Radikale Meinungen und Hass sind gesellschaftsfähig geworden, Toleranz und Rücksichtnahme hingegen kommen aus der Mode. Täuscht dieser Eindruck?

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Nach drei Stunden beim Friseur sagt die Ladeninhaberin, man dürfe sich ein Geschenk aussuchen. Warum? „Weil Sie heute die einzige Kundin waren, die geduldig gewartet hat und dabei immer freundlich war.“ Alle anderen waren ungeduldig und unfreundlich. Tatsächlich hat sich der hasserfüllte Tonfall, der heute im Internet längst normal geworden ist, auch in den analogen Alltag eingeschlichen. Menschlichkeit und Mitgefühl gehen in Zeiten der Überreiztheit und kollektiven Erregtheit unter. Der eigene Vorteil steht inzwischen über allem anderen. „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ ist einer der meistgenannten Sätze im Internet. Auch von der „Meinungsdiktatur“, die von „selbst ernannten moralisch Überlegenen“ aufoktroyiert werde, liest man. Zeigt all das jedoch nicht vielmehr das Gegenteil, nämlich, dass längst alles sagbar ist?