Vor einem Jahr verschwand der deutsche Urlauber Nick Frischke in Kapstadt. Die Familie gibt die Hoffnung nicht auf, dass er noch leben könnte.

– Kein Tag vergeht, an dem Nick Frischkes Familie nicht an ihn denkt. Seit einem Jahr, dem 15. Februar 2023, gilt der heute 23 Jahre alte Brandenburger in der Touristenmetropole Kapstadt als vermisst. Bislang ist jede Spur im Sand verlaufen. Seine Eltern, Geschwister, Großeltern und engsten Verwandten leben seit Monaten zwischen Hoffnung, Trauer und Verzweiflung.

 

„Das Jahr, das zurückliegt, ist sehr hart gewesen, tränenreich und anstrengend. Es ist sehr schwer für uns als Familie, weiter normal zu funktionieren“, erzählt ein Familienmitglied, das anonym bleiben möchte, der Deutschen Presse-Agentur. Es gebe keinen Tag, an dem sich nicht unaufhörlich die gleichen Fragen im Kopf drehten: Was ist wirklich passiert? Wurde Nick getötet? Oder ist er davongekommen, hat durch den Schock eines gewaltsamen Überfalls sein Gedächtnis verloren, irrt obdachlos und orientierungslos durch die Gegend?

In Frischkes Heimatort Döbern in der Nähe von Cottbus könne die Familie nicht einkaufen gehen, ohne von besorgten Einwohnern angesprochen zu werden. Auch über E-Mail und soziale Medien gebe es fast täglich gut gemeinte Anfragen: Gibt es neue Hinweise, eine neue Spur? Fragen ohne Antworten, die aber immer wieder aufwühlen. „Wir geben die Hoffnung nicht auf. Alles ist möglich. Man kann die Sache schwer einordnen. Wir wissen es einfach nicht“, sagt das Familienmitglied. Es sei genau diese nagende Ungewissheit, die es so schwer mache, mit der Situation fertig zu werden.

Was an dem Tag im Februar 2023 geschah, wissen wohl nur die Täter

Denn was an dem schicksalhaften Tag im Februar 2023 wirklich geschah, das wissen wohl nur die Täter. Nach Angaben der Polizei war Frischke am 6. Februar 2023 in das Land am Südzipfel Afrikas eingereist. Er hatte ein AirBnB im Vorort Pinelands von Kapstadt angemietet. Über mehrere Tage erkundete er die Stadt, postete Fotos von sich und seinen Erlebnissen auf sozialen Medien, zuletzt in einem Outdoor-Geschäft in der berühmten Einkaufsmeile V&A Waterfront. Doch am Abend kehrte er nicht zurück in das Gästehaus. Die Vermieter fanden das gemachte Bett unberührt, sein vollständiges Gepäck im Zimmer.

Das letzte Lebenszeichen: Ein von einer Sicherheitskamera aufgenommenes Foto, das über soziale Medien verbreitet wurde, zeigt Frischke am 15. Februar in Sportkleidung auf dem Weg zu einem Wanderpfad am Fuße des Karbonkelbergs in Hout Bay, einem weiteren Vorort Kapstadts. Nach Angaben der Polizei sei er dort von einem Fahrdienst abgesetzt worden. Über viele Tage suchten Rettungskräfte, Polizei und Sicherheitskräfte nach dem schlanken, sportbegeisterten Touristen. Drohnen und Spürhunde wurden eingesetzt. Die Familie heuerte einen privaten Ermittler an. Auch Kapstadts Bürgermeister Geordin Hill-Lewis sicherte seine Unterstützung zu. Alles ohne Erfolg.

Ende Februar fand die Polizei Frischkes Rucksack und Handy in einer Hütte in einem Armutsviertel von Hout Bay, das direkt an den Karbonkelberg grenzt. Nach mehreren Wochen gab es endlich eine erste Spur. Die Polizei nahm fünf Verdächtige fest, die im März von der Nationalen Strafverfolgungsbehörde NPA des Raubüberfalls angeklagt wurden. Die Männer gaben zu, Frischke ausgeraubt zu haben, sagten jedoch aus, ihn lebend zurückgelassen zu haben.

Seitdem zieht sich das Verfahren hin. Zwar erscheinen die Angeklagten, die sich in Untersuchungshaft befinden, regelmäßig vor dem Amtsgericht in Wynberg, doch immer wieder wird vertagt. Die Strafverfolgungsbehörde benötige mehr Zeit für zusätzliche Ermittlungen, sagt NPA-Sprecher Eric Ntabazalia. 

Die Polizei hat nach eigenen Angaben noch keine direkte Verbindung zwischen den Verdächtigen und dem Verschwinden des Brandenburgers beweisen können. Für eine Mordanklage reicht die Beweislage nicht. Der nächste Gerichtstermin ist für den 22. Februar angesetzt. Die Familie, die in engem Kontakt mit der südafrikanischen Polizei und der NPA steht, vermutet, der eigentliche Prozessbeginn könne sich bis August hinziehen.

Der ungelöste Fall hat die Öffentlichkeit sehr bewegt

Südafrika gehört zu den beliebtesten Touristenzielen Afrikas, kämpft aber mit einer hohen Kriminalitätsrate. Im vergangenen Jahr war die Zahl der Gewaltverbrechen in dem Land mit rund 61 Millionen Einwohnern erneut gestiegen. Allein in den drei Monaten von Januar bis März 2023, in denen auch Frischke verschwand, sind Regierungsangaben zufolge knapp 6300 Menschen ermordet worden. In dem gleichen Zeitraum sei es demnach zu etwa 35 000 Überfällen mit erschwerenden Umständen gekommen.

Ende vergangenen Jahres war Nick Frischkes Mutter nach Kapstadt gereist, um mit der Polizei und den Ermittlern unter vier Augen zu sprechen und auf den neusten Stand zu kommen, erzählt das Familienmitglied. Und natürlich auch, um sich vor Ort selbst ein Bild zu machen. Mit der Arbeit der südafrikanischen Behörden sei die Familie soweit zufrieden. Für verifizierbare Hinweise zum Verbleib von Nick Frischke ist eine Belohnung von umgerechnet 1000 Euro ausgesetzt.

Der ungelöste Fall hat die Öffentlichkeit sehr bewegt, vor allem die große deutsche Gemeinde in Kapstadt. Auf einer von Frischkes Mutter geleiteten Facebook-Gruppe „Missing – Nick Frischke“ gibt es immer wieder Aufrufe, weiter nach dem 23-Jährigen Ausschau zu halten und jegliche Hinweise weiterzuleiten. Die Familie veröffentlicht hier Fotos von Nick. Leser aus Kapstadt werden gebeten, sich sein Gesicht einzuprägen und die Augen offenzuhalten. Die Mutter zählt immer wieder die Monate, die Wochen, die Tage. Die Ungewissheit über das Schicksal ihres Sohns beschreibt sie als „unerträglich“.

Im Oktober hatte es kurz einen Lichtblick gegeben: Eine Deutsche hatte in einem Café in dem Küstenort Plettenberg Bay an der Garden Route, etwa sechs Autostunden von Kapstadt, einen verwirrten Mann an sich vorbei stolpern sehen, der auf Nick Frischkes Beschreibung passte. Die angebliche Sichtung machte Hoffnung, doch ein weiteres Lebenszeichen blieb aus.

An Weihnachten und zu seinem Geburtstag schreibt die Mutter persönliche Botschaften an Nick in die Facebook-Gruppe. Kürzlich gab sie ihrem Leid mit dem Text von Udo Lindenbergs Lied „Durch die schweren Zeiten“ Ausdruck. „Ich werd’ dich begleiten, Denn es ist nie zu spät, Um nochmal durchzustarten, Wo hinter all den schwarzen Wolken, Wieder gute Zeiten warten“, steht da. Man könne nicht ausschließen, dass sich alles noch zum Guten wende, will sie damit wohl sagen. Und auch: „Trotz allem hoffen und beten wir weiter für ein Wunder für meinen Nick“.