„Früher war alles besser“ – oft wird dieses Sprichwort auch mit dem Blick auf Stuttgart genutzt. Doch stimmt diese These? Wir haben uns sieben Kategorien näher angesehen.

Digital Desk: Hanna Helder (hahe)

Es herrscht ein stetiger Wandel – auch in Stuttgart. Veränderungen im Stadtbild gehören da dazu. Einen Kritikpunkt hört man dabei häufig: Die Homogenisierung von Städten, also kurz gesagt, dass die (Innen-)Städte sich scheinbar immer ähnlicher sehen. Doch ist das wirklich der Fall?

 

Immer wieder wird die gute alte Zeit mit der industrialisierten Neuen verglichen. Vor allem in Zeiten der Modernisierung ändert sich einiges im Stadtbild. Es ist eine Sache, einen solchen Wandel an festen Parametern festzumachen. Diese zu bewerten stellt sich hingegen als schwieriges Unterfangen dar, denn Schönheit liegt bekannterweise im Auge des Betrachters. Auch die Frage „Wann ist eigentlich früher?“, ist schwer zu beantworten. Daher ist es unmöglich, ein allumfassendes Fazit zu treffen.

Profan gesagt: Der Vermieter profitiert von einem steigenden Mietspiegel, während der Mieter darunter leidet. Wir haben uns daher sieben Kategorien näher angesehen, die Veränderungen in Stuttgart zeigen sollen.

1. Sicherheit: Mehr Awareness und Safespace in der Stadt

Nicht erst seit dem Rammstein-Eklat hat das Thema „Awareness“ insbesondere auf Veranstaltungen und im Nachtleben an Aufmerksamkeit gewonnen. Und auch wenn der Weg noch ein weiter ist, hat sich in Stuttgart in den letzten Jahren einiges in der Hinsicht getan: Auf Großveranstaltungen wie dem HipHop Open und in manchen Clubs der Stadt werden beispielsweise Awareness-Teams eingesetzt, die als Anlaufstelle dienen sollen, sobald man sich unwohl fühlt.

Manche Clubs gehen noch weiter: Im neuen Sunny High Club in der Schwabenbräu-Passage gibt es neben einem Awareness-Team zum Beispiel Abende und Workshops, die sich an Frauen und benachteiligte Gruppen richten.

Generell hat das Angebot an sogenannten „Safe Spaces“ für Mädchen und Frauen in der Stadt zugenommen. Auch das größte Volksfest in der Region, der Wasen, zieht mit und richtet die „Wasenboje“ ein. Ob wegen Belästigung oder weil man einfach mal seine Ruhe will, die Boje soll die Anlaufstelle sein.

Hier gibt es Safe Spaces in Stuttgart:

Feministisches Frauen Gesundheitszentrum (FF*GZ), Kernerstr. 31, Stuttgart-Mitte

Migrantifa Stuttgart, Bahnhofstr. 14, Stuttgart-Bad Cannstatt

Mädchen*Stuttgart

Weissenburg Zentrum, Weißenburgstr. 28A, Stuttgart-Mitte

Legal Café, Bahnhofstr. 14-18, Stuttgart-Bad-Cannstatt

2. Nachtleben und Gastronomie

Die Zeiten der Pandemie haben vor allem das Nachtleben und die Gastronomie stark getroffen. Zahlreiche Bars, Clubs und Restaurants mussten schließen und haben immer noch mit den Konsequenzen zu kämpfen. Das Phänomen, dass solche Institutionen immer wieder aus dem Stadtbild verschwinden, ist jedoch kein Neues.

Die Fritty Bar schloss nach 35 Jahren, weil das Mietverhältnis nicht verlängert wurde. Im Kellerclub gingen die Lichter bereist 2020 aus. Und auch die Traditionsbäckerei Brotfreunde Grau ereilte das Schicksal – ein Schock für viele Fans der Backkunst.

Es ist bedauernswert, wenn Lieblingscafés, Bars oder Diskotheken schließen müssen. Aber es kommt auch immer wieder zu Neueröffnungen. Auf das „Tarte und Törtchen“ im Stuttgarter Westen folgt nun zum Beispiel „Hans liebt Kuchen“, in Bad Cannstatt hat gerade erst der Sunny High Club eröffnet und im Hotel am Schlossgarten hat sich vorübergehend das „Studio Amore“ eingenistet.

3. Verkehr und Öffentlicher Nahverkehr

Immer wieder wird Stuttgart als Autostadt betitelt, was einerseits auf die große Autoindustrie zurückzuführen ist und andererseits auf das große Verkehrsaufkommen in und um Stuttgart – auch dieser Bereich und die Entwicklung dahinter ist essenziell für eine Stadt.

Während 1980 243.749 Kraftfahrzeuge in Stuttgart existierten, stieg die Anzahl auf 346.934 im Jahr 2017 an. Aus Sicht der Nachhaltigkeit ist das ein Grund für steigende Emissionen und negativ zu werten, für die Autoindustrie hingegen wohl eine wichtige ökonomische Entwicklung. Trotz des Zuwachses an Autos sank die Zahl der Unfälle von 1980 von 13.286 Unfällen auf 2996 Unfälle im Jahre 2022.

Auch in Sachen Beförderung von Fahrgästen änderte sich einiges: Abgesehen von den Corona-Jahren stieg die Anzahl der Menschen, die auf öffentliche Verkehrsmittel des Verkehrsverbundes Stuttgart zurückgegriffen haben, immer weiter an - schrieb der Pressesprecher der VVS unseren Zeitungen. Von 2003 bis 2019 stieg die Zahl der beförderten Gäste von 308.000.000 auf 394.000.000 an, was dann jedoch 2020 auf 240.000.000 abfiel, was der Coronapandemie geschuldet war. 2022 stieg die Zahl dann wieder auf 341.000.000 Gäste pro Jahr an. Im Jahr 2023 stieg die Anzahl erneut an, was mit der Lockerung nach den Corona-Jahren und der Einführung des Deutschland Tickets zu tun hat.

Nach Aussagen der Deutschen Bahn ist dieses Wachstum nicht nur positiv zu sehen, da die Infrastruktur nicht mit dem Andrang mitwachsen konnte und somit Verspätungen der S-Bahnen die Folgen sind.

4. Die Entwicklung des VfB Stuttgart

Der VfB Stuttgart spielt in dieser Bundesliga-Saison seit Langem wieder oben mit und kann auch dank großartiger Einzelleistungen, wie denen von Serhou Guirassy, glänzen. Der jahrelange Kampf um den Abstieg scheint aktuell fern. Auch hat sich mit Chris Führich seit längerer Zeit wieder ein Spieler des VfB einen Platz in der deutschen Nationalmannschaft ergattert.

Die letzte Meisterschaft gewann der VfB Stuttgart 2006/2007. Damals waren noch Thomas Hitzelsperger und Christian Gentner im Kader, die beide mittlerweile nicht mehr aktiv im Profifußball tätig sind. Davor gewann der VfB unter Christoph Daum in der Saison 91/92 die Bundesliga.

Rein hypothetisch: Würde der VfB so weiterspielen und den Punkteschnitt von 2,625 Punkten pro Spiel beibehalten, dann würden sie rein punktetechnisch an die Leistung von 2006/2007 anknüpfen. Ob solche Hypothesen sinnvoll sind, bleibt fraglich. Fakt ist: Aktuell haben VfB-Fans viel zu jubeln.  

5. Wetter und Klima

Das Klima und seine Auswirkungen sind gesellschaftlich stark diskutiert. Klimabedingte Veränderungen des Wetters machen sich auch in Stuttgart bemerkbar. Weiße Weihnachten werden beispielsweise immer seltener:

Was als „normale“ Temperatur gilt, hat sich im Vergleich zu früheren Jahrzehnten verschoben - milde Winter und große Hitze im Sommer kommen häufiger vor als vor dreißig oder sechzig Jahren. Dass dies im Alltag immer öfter spürbar wird, hat sich auch verändert, wie unsere Redaktion berichtet: Das Datenprojekt „Klimazentrale“ ermöglicht es das aktuelle Klima in Stuttgart mit dem der vergangenen Jahrzehnte zu vergleichen.

6. Wirtschaft

„Dank erstklassigen Großbetrieben, starken mittelständischen und kleinen Betrieben, innovativen Startups und Forschungszentren behauptet sich Stuttgart auf dem deutschen Markt“, so betitelt die Stadt Stuttgart ihre Wirtschaft.

Um Zahlen zu nennen: Das Bruttoinlandsprodukt stieg seit 2000 von 31.807.000 bis 2021 um 17.937.000 Euro an. Damit macht das ungefähr 12% des Bruttoinlandproduktes in ganz BadenWürttemberg aus. Ganz allgemein kann hier von einem Wirtschaftswachstum gesprochen werden. Das Bruttoinlandsprodukt berechnet die Wirtschaftleistung eines Staates – soziale Aspekte werden dabei nicht berücksichtigt.

Ein weiterer relevanter Aspekt für Bürger und Bürgerinnen ist der Mietspiegel, der seit 1976 alle zwei Jahre von der Stadt Stuttgart veröffentlicht wird. Er dient dazu, Mietspannen zu berechnen und festzulegen. Dafür werden einige Faktoren, wie die Lage und die Ausstattung berücksichtigt und nochmals genauer spezifiziert. Es ist nicht leicht, die Werte von 1976 mit den heutigen zu vergleichen, da viele Aspekte wie die Lage mittlerweile genauer definiert sind und sich in der Berechnung einiges geändert hat.

Als Beispiel dient dieses:

Mietspiegel 1976: Eine Neubauwohnung (Baujahr 1.1.1969 bis zum 31.12.1975) kostete in der besten Lage (Absolut ruhig, günstige Lage zur Innenstadt), bei einer Größe bis zu 60 Quadratmeter, mit guter Ausstattung (Wohnung entspricht den neusten Ansprüchen) und in bester Lage pro Quadratmeter 6-7,40 DM Miete.

Mittlerweile änderte sich nicht nur die Währung, sondern auch einiges am Preis:

Mietspiegel 2023 : Eine Wohnung, die 1975 gebaut wurde, 60 Quadratmeter groß ist, nicht energetisch saniert wurde, in „Mitte 1“ liegt, keinen Balkon hat, Zentralheizung und mit Parkett ausgestattet ist, bemisst eine Mietspanne von 9,29 Euro - 12,93 Euro pro Quadratmeter.

Auch wenn die Werte nicht genau identisch sind, ist hier ein Anstieg des Mietspiegels zu erkennen. Die Berechnung des Mietspiegels ist auf jeden Fall durch den eingeführten Rechner einfacher und präziser für die Mieter und Mieterinnen zu erfassen.

7. Freizeitmöglichkeiten

Mit der steigenden Anwohnerzahl stieg auch das Freizeitangebot in den letzten Jahren immer weiter an. Viele Subkulturen, wie das Skaten, haben mittlerweile eigene Anlagen in der Stadt und auch Fitnessfans können in neu errichten Calisthenics-Parks ihre Übungen durchführen.

Nicht nur Subkulturen, sondern auch die Nachfrage an Teamsportarten sind gewachsen. Mittlerweile existieren in Stuttgart drei Baseballvereine mit insgesamt 550 Mitgliedern, während 1982 kein einziger Verein existierte. Auch die Nachfrage nach Fußball stieg an: Die Mitgliederzahl stieg von 1990 mit 24.142 Mitgliedern auf 98.090 Mitgliedern an.

Die genannten Aspekte und Werte sind nur Teilausschnitte der einzelnen Bereiche und sollen einen kleinen Einblick in die Entwicklung der Stadt Stuttgart geben. Auch wenn kein eindeutiges Fazit gemacht werden kann, wird doch deutlich, dass sich in Stuttgart einiges getan hat. War also wirklich früher alles besser oder ist das vielleicht nur Nostalgie?