Der Ziegenmelker blockiert den Ausbau des Tübinger Uniklinikums, eine großflächige Waldrodung droht. In einem Brief hat OB Boris Palmer Ministerpräsident Kretschmann um Hilfe gebeten.

Baden-Württemberg: Florian Dürr (fid)

Der Ziegenmelker ist niemand, der die Milch aus den Eutern der Tiere massiert – auch wenn das bei diesem Namen ein nahe liegender Gedanke wäre. Beim Ziegenmelker handelt sich um eine gefährdete Vogelart. Da kommt es dem Tier vielleicht sogar gelegen, dass es in den vergangenen Tagen neue Bekanntheit erlangt hat.

 

Der Vogel erreichte mit seinem Gezwitscher die Ohren eines Ornithologen

Bedanken können sich die noch lebenden Ziegenmelker bei Boris Palmer (parteilos) – auch wenn der eher weniger gut auf den Vogel zu sprechen ist: Der Tübinger OB hat unter der Woche in der Talkshow „Markus Lanz“ sein Leid über den blockierten Ausbau des Uniklinikums in seiner Stadt beklagt – und sich deshalb auch mit einem Brief an Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gewandt.

Der Vogel mit dem eigenartigen Namen soll der Grund sein, warum das 500-Millionen-Euro schwere Bauvorhaben in der Stadt am Neckar nicht in Gang kommt. Denn der Ziegenmelker fühlte sich offenbar wohl in der Nähe der Uniklinik. Sein Gezwitscher von den Dächern erreichte die Ohren eines Ornithologen. Über Jahre hinweg sei tatsächlich ein männliches Exemplar gesichtet worden. „Es steht außer Frage, dass ein Schutzbedürfnis besteht“, räumt Palmer in seinem Brief selbst ein.

Zehn Hektar Wald müssten für die erneute Ansiedelung gerodet werden

Doch mittlerweile wurde der Ziegenmelker so lange nicht mehr gesehen, dass davon auszugehen sei, dass der Vogel inzwischen nicht mehr am Leben ist. Dem Bau steht also nichts mehr im Wege? Das würde sich der Tübinger OB wünschen, doch die Realität ist komplizierter: Jetzt wird die Gegend am Tübinger Uniklinikum laut Naturschutzgesetz als Ziegenmelkererwartungsgebiet eingestuft. „Nicht nachvollziehbar“, ärgert sich Palmer. Der Ex-Grüne will trotzdem bauen.

Das wäre zwar möglich, aber nur unter der Voraussetzung, dass zehn Hektar Wald in der Nähe der Kliniken gerodet werden – damit der Ziegenmelker als sogenannte Offenlandart die Möglichkeit zur erneuten Ansiedelung bekommt. „Dies allein dürfte bei vielen Menschen bereits die Frage auslösen, ob der Anlass den Aufwand wert ist“, schreibt Palmer. Zudem müsste dann eine Ausgleichsfläche gefunden werden, um dort wieder viele, neue Bäume anzupflanzen.

Rätsel um den eigenartigen Namen gelöst

Von „absurden Konsequenzen aus sicherlich gut gemeinten Vorschriften“, schreibt Palmer im Brief an Kretschmann und bittet ihn, „entsprechende Gesetzgebungsverfahren zu erwägen“. Mittlerweile hat der Tübinger OB auch eine Antwort aus dem Staatsministerium erhalten. In dem Schreiben heißt es, Umwelt-und Landwirtschaftsministerium hätten bereits „mehrere Lösungsvorschläge für den Klinikausbau identifiziert“. Und Kretschmann habe die Ministerin gebeten, „zeitnah auf alle Beteiligten zuzugehen, um (...) ein gemeinsames Vorgehen zu vereinbaren“. So soll am Ende sowohl der Arten-und Forstschutz gewahrt bleiben als auch der Klinikausbau ermöglicht werden.

Wie die Lösungen aussehen, wurde nicht ausgeführt. Auch Palmer erkennt in der Antwort nicht, wie er um das Fällen der Bäume herumkommen soll. Dafür ist aber das Rätsel um den Namen des Protagonisten dieser Geschichte gelöst: Wegen der vielen Insekten halten sich Ziegenmelker gerne in der Nähe von Ziegen auf. Der Nabu erklärt auf seiner Internetseite: „Ziegenmelkern wurde nachgesagt, dass sie nachts den Ziegen die Milch stehlen.“ Derzeit rauben sie Boris Palmer den letzten Nerv.