Das Militär kann der Diplomatie nur Zeit verschaffen, Konflikte lösen kann es aber nicht. Diese Erkenntnis ist in Mali zu einer zweiten, bitteren Lektion nach Afghanistan geworden.

Eine Übergabe des Feldlagers und dann nichts wie weg: Mit zwei geschützten Militärtransportern vom Typ A400M hat die Luftwaffe am Dienstag die letzten deutschen Soldaten aus dem geschützten Camp Castor der UN-Friedensmission Minusma im westafrikanischen Mali ausgeflogen. Ziel und erste Zwischenstation war Dakar im Senegal, das sich wegen der Auseinandersetzungen mit den Putschisten in Mali und Niger zu einem Drehkreuz entwickelt hat.

 

Für die Bundeswehr geht am Dienstag ein mehr als zehn Jahre dauerndes Kapitel dieses Blauhelm-Einsatzes zuende. Es hat nach Anfangserfolgen - nachdem eine französische Eingreiftruppe den Vormarsch von Islamisten zurückgeworfen hatte - viele enttäuschte Erwartungen mit sich gebracht, nach denen bisherige Einsatzkonzepte so wohl nicht mehr auf den Tisch kommen.

Ein Hauptauftrag der Deutschen ist so ein Fall, wo guter Wille auf eine harte Realität prallte. Mit der Drohne Heron sollte die Bundeswehr Aufklärungsergebnisse über die Lage in dem von Terrorismus und Gewalt erschütterten Land für das UN-Hauptquartier generieren. Das ging so lange gut, bis ein Vertreter der malischen Militärmachthaber im Operationsraum sitzen konnte. Das Erstaunen, wie genau diese Drohnenbilder waren, sei groß gewesen - berichtete ein deutscher Offizier - es folgte ein Flugverbot für die Deutschen.

Sicherheitslage weiter verschlechtert

Die Sicherheitslage in der Sahelregion habe sich trotz erheblicher internationaler Unterstützung weiter verschlechtert, erklärt die Bundesregierung noch im April zu einem EU-Einsatz im benachbarten Niger. „Terroristische Gruppen konnten ihre Operationsräume auf weite Teile von Mali, Burkina Faso und teilweise auch Niger ausweiten. In der Folge hat auch die Bedrohung in den Grenzregionen der Sahelstaaten mit den Küstenstaaten spürbar zugenommen“, hieß es. Drei Monate später wurde im auch Niger geputscht.

Die Lage in Mali ähnelt wieder der von 2013 - nur schlimmer. Dschihadisten, die Al Kaida die Treue geschworen haben, rücken längst wieder in das Zentrum des Landes in Richtung der Hauptstadt Bamako vor. Im Nordosten bringt ein Ableger der Terrormiliz IS Gebiete unter seine Kontrolle. Selbst vorsichtigen Erhebungen zufolge wurden allein in diesem Jahr fast 4000 Menschen in Mali getötet, davon mehr als 1700 Zivilisten.

Um die Wüstenstädte Kidal, Timbuktu und Gao an den alten Reisewegen durch die Sahara kämpfen zudem die separatistischen Tuareg wie schon 2012 wieder gegen den Zentralstaat. Das Friedensabkommen, dessen Überwachung zu den Kernaufgaben der Minusma gehörte, ist von beiden Seiten aufgekündigt. Der Abzug der Blauhelme hat einen blutigen Kampf um den Norden ausgelöst, den der malische Staat mit Hilfe von russischen Wagner-Söldnern restlos zurückerobern will.

„Die Lage hat sich in den zehn Jahren extrem verschlechtert. Aber die Minusma hat den Prozess entscheidend verlangsamt, das ist der entscheidende Punkt“, meint Christian Klatt, Büroleiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako. „Sie haben es nicht aufhalten können, aber sie hatten auch nie das Mandat, es aufhalten zu können.“

Die Minusma sei „eine Friedensmission, wo es keinen Frieden zu wahren gibt“, stellte zu Beginn des Jahres das UN-Generalsekretariat selbst fest - Monate, bevor Malis Junta dieselben Worte nutzte, als sie im Sommer abrupt den Abzug der Mission forderte.

Putsch 2020

Die Militärs unter Oberst Assimi Goita hatten sich 2020 an die Macht geputscht, nachdem die gewählte Regierung die Sicherheitslage nicht in den Griff bekam. Sündenbock wurde Ex-Kolonialmacht Frankreich, deren Militär beim Anti-Terror-Kampf helfen sollte. Die UN-Blauhelme sollten dagegen Aufbau und Versöhnung fördern - ohne aktiv zu den Waffen greifen zu dürfen. Die neuen Machthaber wandten sich Russland zu, um aggressivere Unterstützung zu bekommen, als es europäische Partner boten. Offiziell schickte Moskau nur Militärausbilder - inoffiziell bis zu 2000 Söldner der Wagner-Privatarmee.

Seit gut zwei Jahren geht Malis Armee mit russischer Hilfe gegen Rebellen ebenso vor wie gegen Zivilisten, die der Kollaboration verdächtigt werden. Ein UN-Bericht über ein mutmaßliches Massaker mit Hunderten Toten führte schließlich zum offenen Bruch mit der Minusma.

Experten zufolge treibt das brutale Vorgehen der Malier und Russen Teile der Landbevölkerung erst Recht in die Arme der Terrormilizen. Mit dem Ende der UN-Mission, die nicht nur Zivilisten Sicherheit bot, sondern auch staatliche Aufgaben von Schulen bis Wasserversorgung übernahm, drohe sich das zu verschärfen, sagt Ulf Laessing, der für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung das Regionalbüro Sahel leitet.

Flucht in Nachbarländer

„Dieser Tage werden Tausende arbeitslos, vielleicht Zehntausende verlieren ihre Lebensgrundlage, weil Projekte eingestellt werden. Es ist eine soziale Explosion“, warnt Laessing. „Es wird deutlich unsicherer werden, gerade in den großen Orten, wo Minusma war. Es wird mehr Unzufriedene geben, die sich potenziell Dschihadisten anschließen werden.“

Mehr als die Hälfte der rund 23 Millionen Malierinnen und Malier ist jünger als 16, die Geburtenrate gehört zu den höchsten der Welt. Bis 2050 wird sich die Bevölkerung verdoppelt haben. Mali ist einer der größten Goldproduzenten Afrikas, auf dessen Gebiet im Mittelalter einer der wohl reichsten Herrscher in historischer Zeit lebte, und belegt dennoch nur den fünftletzten Platz des UN-Entwicklungsindexes. Und das heiße Land mit der höchsten Durchschnittstemperatur der Welt gehört zu den besonders vom Klimawandel betroffenen Staaten.

Vor Unsicherheit und Ausweglosigkeit fliehen Menschen vor allem innerhalb des Landes und in die Nachbarländer, um sichere Umstände und Arbeit zu finden. Nur wenige schaffen es nach Europa. 2022 stellten rund 4700 Malier in Europa Asylanträge, 125 davon in Deutschland. Die Zahlen könnten steigen, auch da die ebenfalls von Islamisten heimgesuchte Putschregierung im benachbarten Niger ein von der EU mitgestaltetes Gesetz gegen illegale Migration abgeschafft und faktisch eine wichtige Route ans Mittelmeer wieder geöffnet hat.