Noch vor wenigen Jahren galt der Spartenwechsel von der Leinwand auf die Mattscheibe als Abstieg. Heute schätzen immer mehr Hollywoodstars, Autoren und Zuschauer das serielle Erzählen.

Stuttgart - In den Achtzigern und Neunzigern lief das so: Schauspieler wie Bruce Willis, Jennifer Aniston und George Clooney lösten mit den Fernsehserien „Das Model und der Schnüffler“, „Friends“ und „Emergency Room“ ihr Ticket nach Hollywood. Der Weg zurück, von der Leinwand auf die Mattscheibe, galt lange Zeit als Abstieg. Heute dagegen bedeutet der Spartenwechsel vom Kino zum Fernsehen alles andere als das Ende der großen Karriere.

 

Kevin Spacey in „House of Cards“, Elijah Wood in „Wilfred“, Lucy Liu in „Elementary“ oder Diane Kruger in „The Bridge“ – sie sind nur einige Beispiele für den aktuellen Trend unter Hollywoodstars, eine tragende Rolle in einer Serie zu übernehmen. In diesem Jahr wollen sich ebenso Halle Berry, John Malkovich, Robert De Niro und Sharon Stone als Seriendarsteller versuchen (siehe unten). Auch immer mehr namhafte Autoren, Regisseure und Produzenten verwirklichen ihre Ideen und Visionen lieber beim seriellen Erzählen. So erklärte sich Martin Scorsese dazu bereit, sowohl die Gangsterserie „Boardwalk Empire“ zu produzieren als auch beim Pilotfilm Regie zu führen. Und David Fincher hat nicht nur bei der ersten Folge der Politthriller-Serie „House of Cards“, deren zweite Staffel in den USA vor wenigen Wochen an den Start ging, Regie geführt, sondern ist auch Mitproduzent.

Kevin Spacey: „Das Fernsehen hat das Kino überholt.“

Warum verzichten die Schauspieler und die Macher hinter der Kamera auf die große Leinwand? Wieso finden Serien auch unter den Zuschauern und den Kritikern großen Zuspruch? Ist das Fernsehen mittlerweile etwa das bessere Kino? Ja, meint der Schauspieler Kevin Spacey. „Das Fernsehen hat das Kino überholt“, sagte der 54-Jährige im vergangenen Jahr beim Edinburgh International Television Festival in einer Aufsehen erregenden vierzigminütigen Rede über die Zukunft der Branche.

Der zweifache Oscar-Preisträger Kevin Spacey weiß, wovon er spricht, schließlich spielt er in „House of Cards“ die Hauptrolle: den manipulativen und intriganten Kongressabgeordneten Francis J. Underwood. Nebenbei fungiert er als Co-Produzent der Serie, die nicht für einen Fernsehsender, sondern für die Web-Plattform Netflix entwickelt wurde. Eine kreative Kontrolle, die viele Schauspieler von Hollywoodfilmen nicht kennen. Auch Greta Gerwig, die – wie kürzlich bekannt wurde – die Hauptrolle in „How I met your Dad“, (einem Ableger der Erfolgsserie „How I met your Mother“) übernehmen wird, will am Drehbuch mitschreiben und sich als Produzentin an dem Spin-Off beteiligen. Aber nicht nur die Einflussnahme spielt für die Schauspieler eine Rolle. In solch einem längerfristig angelegten Projekt sind die Darsteller ständig präsent, auch in den Medien – so können sie ihren Marktwert steigern. Zudem bedeutet eine Serie eine neue Herausforderung: eine Zusage kann für einen Überraschungsmoment unter Kritikern und Fans sorgen.

Die Darsteller lockt die hohe Qualität der Serien

Vor allem für Schauspieler, die aus Independent-Filmen bekannt sind, also Filmen, die nicht von den großen Hollywood-Produktionsfirmen finanziert werden, ist das Format interessant. Warum sich etwa William H. Macy dafür entschieden hat, eine Rolle in der Fernsehserie „Shameless“ anzunehmen, erklärte er in einem Interview so: „Mein Broterwerb waren immer Independent-Filme. Aber kaum einer finanziert noch Indies. Deshalb brauchte ich einen Job, und es schien genau der richtige Zeitpunkt zu sein, in eine Serie einzusteigen.“

Es ist vor allem die hohe Qualität der Serien, welche die Schauspieler lockt: Die US-amerikanischen Sender investieren immense Summen in die Herstellung und können auch die besten Autoren engagieren. Die Schreiber reizt vor allem die Freiheit des horizontalen, fortlaufenden Erzählens: Im Gegensatz zu einem neunzigminütigen Film können sie hier komplexere Welten und Handlungsstränge entwickeln. Sie haben die Möglichkeit, die Figuren plastischer und tiefgründiger zu gestalten. Das kommt auch den Darstellern entgegen. Sie können tiefer in eine Rolle einsteigen, die Charaktere dürfen sich über einen längeren Zeitraum entwickeln. „Das ist für uns Schauspieler sehr aufregend, weil die dramatischen Rollen jetzt dort zu haben sind“, sagte die deutschstämmige Diane Kruger, die in der Krimiserie „The Bridge“ eine autistische Polizistin spielt, der „Zeit“.

Genau das scheint es auch zu sein, was die Zuschauer an den Serien so fasziniert und fesselt, glaubt auch Spacey: „Eine erfolgreiche Serie kann eine Leidenschaft und eine Nähe zum Zuschauer entwickeln, von der jeder Blockbuster-Film aus Hollywood nur träumen kann.“ Der Rezipient baut eine emotionale Bindung zu den Protagonisten auf. Man leidet mit den Figuren, man freut sich mit ihnen, man fiebert mit ihnen mit.

Zu Zeiten der Individualisierung, die uns Nutzer das Internet gelehrt hat, spielt aber auch das selbstbestimmte Konsumieren eine Rolle. „Das Publikum möchte die Kontrolle. Es möchte Freiheit“, sagt Spacey und spielt damit auf die Hochkonjunktur der Video-on-Demand-Anbieter an. Das US-amerikanische Unternehmen Netflix etwa stellt immer eine komplette Staffel seiner selbst produzierten Serie „House of Cards“ online und ermöglicht es den Zuschauern so, selbst zu entscheiden, wann und wie geballt sie die Folgen ansehen wollen. Ein wichtiger Faktor beim Serienschauen – schließlich hat wohl nicht zuletzt das tiefe, mehrstündige Eintauchen in eine andere Welt die US-Fernsehserien vom Nischenformat zum Erfolgsmodell werden lassen – auch für die Schauspieler.

An diesen Serien arbeitet das US-Fernsehen

„Extant“ mit Halle Berry

Gleich zwei Hollywoodgrößen sind an der Mystery-Serie „Extant“ beteiligt: Halle Berry übernimmt die Hauptrolle, Steven Spielberg fungiert als Produzent. Und worum geht’s? Die Astronautin Molly Watts, gespielt von der Oscarpreisträgerin Berry, kehrt nach einer einjährigen Solo-Mission im Weltall auf die Erde zurück. Dort muss sie sich darum bemühen, die Beziehung zu ihrer Familie wieder aufzubauen. Doch die Erlebnisse der Protagonistin haben Folgen und führen zu Ereignissen, die das Schicksal der gesamten Menschheitsgeschichte beeinflussen. Die erste Staffel von „Extant“ (bedeutet so viel wie „überlebt haben“) soll dreizehn Folgen umfassen und wird voraussichtlich von 2. Juli 2014 an auf dem US-Sender CBS ausgestrahlt.

„Crossbones mit John Malkovich

John Malkovich tut es seinem Kollegen Johnny Depp gleich und schlüpft in der US-Serie „Crossbones“ in die Rolle eines Piraten. Als berüchtigter englischer Seeräuber Edward Teach alias Blackbeard herrscht er über die Piratenrepublik New Providence, einer Insel der Bahamas. Es ist ein Ort, an dem Freibeuter, Kriminelle und Gesetzlose das Sagen haben und der zunehmend zur Bedrohung der internationalen Handelsrouten wird. Die Abenteuerserie basiert auf dem Buch „The Republic of Pirates“ des US-amerikanischen Autors Colin Woodard. Neil Cross, der Erfinder der britischen Krimiserie „Luther“, hat das Drehbuch geschrieben. Zehn Folgen umfasst die erste Staffel, die voraussichtlich im Sommer auf dem amerikanischen Sender NBC startet.

„Criminal Justice“ mit Robert De Niro

Eigentlich hätte der „Sopranos“-Darsteller James Gandolfini in der HBO-Miniserie „Criminal Justice“ die Hauptrolle übernehmen sollen. Doch der 51-Jährige starb überraschend im Juni 2013 auf einer Reise nach Italien an einem Herzinfarkt. Wenig später wurde bekannt, dass nun Robert De Niro in der TV-Produktion zu sehen sein wird. In „Criminal Justice“ soll er einen New Yorker Rechtsanwalt verkörpern, der einen mutmaßlichen Kindermörder verteidigt. Die Serie ist eine lose Adaption von Peter Moffats gleichnamigem BBC-Drama aus dem Jahr 2008. Die Dreharbeiten der Fortsetzung mit Robert de Niro, die voraussichtlich sieben Folgen umfassen wird, sollen im März 2014 beginnen. Ein Ausstrahlungstermin wurde noch nicht bekannt gegeben.

„Agent X“ mit Sharon Stone

Die Macher von „Agent X“ sind der Realität bereits einen Schritt voraus: In der vom US-amerikanischen Fernsehsender TNT geplanten Action-Drama-Serie soll Sharon Stone in die Rolle der ersten Vize-Präsidentin der USA schlüpfen. Natalie Maccabee (verkörpert durch Stone) übernimmt nach dem Tod ihres Ehemannes, der sich um ein Mandat im Senat beworben hat, dessen Kandidatur und wird zur Vize-Präsidentin gewählt. In diesem Amt muss Maccabee große Krisen meistern und gemeinsam mit einen geheimen Agenten namens „Agent X“ die Verfassung beschützen. Bislang ist nur ein Pilotfilm in Auftrag gegeben worden. Ob „Agent X“ wirklich in Serie gehen wird, wann diese in den USA ausgestrahlt wird und ob sie es auch ins deutsche Fernsehen schafft, ist noch offen.