Die US-Umweltbehörde legt sich mit den wichtigsten Gewinnbringern des VW-Konzerns an. Die umstrittenen 3-Liter-Motoren sind von Audi entwickelt worden.

Stuttgart - Die Börse reagierte verschnupft. Als am Dienstag der Handel mit der VW-Aktie begann, kannte der Kurs nur eine Richtung: abwärts. In einer ersten Reaktion rutschte der Wert des Papiers zunächst einmal um bis zu fünf Prozent nach unten und zog dabei auch die Aktien von BMW und Daimler mit. Dabei hatte der durch den Abgas-Skandal stark gebeutelte Wolfsburger Autokonzern gerade erst ein Lob von der US-Investmentbank J. P. Morgan bekommen. Die Bank hob am Montag das Kursziel für die VW-Aktie leicht von 179 auf 180 Euro an. Das wäre fast doppelt so hoch wie der aktuelle Stand.

 

Dem neuen Finanzvorstand Frank Witter sei es gelungen, wieder Vertrauen aufzubauen, schrieb der Analyst Jose Asumendi am Morgen in einer Studie. Witter hatte in der vergangenen Woche in einer Telefonkonferenz mit Analysten und Journalisten die Zwischenbilanz des Konzerns für das dritte Quartal und die ersten neun Monate dieses Jahres vorgestellt.

EPA veröffentlicht „Notice of Violation“

Doch auf dieses Lob der New Yorker Bank folgte am gleichen Tag eine Hiobsbotschaft aus Amerika: Die Umweltschutzbehörde EPA veröffentlichte am Abend eine „Notice of Violation“. Die Behörde wirft dem europäischen Branchenprimus einen zweiten Gesetzesbruch vor. Auch in der Motorsteuerung von den Dieselmotoren mit 3-Liter-Hubraum soll eine Software eingesetzt worden sein, mit der die Stickoxid-Emissionen manipuliert wurden. Die Software soll dazu dienen, dass die Motoren die Emissionsgrenzen auf dem Prüfstand zwar einhalten, auf der Straße dagegen nicht. „Volkswagen hat erneut gegen das amerikanische Gesetz zur Luftreinhaltung verstoßen“, rügte Cynthia Giles von der US-Behörde.

Die Environmental Protection Agency (EPA) ist eine mächtige Behörde. Jeder Autohersteller muss seine Modelle von der EPA zertifizieren lassen, bevor er sie in Amerika verkaufen darf. Bei Verstößen drohen hohe Strafen. Mit ihrer ersten „Notice of Violation“ hatte die EPA am 18. September das große Beben im VW-Konzern ausgelöst. VW gab sich als reuiger Sünder. Vorstandschef Martin Winterkorn verlor seinen Job und wurde von dem bisherigen Porsche-Chef Matthias Müller abgelöst. Ein ganzes Personalkarussell wurde in Gang gesetzt, Manager wurden freigestellt, der Aktienkurs stürzte ab.

Auch der Audi A8 und der Porsche Cayenne sind betroffen

Damals ging es um rund elf Millionen Wagen der Marken VW, Audi, Skoda und Seat mit Motoren zwischen 1,2- und 2-Liter-Hubraum, bei denen eine Schummel-Software eingebaut wurde. Neu ist, dass nun neben VW und Audi auch erstmals Porsche am Pranger steht. Insgesamt geht es laut EPA um etwas über 10 000 Autos der Modelljahre 2014 bis 2016. Besonders brisant ist die zweite Rüge nicht nur, weil dies den Eindruck erweckt, dass fortgesetzt geschummelt wurde und immer mehr Betrügereien ans Licht kommen, sondern brisant ist sie auch, weil dieses Mal auch besonders prestigeträchtige Wagen wie der Porsche Cayenne sowie das Audi-Flaggschiff A8 betroffen sind. Daneben geht es um den VW Touareg sowie die Modelle Q5, A6 und A7 von Audi. Mit Audi und Porsche greift die EPA die wichtigsten Gewinnbringer des Konzerns an. In den ersten neun Monaten dieses Jahres brachten beide zusammen fast 70 Prozent des gesamten operativen Konzerngewinns, wobei hier die Rückstellungen für Rückrufe ausgeklammert sind. Die Milliardenrückstellungen werden zentral im Wolfsburger Mutterkonzern verbucht, belasten also nicht die Ertragsrechnung der Töchter.

Anders als am 18. September wies VW nun die Vorwürfe harsch zurück. „Die Volkswagen AG betont, dass keine Software bei den 3-Liter-V6-Diesel-Aggregaten installiert wurde, um die Abgaswerte in unzulässiger Weise zu verändern“, steht fett gedruckt in einer knappen Pressemitteilung.

Audi hat die 3-Liter-Motoren für VW entwickelt

Von den bisher bekannten insgesamt elf Millionen Autos des VW-Konzerns mit Betrugssoftware waren 2,4 Millionen Audi-Modelle. Das Gros davon entfällt nach Audi-Angaben auf Europa. Wie viele nun hinzukommen, wenn die EPA recht haben sollte, kann Audi nach eigenen Angaben nicht abschätzen. Was jedoch vielleicht noch schwerer wiegt als zusätzliche Rückrufe: Audi hat die 3-Liter-Motoren, um die es jetzt geht, für den VW-Konzern entwickelt. Damit könnten, wenn die Vorwürfe stimmen sollten, auch Audi-Techniker ihre Finger mit im schmutzigen Spiel gehabt haben. Audi dementiert das vehement. Die neuerlichen Diskrepanzen bei den Messwerten kann Audi aber nicht erklären.

Audi stellt diese großen Motoren auch für die Schwester Porsche her. In Stuttgart gab man sich am Dienstag wortkarg. „Wir können die Vorwürfe nicht nachvollziehen und müssen sie erst prüfen“, bat ein Sprecher um Geduld. Der Cayenne ist der einzige Porsche, der auf dem US-Markt auch mit Diesel-Motor verkauft wird. Insgesamt geht es nach Angaben des Sprechers bei den EPA-Vorwürfen um 3000 Autos. Die USA waren lange der mit Abstand wichtigste Markt für Porsche. Vor Kurzem hat sich China an die Spitze gesetzt.

BMW spürt bisher keine Auswirkungen der VW-Krise auf das eigene Geschäft mit Dieselautos. Aber die Unsicherheit ist spürbar. „Derzeit beobachten wir keine Veränderung im Kundenverhalten“, versicherte BMW-Chef Harald Krüger bei der Vorlage der Ergebnisse für das dritte Quartal. Er wies jedoch zugleich darauf hin, dass zwischen Bestellung und Auslieferung des Wagens in der Regel zwei bis drei Monate liegen. Falls in den Köpfen von Kunden also derzeit ein Umdenken beginnt, wäre das in den jüngsten Verkaufszahlen noch gar nicht ablesbar.