Ein Medikament schützt erfolgreich vor HI-Viren. Doch hierzulande ist es nur schwer zu bekommen. Nicht jeder Arzt kann das Präparat verschreiben. Hinzu kommen Lieferengpässe. Welche Folgen dies für den Kampf gegen die Aids-Pandemie hat.

Wer sich vor Aids schützen will, kann das nicht nur mit Kondomen tun, sondern auch mit der sogenannten Prä-Expositionsprophylaxe, kurz PrEP. Sie ist seit September 2019 eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Etwa 32 000 Bundesbürger nutzen das Medikament regelmäßig, dessen Wirkstoffe eingedrungene HI-Viren abtötet – auch der Stuttgarter Mirko R. .Die Tabletten seien gut verträglich, sagt er. Überhaupt sei das Medikament ein Segen – auch weil es seiner Meinung nach dabei helfen könnte, die Zahl der HIV-Neuinfektionen hierzulande deutlich zu senken. „Vorausgesetzt, es lassen sich mehr Menschen PrEP verschreiben.“

 

Doch genau dies sei das Problem: „Vor allem in Baden-Württemberg erschweren behördliche Vorschriften den Zugang zu dem Medikament“, sagt Mirko R.. In seinem Bekanntenkreis würden viele PrEP gerne nutzen, fänden aber kaum einen Arzt, der es ihnen verschreibe. Bei der Zulassung wurde festgelegt, dass Mediziner, die eine HIV-Schwerpunktbehandlung durchführen oder sich besonders qualifiziert haben, auch für die PrEP ein Rezept ausstellen dürfen. Dies sind in Baden-Württemberg aktuell 36 Ärzte, verteilt auf 23 Praxen. In Stuttgart sind es drei Einrichtungen. „Und die sind chronisch überlastet und s gibt monatelange Wartezeiten“, sagt Mirko R.. Er selbst musste daher nach Tübingen ausweichen.

Rund 91 000 Menschen in Deutschland sind HIV-positiv

Was der Stuttgarter aus eigener Erfahrung schildert, können Gesundheitsexperten für das gesamte Bundesgebiet bestätigen: Sowohl das Robert-Koch-Institut (RKI) als auch die Deutsche Aidshilfe mahnen im Vorfeld des Weltaidstags am 1. Dezember, dass deutlich mehr Menschen von der Vorsorge profitieren könnten, wenn die Versorgungsstrukturen erweitert würden. Rund 91 000 Menschen in Deutschland sind nach Angaben des RKI derzeit HIV-positiv. Etwa 9000 Menschen mit HIV wissen nach Hochrechnungen nichts von ihrer Infektion.

In Baden-Württemberg sind vor allem die Landkreise Esslingen, Karlsruhe, Heidelberg, Friedrichshafen und Pforzheim von der Unterversorgung betroffen, bestätigt Hans-Peter Diez von der Aidshilfe Stuttgart. „Von dort pilgern viele Patienten zu den Schwerpunktpraxen in den nahe gelegenen Ballungszentren.“ Dort stoße so manche Praxis dann an die Grenzen ihrer Kapazität. Dabei wäre es durchaus sinnvoll, wenn mehr Einrichtungen diese Form der Versorgung anbieten, bestätigt Daniel Schmidt, der Leiter des PrEP-Monitorings am RKI. Bisher gibt es eine Reihe von Auflagen, die etwa für gynäkologische oder allgemeinmedizinische Praxen gelten: Um das Medikament zu verschreiben, braucht es eine besondere Qualifikation.

Inzwischen hat auch die Landespolitik das Problem erkannt: In einem Antrag haben die Grünen im Stuttgarter Landtag Aufklärung über die derzeitige Versorgungssituation gefordert. „Es ist eine schlechte Nachricht, dass sowohl die Zahl der PrEP-verordnenden Praxen als auch die Zahl der PrEP-verordnenden Ärztinnen und Ärzte im Land zuletzt sogar leicht zurückgegangen ist“, sagte der Abgeordnete Oliver Hildenbrand unserer Zeitung.

Der Bericht der Landesregierung zeigt: „Um mehr Ärzte für die Versorgung zu gewinnen, braucht es mehr Niedrigschwelligkeit – etwa durch E-Learning für die PrEP-Qualifizierung.“

Er gibt Lieferengpässe bei PrEP

Darüber muss letztlich die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zusammen mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV) entscheiden. Auf Anfrage unserer Zeitung bestätigt die KV, dass es derzeit tatsächlich Verhandlungen darüber gibt, die Anforderungen für Ärzte in Sachen PrEP-Versorgung zu senken. Genauere Angaben gibt es dazu aber noch nicht – weshalb der Grünen-Politiker Hildenbrand hofft, dass die Forderung seiner Fraktion das Verfahren auf Bundesebene beschleunigt.

Derweil verschärft sich der Druck auch von anderer Stelle: Denn die PrEP ist von Lieferengpässen betroffen, was auch HIV-Infizierte in Schwierigkeiten bringt. Die Wirkstoffkombination ist auch Teil der antiretroviralen Therapie. „Wir können nur versuchen, die Therapie auf andere Medikamente umzustellen – was meist viel teurer wird und vermehrt zu Nebenwirkungen führen kann“, warnt der Verband ambulant tätiger HIV-Mediziner.

Dieser sieht vor allem die Politik in der Pflicht, etwas gegen die eskalierenden Lieferprobleme zu unternehmen: Es sei Zeit, die Ursachen ehrlich zu analysieren und für strukturelle Änderungen zu sorgen.

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