Vor 200 Jahren wurde Ernst Litfaß geboren. Seine Geschäftsidee sollte das Chaos der Werbezettel ordnen. Das Modell bewährt sich bis heute. Die „Annonciersäule“ funktioniert auch im Zeitalter des Internets.

Berlin - Sein Name ist untrennbar mit der „Annonciersäule“ verbunden. Vor 200 Jahren, am 11. Februar 1816, wurde Ernst Theodor Amandus Litfaß in Berlin geboren. Nach einer Buchhändlerlehre stieg der spätere Druckereibesitzer und Verleger Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Litfaßsäule zum „König der Reklame“ auf. Dabei waren seine Interessen zunächst ganz andere. Nach der Lehre tingelte er als Schauspieler und gründete an der Spree ein Theater. Ausgedehnte Reisen führten ihn nach England, Frankreich, Belgien und Österreich. 1845 trat er in das Druck- und Verlagshaus seines Stiefvaters Leopold Wilhelm Krause ein. Der starb im darauffolgenden Jahr, und Litfaß übernahm den Betrieb in der Adlerstraße 6.

 

Während der Märzrevolution 1848 gab er verschiedene liberale Flugschriften und Zeitungen heraus, darunter den „Berliner Krakehler“, dessen Erscheinen nach wenigen Monaten verboten wurde. Nach dem Scheitern der Aufstände konzentrierte sich Litfaß auf die Expansion seines Unternehmens. Er ersetzte die alten, hölzernen Druckerpressen durch moderne Schnellpressen, beschaffte neue Schriftarten und führte den „Buntdruck“ ein. Aufmerksamkeit gewann er zudem durch die Herstellung riesiger „Kunstplacate“ im Format 20 x 30 Fuß (6,28 x 9,42 Meter).

Sein größter Coup gelang ihm 1854. Nach jahrelangen Verhandlungen erhielt er am 5. Dezember von Polizeipräsident Karl Ludwig von Hinckeldey die Konzession zur „Errichtung einer Anzahl von Anschlagsäulen auf fiskalischem Straßenterrain zwecks unentgeltlicher Aufnahme der Plakate öffentlicher Behörden und gewerbsmäßiger Veröffentlichungen von Privatanzeigen“. Ein sperriger Titel, doch das Monopol war beinahe so wertvoll wie eine Lizenz zum Gelddrucken.

Bis dato hatten wilde Plakatierer ihre Nachrichten, Bekanntmachungen und Reklame an Häuser, Mauern, Zäune und Laternen gepappt. Litfaß wollte den chaotischen Wust von Werbezetteln bekämpfen. Dazu passte: wer die Plakatflut regulierte, konnte die Meinung beeinflussen oder indirekt Zensur ausüben.

Brunnen und Pissoirs mit Holz verkleidet

Im Berliner Stadtgebiet wurden hundert neue Säulen errichtet und 50 bereits existierende Brunnen und Pissoirs mit Holz verkleidet, um sie als Werbefläche zu verwenden. Die Vorfinanzierung übernahm der Litfaß-Vertraute Ernst Renz, von Beruf Zirkusdirektor. Im 15. April 1855 stellten Arbeiter an der Ziegenbockswache in der Münzstraße 23 die erste Litfaßsäule auf. Sie wurde am 1. Juli mit einem Festakt eingeweiht. Die Berliner kamen in Scharen, ein Musikkorps spielte. Litfaß hatte zu dem Anlass von dem Ungarn Béla Kéler eine Annoncier-Polka komponieren lassen. Am nächsten Tag wurden alle Säulen der Öffentlichkeit übergeben.

Litfaß hatte sich dazu verpflichtet, stets die neuesten Verordnungen und Bekanntmachungen wie Wahlaufrufe oder Mobilmachungen kostenlos an den Säulen zu plakatieren. In den Kriegen von 1866 und 1870 besaß er die Exklusivlizenz zur Publikation der Kriegs- und Siegesnachrichten. Privat- und Geschäftsleute hingegen mussten für die Werbung auf den runden „Stadtmöbeln“ bezahlen. Tanzlokale, Theater oder Zirkusse machten auf ihre Angebote aufmerksam, Heiratsankündigungen und Vereinsneuigkeiten waren hier zu finden. Für viele bedeuteten die Säulen eine willkommene Informationsquelle. „Im 19. Jahrhundert konnten sich Leute mit wenig Geld keine Zeitung leisten“, sagt der Berliner Autor und Litfaßsäulen-Experte Reinhard Wahren, „sie sind einfach an die nächste Ecke gerannt, um sich zu informieren.“ Oder sie lasen die neuesten Nachrichten bei einem Spaziergang.

Leute mit wenig Geld konnten sich keine Zeitung leisten

Der Erfinder der „Annonciersäulen“ war Litfaß aber nicht. Die Idee dazu hatte er von seinen Reisen aus London und Paris mitgebracht. Schon im Jahre 1824 hatte der Kaufmann George Samuel Harris ein Patent für achteckige, drehbare, von innen mit Kerzen oder Lampen beleuchtete Plakatsäulen angemeldet. Die standen auf Pferdewagen und wurden durch die britische Hauptstadt gezogen.

Der Volksmund nannte ihn „Säulenheiliger“

Trotz anfänglichen Spotts in manchen Zeitschriften: der Siegeszug der Reklamesäulen war nicht aufzuhalten. Mit steigendem Wohlstand engagierte sich Litfaß vermehrt sozial, er half Alten, Kranken und Mittellosen. 1863 wurde er zum königlichen Hofbuchdrucker, 1865 zum Ritter des Kronenordens und 1867 zum Geheimen Commissionsrath ernannt. Der Berliner Volksmund nannte ihn anerkennend „Säulenheiliger“. Litfaß’᾿ Lizenz war bis 1880 befristet. Bei der Neuausschreibung der Konzession – da war der Reklamepionier schon tot – erhielt die Konkurrenz den Zuschlag und überbot seine Nachkommen.

Nach und nach verbreiteten sich die Litfaßsäulen in ganz Deutschland. Immer wieder mal wurden sie totgesagt, doch ihr klassischer Charme machte sie zum glaubwürdigen Medium, günstige Werbepreise sorgen für ungebrochene Beliebtheit. Deshalb stehen bis heute landauf, landab noch rund 50 000 der „Reklamepfosten“, allein in Berlin sind es etwa 3000. In der Regel werden die Betonsäulen alle zehn bis elf Tage frisch plakatiert. In Berlin tragen eine Schule und ein Platz Litfaß’᾿ Namen. Im Juli 2016 kommt zum 200. Geburtstag eine 20-Euro-Gedenkmünze heraus. Er starb am 27. Dezember 1874 während der Kur in Wiesbaden im Alter von 58 Jahren.