicht besiedelten Region zu erhalten. Vor allem möchte er verhindern, dass auch in ländlicher geprägten Gegenden der Region wieder verstärkt Wohngebiete aus dem Boden schießen – denn das erhöhe den Verkehr und verschärfe die Staus. Die Politik der Verwaltung ist es deshalb, den Wohnungsbau entlang der Bundesstraßen und der S-Bahn-Linien zu konzentrieren.

Doch in der Regionalversammlung bröckelt die Mehrheit für diese Haltung. Die Freien Wähler und die FDP sind schon immer dafür gewesen, den Kommunen selbst zu überlassen, wie viel Baufläche sie ausweisen wollen. Kai Buschmann, der Chef der FDP in der Regionalversammlung, erhöht nun den Druck. Die Studie Kiwitts hält Buschmann für Makulatur, was er zuletzt mit drastischen Worten beschrieb: „Mit dem Hintern auf dem Herd und den Händen im Eisschrank – da hat man nur statistisch eine ausgeglichene Temperatur“ – so sei es auch mit dem verfügbaren Wohnraum in der Region Stuttgart. Soll heißen: Was nützten Baugebiete weit draußen, wo niemand wohnen wolle?

Gespräche mit vielen Kommunen stehen an

Vor allem aber hat die CDU jetzt ihre bisherige Position verlassen und kann sich eine verstärkte Bebauung vorstellen, notfalls sogar abseits der Verkehrsachsen. Grüne und SPD unterstützen die Haltung Kiwitts. CDU, Freie Wähler und FDP haben zusammen 47 von 87 Sitzen.

Handlungsbedarf sehen aber alle. Die Verwaltung will jetzt mit den Städten und Gemeinden ins Gespräch kommen, warum viele Baugebiete nicht erschlossen werden; eine Vermutung ist, dass die notwendige dichte Besiedelung mit bis zu 90 Einwohnern pro Hektar den Kommunen nicht behage. Aber nur bei so dichter Bebauung sei es möglich, lautet das Mantra der Verwaltung, erstens den Freiraum zu schützen und zweitens die Mieten günstiger zu machen. Im Frühjahr sollen die Gespräche abgeschlossen sein, dann beginnt die eigentliche Debatte. Eines aber ist schon klar: Wohnen wird auch im Regionalverband das Topthema des Jahres 2016.