Der SPD-Vorsitzende geht in der Ukraine-Frage auf leichte Distanz zu Rolf Mützenich. Das Tief der SPD kann er aber auch nicht erklären.

Die Talkrunde von Caren Miosga am Sonntagabend in der ARD war schon weit fortgeschritten. Ein ums andere Mal hatte die Moderatorin beim SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil versucht, ihn ein Bekenntnis zum heftig umstrittenen Zitat des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich über ein „Einfrieren“ des Ukrainekrieges zu entlocken. Das passierte aber nicht, und Klingbeil platzte irgendwann der Kragen: „Ich sage es jetzt zum fünften Mal: Eine Debatte darüber, wie man einen Frieden erreichen kann, muss auch im Bundestag erlaubt sein.“

 

Tagelang hatte Mützenich mit seinen Worten im Bundestag, dass man nicht nur über das Führen eines Krieges nachdenken müsse, sondern auch, wie man ihn einfrieren und beenden könne, für politische Aufregung gesorgt. Die Grünen und die FDP hatten bei der Passage keinen Beifall gespendet, wohl aber die SPD und die AfD. „Von den Leuten der AfD wollen wir keinen Applaus“, bemerkte Lars Klingbeil, seine Position aber ließ eine leichte Distanz zu Mützenich erkennen.

Auf ihn mit Gebrüll?

Die Sache mit dem „Einfrieren“ des Krieges war aus seinem Munde nicht zu hören, wäre es gekommen, hätte ihn Caren Miosga vermutlich auch in ein Kreuzverhör genommen. Ihr Team hatte eine Grafik mit dem Frontverlauf in der Ukraine und den von Russland besetzten Gebieten eingespielt: Was denn da ein Einfrieren des Krieges bedeute, fragte Miosga: „Dass Hunderttausende Ukrainer unter russische Herrschaft kommen, Verfolgungen, Verschleppungen und Vergewaltigungen ausgesetzt werden?“ Klingbeil versteifte sich lediglich auf die Option mit dem Ausloten von Friedensoptionen. „Ich mache mir den Satz zu eigen, wie man Kriege beenden kann“, so Klingbeil. Selbst der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj plane doch einen Friedensgipfel in der Schweiz. Im Übrigen gehe es nicht an, dass, wenn jemand einen „falschen Halbsatz“ sage, sich alle auf ihn „mit Gebrüll“ stürzten. Die Ukraine müsse selbst sagen, wann sie mit dem Kämpfen aufhören wolle. Man werde nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg entscheiden, und man werde von Kiew auch nicht fordern, dass es Gebiete abtreten müsse.

Respekt für Scholz verlangt

Eine gewisse Enttäuschung über die Koalitionspartner der SPD in der Ampel – FDP und Grüne – ließ Klingbeil auch bei der Frage nach der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern erkennen. Das Nein von Kanzler Olaf Scholz hatte dort für eine heftige Verstimmung gesorgt: Der Kanzler habe da in einer schweren Abwägungsfrage eine Entscheidung getroffen und dazu habe er das legitime Recht: „Wenn er eine Entscheidung getroffen hat, sollte man damit respektvoll umgehen und sie akzeptieren.“ Das Scholz seine Partei nun als Friedenspartei etablieren wolle, um eventuell bei den anstehenden Wahlen im Osten zu punkten, das verneinte Klingbeil. Der sei ein Mann der Prinzipen, er orientiere sich nicht an Wahldaten und wolle im Übrigen „unser Land“ aus dem Krieg heraushalten.

Schachtelsätze vom Kanzler

Die Rolle des Kanzlers war dann auch Thema beim Erörtern der Lage der SPD, die laut Infratest Dimap bundesweit nur noch auf 16 Prozent kommt und über die Caren Miosga schon im Titel ihrer Sendung eine Art Abgesang formuliert hatte: „Wofür braucht es die SPD noch, Herr Klingbeil?“ Eingespielt wurde ein Kurzvideo über den SPD-Bürgermeister der 25.000-Einwohner Stadt Maifeld in Rheinland-Pfalz, der sich kritisch über Scholz äußerte, er sei dessen „Schachtelsätze“ leid und Scholz sei kommunikativ „eine Wüste“. SPD-Erfolge wie Mindestlohn, Rentenpolitik und Bürgergeld kämen bei den Menschen einfach nicht an. „Wie oft müssen Sie Kanzler Scholz erklären“, fragte Miosga daraufhin den SPD-Parteichef. „Sehr oft“, antwortete Lars Klingbeil, aber das liege an den „turbulenten Zeiten“, den vielen Krisen, schwierigen Themen wie Gaspreisexplosion, Heizungsgesetz oder Kindergrundsicherung.

Leben im Wohlstandsmuseum?

Die geladenen Experten in der ARD – die Journalistin Helene Bubrowski von Table.Briefing sowie Moritz Schularick, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft – begründeten das Tief der SPD anders. Bubrowski verwies auf nicht gehaltene Versprechen des Kanzlers – etwa den Bau von 400.000 Wohnungen. Die Sozialdemokraten hätten ja sozialpolitisch einiges durchgesetzt, so Bubrowski, dass sie davon aber trotzdem nicht profitieren, habe einen Grund: „Weil sie ihren eigenen Erfolg nicht sehen. Würden sie es tun, könnten sie keine neuen Forderungen stellen, da sie ja schon alles erreicht haben und werden überflüssig.“ Es gebe den paradoxen Prozess, dass die Sozialdemokraten ihre Erfolge schlecht redeten. Bubrowski forderte die SPD auf, bei einer kostensenkenden Reform des Sozialsystems voranzugehen. Der Ökonom Schularick hingegen ging kritisch mit dem SPD-Rentenpaket um: Das sei ja ein „tolles Zukunftsprogramm für die Rentner“, aber nicht für diejenigen, die jetzt noch 20 oder 30 Jahre arbeiten müssten. Eine stabile Rente werde bei immer mehr Älteren und weniger Erwerbstätigen schwierig, möglich nur mit Beitragssteigerungen, von vier Prozent ist die Rede. „Ich sehe da eine Inkonsistenz in der Zukunftsorientierung der Politik“, so Schularick. Ganz allgemein verlangte er eine Vision für die Zukunft: „Wir müssen uns doch davon verabschieden, dass wir montags ins Stahlwerk gehen oder Autos zusammenschrauben.“ Man könne doch nicht in einem „Wohlstandsmuseum“ leben, Deutschland brauche ein Software-Update darüber, was denn das Wachstum von morgen sei.

Beim Pop-Song muss er passen

Lars Klingbeil wehrte sich dagegen, dass die Wirtschaft gegen das Soziale gestellt werde. Mit höheren Löhnen und Renten werde auch die Kaufkraft steigen, im übrigen hätten Rentner – viele hätten 45 Jahre lang gearbeitet – ein Anrecht auf eine auskömmliche Rente. Mit der SPD sei eine Abschaffung der Rente mit 63 nicht zu machen.

Ein kleines Nichtwissen leistete sich Klingbeil auch. Die Moderatorin überraschte den in der Freizeit E-Gitarre spielenden SPD-Politiker mit den Verszeilen „Dies ist nicht die Zeit zu fragen, dies ist nicht die Zeit zum Weinen, dies ist nicht die Zeit zum Schlafen während wir kämpfen“ und wem das denn zuzuordnen sei. „Selenskjy!“ entgegnete Klingbeil. Richtig wäre die Band „Fury in the Slaugtherhouse“ gewesen. Er habe halt an den Ernst der Lage in der Ukraine gedacht, so Klingbeil.