Schwer verletzt fristet das Junge am Stadtparksee sein trauriges Dasein. Eine Tierfreundin schlägt bei den Behörden Alarm.

Leonberg - Das Gänsekind lässt den einen Flügel hängen, hinkt fürchterlich und läuft schließlich nicht mehr weiter. Dem Tier ist anzusehen, dass es starke Schmerzen hat. Es kann nicht mit seinen Geschwistern mithalten, ist nicht fähig zu schwimmen, geschweige denn zu fliegen. Einsam bleibt es am Ufer, schaut den anderen nach.

 

Regina Sangster, eine Besucherin des Stadtparkes in Leonberg, ist das Bild noch in guter Erinnerung. Bei ihren Spaziergängen war ihr ein Gänsekind aufgefallen, das einen gebrochenen Flügel hatte. Sie beobachtete, wie die Eltern des Gössels ihren Abflug sehr weit hinauszögerten. Schließlich starteten sie in den Süden und ließen das Junge alleine zurück.

„Das ist unterlassene Hilfeleistung“

Doch bevor es soweit gekommen war, musste Regina Sangster erleben, dass Tierschutz bei vielen Institutionen offenbar keine Lobby hat. Sie hatte beim städtischen Ordnungsamt, beim Naturschutzbund, beim Tierarzt, beim Tierheim in Böblingen und sogar bei der Polizei angerufen. Doch niemand war bereit, dem kranken Gänsekind zu helfen. Jedes Mal bekam Sangster die Antwort, dass keine Zuständigkeit vorliegt oder dass man der Natur auch Mal freien Lauf lassen muss.

Für Regina Sangster eine unfassbare Situation. Dass sich niemand zuständig fühlte und dem Gänsekind helfen wollte, ist für sie nicht nur unverständlich, es macht sie wütend. „Das ist unterlassene Hilfeleistung an einem Lebewesen“, ist die Frau entsetzt. „Bei dem Fall des Gänsekindes sieht der Mensch keinen Vorteil für sich und schiebt die Verantwortung auf den Lauf der Natur, um sich zu rechtfertigen.“

Muss die Gans nach Norddeutschland?

Doch die Leonbergerin gibt nicht auf: Durch diverse Anrufe wird der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) auf das Gänsekind aufmerksam. Die Naturschützer kümmern sich um die kleine Gans. „Sie war sehr zutraulich und kam zu mir her“, erzählt das Vorstandsmitglied Astrid Grauel von einem Besuch am See. „Das Tier hatte sogar Freunde gefunden und ist mit ihnen weggeschwommen, als ich da war.“

Da es im Moment sehr viele akute Fälle von kranken Tieren gibt und es dem Gänsekind gut zu gehen schien, hat Astrid Grauel erst einmal keine weiteren Schritte unternommen. „Ich habe keinen dringenden Handlungsbedarf gesehen. Das Gänsekind war gut ernährt und schien nicht zu leiden“, sagt Grauel. „Aber wir halten für den Winter auf jeden Fall nach einem Dauerplatz für das Gänsekind Ausschau. Die sind leider rar gesät. Wenn überhaupt, wird sich in Norddeutschland eine freie Stelle für das Gänsekind finden.“

Der Vogel lebt weiterhin im Stadtpark

Nicht nur der BUND hatte mittlerweile ein Auge auf das Gänsekind am Stadtparksee geworfen. Auch die Leonberger Anglerfreunde, zu deren Revier der Stadtparksee gehört, wollten helfen. Sie fingen das Tier ein. „Wir haben es in unsere Praxis gebracht und dort medizinisch versorgt“, erzählt Matthias Grassmann. Er ist der erste Vorsitzende des Anglervereins und hat als Tierarzt eine Kleintierpraxis.

„Wir hatten schon einmal einen ähnlichen Fall. Dabei sind Gänse aus einem Park in Hochhäuser geflogen, weil sie nicht schnell genug an Höhe gewonnen haben. Wir mussten deshalb ihre Flügel stutzen“, erzählt der Tierarzt. „Mich haben teilweise Leute angerufen, um zu sagen, dass sie eine Gans in ihrem Wohnzimmer sitzen haben.“

Mittlerweile geht es dem Gänsekind dank der Hilfe des Tierarztes wieder besser. Bis der Bund für Umwelt und Naturschutz einen Dauerplatz für den Vogel findet, lebt er im Stadtpark weiter. Und wird natürlich von seinen zweibeinigen Helfern genau im Auge behalten. Könnte die kleine Gans reden, würde sie sich wohl ganz besonders bei Regina Sangster bedanken.