Paukenschlag in Berlin: Nach 13 Jahren im Amt wurde Volker Kauder als Unions-Fraktionsvorsitzenden abgewählt. Ziel der Protestabstimmung war aber nicht der 69-Jährige, sondern die Kanzlerin, kommentiert unser Berlin-Korrespondent Norbert Wallet.

Berlin - Vielleicht wird es einigen Unionsabgeordneten nun ganz heldenhaft zumute – hat die Fraktion doch in einem Akt demokratischer Selbstermächtigung ihren Dauerchef Volker Kauder gestürzt. In einer auf Stabilität geeichten Partei ist das allemal ein epochales Ereignis.

 

Diese heroischen Anwandlungen mögen ein paar Stunden dauern, um dann umso schneller zu verfliegen. Besonders heldenhaft war die Aktion nämlich keineswegs, denn sie trifft denjenigen im Mikrokosmos der Union, der immerhin tapfer versucht hat, den Laden zusammenzuhalten: sowohl zu Zeiten, da die Merkel’sche Flüchtlingspolitik CDU wie CSU aufwühlte, als auch in jüngster Zeit, da erst die gesamte CSU, dann noch mindestens ein CSU-Minister in selbstzerstörerischer Sturheit Fraktion und Regierung an den Rand des Bruchs gebracht hatten.

Kauders Sturz ist das Mittel, nicht aber das eigentlich Ziel dieser Protestwahl. Bundeskanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer hatten vor der Abstimmung vehement und in seltener Eintracht für die Wiederwahl Kauders plädiert. Dass die Mehrheit der Abgeordneten eine andere Entscheidung getroffen hat, macht deutlich: Abgestraft wurde Kauder, gemeint waren Angela Merkel und Horst Seehofer. Die Fraktion hat ihren Spitzen in der Regierung offen das Misstrauen ausgesprochen.

Fraktion hat ihren Spitzen offen das Misstrauen ausgesprochen

Zu viel hatte die Fraktion nach der Bundestagswahl erdulden müssen. Erst die durch kein Sachargument begründbaren Dreistigkeiten, mit denen Horst Seehofer die Regierungschefin in der Frage der Zurückweisung von Migranten an den Grenzen in die Enge zu treiben versuchte, um sich dann mit einem Kompromiss zufrieden zu geben, der keiner war – nur um seinen Posten zu behalten. Dann die Posse um den Verfassungsschutzpräsidenten, der für ein offenkundiges Fehlverhalten durch einen jedem Bürger unverständlichen „Raufschmiss“ noch belohnt werden sollte. Irgendwann sucht sich der angestaute Unmut ein Ventil.

Das ist verständlich. Sehr fraglich ist dagegen, ob die Abgeordneten wirklich bedacht haben, welche Kaskade an Konsequenzen und Nebeneffekten sie da losgetreten haben. Angela Merkel hatte so eindringlich um Unterstützung für Volker Kauder geworben und wurde so eindeutig von der Fraktion im Stich gelassen, dass nach der Wahl vom Dienstagnachmittag kühl zu konstatieren ist: Diese Kanzlerschaft hat kein Fundament mehr. Und eigentlich muss Angela Merkel das selbst auch so sehen, denn ihr Argument gegenüber den Parlamentariern war ja: Kauders Vorsitz schaffe der Regierung die Stabilität, die sie so dringend benötige.

Möglicherweise stürzt Seehofer nach der Bayern-Wahl

Wie wird es nun weitergehen? Der Schreck, der vielen Beteiligten in die Glieder gefahren sein dürfte, könnte bewirken, dass in der Union wenigstens bis zu den Landtagswahlen in Bayern und Hessen ein Burgfrieden eingehalten wird. Dann aber geht es los: Verliert die CSU in Bayern schwer, wird Horst Seehofer ohne jeden Zweifel als Parteichef zurücktreten. Aber es wird sich in der CSU auch niemand dafür verwenden, dass er in Berlin als Minister weitermacht. Geht aber Seehofer, wird der Ruf laut und lauter, dass dann auch die CDU die Kraft zu einem Neuanfang haben müsse. Selbst wenn sie es noch wollte, würde sich Angela Merkel nicht mehr dagegen stemmen können.

Im Dezember ist der Bundesparteitag der CDU. Er wird der spannendste seit vielen Jahren. Dort muss die Kanzlerin den Weg für einen geordneten Übergang der Macht aufzeigen. Womöglich wird sie als erstes Zeichen den Parteivorsitz abgeben müssen. Und die Partei wird ihren Kronprinzen küren müssen. Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn – oder ein noch unbekannter Dritter. So oder so markiert der Dienstag den ersten Tag der letzten Phase der Kanzlerschaft Merkels.