Der sensationelle Fund eines „Giganten“ im Römerkastell weckt das Interesse an der Zeit der Eroberer im Südwesten. Wie haben die Römer hier gelebt? Der Ruf nach einem Römermuseum in Stuttgart wird lauter, da das Lapidarium im Neuen Schloss schließt.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Weil die städtische Altenburgschule beim Römerkastell erweitert werden soll, haben sich Archäologen die geplante Baustelle genauer angeschaut. Denn hier lebten einst die Römer, die mehr hinterlassen haben als bisher bekannt war. Von 90 bis 150 nach Christus befand sich an diesem Ort ein Kastell für eine Reitereinheit, dem eine umfangreiche Zivilsiedlung folgte. Die Grabungen, die Anfang des Jahres begannen, haben sich fürwahr gelohnt.

 

Ein Mitarbeiter der Grabungsfirma ArchaeoBW, die auf Bodendenkmalpflege spezialisiert ist, entdeckte eine stark verwitterte, 30 Zentimeter große Figur mit menschlichem Kopf. Deren Arme liegen seitlich auf dem Oberkörper, die Hände ruhen auf Hüfte und Beinen. Letztere gehen in eine Art Schlangenleib über. Bei diesem sensationellen Fund handelt es sich um ein Mischwesen der römisch-germanischen Götterwelt, einen sogenannten Giganten.

Archäologen finden immer wieder steinerne Zeugnisse der römischen Geschichte quer durch die Stadt. Zu sehen waren sie in den Kellergewölben des Neuen Schlosses. Dort befand sich das Römische Lapidarium, das jetzt im Zuge des Umbaus für ein Bürgerschloss ausziehen muss.

Trotz „intensiver Suche“ mit der Staatlichen Vermögens- und Hochbauverwaltung sei es nicht gelungen, „eine Ersatzspielstätte in Landesliegenschaften zu finden, die den konservatorischen Ansprüchen gerecht wird und die hohe Traglast der Objekte aufnehmen kann“, bedauert man beim Landesmuseum. Bald geht es in ein Depot nach Fellbach, in dem die Besichtigung „aus sicherheitstechnischen Gründen“ nicht möglich sei. Das Lapidarium zeigte etwa 100 Steindenkmäler aus der Zeit, als Südwestdeutschland zu den römischen Provinzen Obergermanien und Rätien gehörte: Altäre, Göttersteine, Wegsteine, Reliefs und vieles mehr.

Die Steindenkmäler datieren vom ersten bis ins dritte Jahrhundert nach Christus und sind wichtig zur Rekonstruktion der Landesgeschichte. Das römische Imperium hat den Südwesten in der Kultur, Landwirtschaft, bei der Ernährung und beim Wein geprägt. Weil die Ausstellung im Neuen Schloss nicht mehr zugänglich ist und weitere Sensationsfunde gelungen sind, wird der Ruf nach einem Römermuseum in Stuttgart lauter.

Der Ruf nach einem Römermuseum wird lauter

Das Städtische Lapidarium an der Mörikestraße mit 200 meist steinernen Zeugnissen aus fünf Jahrhunderten der Stuttgarter Stadtgeschichte startet übrigens am 5. Mai in die neue Saison.

Die Römer kamen im Jahr 90 mit Pferden an einen hoch gelegenen Ort über Bad Cannstatt, um eine ihrer stärksten Militäreinheiten zwischen Mainz und Augsburg zu errichten. Vom Römerkastell aus kontrollierten 500 Kavalleristen im Auftrag von Rom den Übergang des Neckars. Es galt, die Fernstraße des Handels zu überwachen.

Auf die Römer geht die Liebe zum Wein in Stuttgart zurück. Was die Eroberer in die Gläser geschüttet haben, würden die Weinkenner von heute sofort ausspucken. Der Römerwein war gepanscht, mit Wasser verdünnt, mit Honig gesüßt und mit Gewürzen schlimmer als beim Glühwein verändert.

Spuren der Römer findet man nicht nur über Cannstatt. Im Kräherwald etwa wurde Tafelgeschirr entdeckt, das in einer Töpferei hergestellt worden ist. Zur Blütezeit des Kastells dürften in der zivilen Siedlung 3000 bis 4000 Menschen gelebt haben, einige Hundert zusätzlich auf den Gutshöfen der Umgebung. Der Hallschlag war das Zentrum des Umlands – hier blühte der Handel.

Um 270 nach Christus war die Römerzeit in Stuttgart vorbei

Um etwa 150 nach Christus haben die Römer den Limes weiter nach Osten verlegt – Bad Cannstatt wurde zum befriedeten Hinterland. Der Schutz des Höhenkastells war nicht mehr notwendig. Der Stern Roms begann zu sinken. Nach rund 170 Jahren wurde die Region von den Alemannen erobert und das Römerkastell somit aufgegeben. Etwa um 260 bis 270 nach Christus verließ die Bevölkerung das heutige Stadtgebiet von Stuttgart und zog weiter ins sichere Gallien. Die Römerzeit in Stuttgart war Geschichte.

1910 sind die Soldaten von König Wilhelm II. in die dicht aneinander gebauten Kastellhäuser gezogen – in die Dragonerkaserne, wie sie damals hieß. Als Dragoner bezeichnete man die berittene Infanterie, die ihre Pferde zum Transport, nicht aber für den Kampf verwendete. Auch in der Zeit des Nationalsozialismus diente die Kaserne oberhalb von Cannstatt militärischen Zwecken. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die US-Armee bis 1993 das Kastell übernommen. 2001 kauften sich schließlich Investoren ein, um ein Medienzentrum zu errichten.

Heute sind neben Design- und Werbeagenturen hier vor allem Eventdienstleister und Produktionsbüros angesiedelt. In den Studios der Bavaria Fiction etwa wird die ZDF-Serie „Soko Stuttgart“ produziert. Auch die Macromedia, Hochschule für Medien und Kommunikation, Regio TV sowie die Magic Lounge von Thorsten Strotmann sind an einem Ort mit Geschichte daheim – dort, wo die Römer den Grundstein für viele Veränderungen legten.