Das SWR-Vokalensemble hat gemeinsam mit dem Ensemble Modern Chorwerke von Hans Werner Henze aufgeführt. Es war ein hinreißender Abend.

Stuttgart - „Meine Musik“, so Hans Werner Henze in seiner Autobiografie, „hat ein unzeitgemäßes Pathos, etwas pathetisch Unzeitgemäßes. Und die Freunde der alten Neuen Musik, der normalen, die kommen dabei schon überhaupt nicht auf ihre Kosten.“ Die Tatsache, dass die Gaisburger Kirche am Mittwochabend gerade mal halb gefüllt war, legt die Frage nahe, ob die anderen, also die nicht normalen, angesichts eines Programm nur mit Chormusik Henzes womöglich auch nicht gekommen sind.

 

Schade war’s in jedem Fall, denn die Wiederbegegnung mit dem ewig unzeitgemäßen Komponisten Henze, mit Stücken, die nicht nur von Liebe zum vertonten Text, sondern geradezu von Textbesessenheit künden, lohnte ungemein. Sie habe sich gefühlt wie in einer Badewanne, sagte eine Besucherin nach dem abschließenden A-cappella-Stück, dem Edward-Bond-Zyklus „Orpheus behind the wire“, und tatsächlich mochte sich mancher der mit Wohlklang benetzten Konzertbesucher daran erinnern, dass auch die griechische Schönheitsgöttin Aphrodite dereinst dem Schaum des Meeres entstieg.

Exzellente Balance der Stimmen

Vor allem Henzes und Bonds Orpheus-Chorlieder (die der Komponist sicher auch als Manifest für die „horizontale Gangart“ seiner Ästhetik verstanden hat) zeigten die Klasse des Chores: ganz reine Intonation, fein ausgehörte Vokallinien, eine exzellente Balance der Stimmen und eine dichte Vernetzung von Text und Klang. Die Fünf Madrigale auf Texte von François Villon (in denen sich der Chor erst noch ein wenig finden musste) und die „Lieder von einer Insel“ auf Gedichte Ingeborg Bachmanns lebten auch vom Reiz der Reibung zwischen dem Vokalem und dem Instrumentalen, das Musiker des Ensembles Modern beisteuerten. Dabei erwies sich die Musik nicht zuletzt als Fundgrube von Bekanntem: Vor allem gemahlert hat es immer wieder mächtig. Dass Marcus Creed auch die Oktett-Sätze und das Adagio aus Henzes „Kammermusik 1958“ dirigierte, wäre angesichts der spürbaren Autonomie der Musiker nicht nötig gewesen, trübte aber nur wenig den Eindruck von einem programmatisch wie qualitativ außergewöhnlichen Chorabend, der mehr Publikum verdient hätte.