Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann macht Druck in Berlin. Doch die Hoffnung, dass die Paternoster im Stuttgarter Rathaus und im Literaturhaus bald wieder eröffnet werden können, ist trügerisch.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Nun hat sich auch Winfried Kretschmann in die Posse um die abgeschalteten Paternoster im Stuttgarter Rathaus und im Literaturhaus eingeschaltet. Gegenüber der Stuttgarter Zeitung sagte der baden-württembergische Ministerpräsident, dass „der Schutz der Gesundheit natürlich ein hohes Gut“ darstelle: „Aber wir dürfen es damit nicht übertreiben und von vornherein alles verbieten, bei dem ein Risiko nicht hundertprozentig ausgeschlossen werden kann.“ Auch Küchenmesser seien gefährlich, wenn man sie nicht richtig benutze, „trotzdem käme kein vernünftiger Mensch auf die Idee, sie deswegen zu verbieten“.

 

Kretschmann begrüßt daher, dass sich das Bundesarbeitsministerium entschlossen hat, die erst am 1. Juni in Kraft getretene neue Betriebssicherheitsverordnung zu lockern. Wie berichtet, enthält die Vorschrift einen Passus, wonach Paternoster nur noch von Beschäftigten verwendet werden dürfen, die von ihrem Arbeitgeber eingewiesen worden sind. Anderen Personen ist dies seit Anfang des Monats verboten. Stuttgarts Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle hat deswegen – gegen seine eigene Überzeugung – den Betrieb der altehrwürdigen Aufzüge komplett einstellen lassen. Künftig sollen aber Ausnahmen möglich sein. Ziel sei es, dass Touristen und normale Bürger wieder in die Paternoster steigen dürfen, „wenn dies mit der Sicherheit der Benutzer vereinbar ist“, sagte eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums auf Anfrage. Dazu sei „eine behördliche Prüfung im Einzelfall erforderlich“.

Kretschmanns Initiative hat in Berlin gefruchtet

Winfried Kretschmann verbucht diese Kehrtwende als Erfolg der eigenen Politik. Er sei froh, dass die Initiative des Landes in Berlin „auf offene Ohren gestoßen ist“, sagte der Ministerpräsident gegenüber der StZ. Das könnte der Stadt Stuttgart helfen, diePaternoster wieder frei zugänglich zu machen. Es sei daher gut, „dass die zuständige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles schnellstmöglich die Bundesländer ermächtigen möchte, mit dem Ziel die Beschränkungen aufzuheben.“

Doch Kretschmanns Hoffnung, dass die Angelegenheit binnen weniger Wochen erledigt werden könne, trügt. Obwohl man inzwischen auch im Hause Nahles das Thema lieber heute als morgen vom Tisch bekommen würde, scheint die Arbeitsministerin nun selbst Opfer der Bürokratie zu werden. Entgegen erster anders lautender Einschätzungen haben ihre Beamten in Berlin mittlerweile geklärt, dass sie ihre Betriebssicherheitsverordnung so unmissverständlich formuliert haben, dass sie nur durch ein geordnetes Verfahren geändert werden kann. Dazu müssen zunächst die Vertreter der Bundesländer gehört werden (das könnte im Sommer geschehen). Danach befasst sich das Bundeskabinett mit dem Fall, ehe die Akte im Bundesrat landet. Zeithorizont der gesamten Prozedur: etwa ein halbes Jahr.

Es gäbe theoretisch eine Möglichkeit zum Weiterbetrieb, . . .

„In der Zwischenzeit“, sagt die Sprecherin des Arbeitsministeriums, „gilt die am 1. Juni 2015 in Kraft getretene Verordnung mit der enthaltenen Beschränkung, also der Benutzung von Paternostern lediglich durch eingewiesene Beschäftigte.“ Wer dagegen vorsätzlich oder fahrlässig verstößt, handelt ordnungswidrig. Und im Übrigen, schreibt das Arbeitsministerium, „entscheiden über das Vollzugshandeln die Arbeitsschutzbehörden der Länder“.

Ironie des ohnehin schon kuriosen Vorgangs: Just hinter dieser gestelzten Formulierung tut sich unabsichtlich eine geheime Tür auf, die es der Stadt theoretisch ermöglichen würde, ihre drei Paternoster schon jetzt wieder anzuwerfen. Denn nach Auskunft des für den Arbeitsschutz zuständigen Landesumweltministeriums würde die Kontrolle der Nahles-Verordnung an die untere Landesbehörde delegiert werden. Dies wäre im vorliegenden Fall die Stadt Stuttgart. Sprich: die Stadt würde prüfen, ob sie selbst die neuen Regeln zur Paternosternutzung einhält – oder auch nicht.Doch das Risiko, den alten Kabinenaufzug quasi illegal weiterzubetreiben und dies nicht zu kontrollieren, ist selbst dem verärgerten Verwaltungsbürgermeister zu hoch. „Wenn etwas passieren würde, hätten wir vorsätzlich gehandelt und wären voll in der Haftung“, sagt Werner Wölfle und übt sich in Zweckoptimismus: „Wenn Frau Nahles sich jetzt wirklich bewegt, dann müssen wir halt die paar Monate warten.“

Bis dahin könne man im Rathaus ja darüber nachdenken, den Vorschlag eines Bürgers aufzugreifen: „Der Mann hat vorgeschlagen, dass wir Touristen in den Betrieb des Paternosters einweisen sollen und dann für jede Fahrt fünf Euro verlangen“, erzählt Wölfle und lacht. Immerhin der Kämmerer würde sich wohl freuen . . .

. . . doch die wäre illegal