Auf dem republikanischen Nominierungsparteitag in Florida will Mitt Romney seine menschlichen Seiten zeigen – und stößt selbst bei seinen eigenen Parteifreunden auf erschreckende Distanz.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Tampa - Die Dekorateure des „Tampa Bay Times Forum“ haben tief ins Romney’sche Familienalbum gegriffen. Rechts und links der Zugänge zur Arena sind große Fotos von Mitt Romney gepflastert. Ein lachender, windzerzauster Romney Hand in Hand mit seiner Frau; Mitt, der einem Kind zärtlich die Hand hält; Mitt in Fabrikhallen und am Küchentisch – immer locker, die Ärmel hochgekrempelt. Eines muss man der Kampagne des republikanischen Präsidentschaftskandidaten lassen – sie ist bestens durchgeplant. Die Hausaufgabe heute: den Menschen Mitt Romney in den Mittelpunkt rücken, den viele Amerikaner bisher nur als erfolgreichen, etwas unnahbaren Manager kennen.

 

Einen ganzen Abend lang geht es nicht in erster Linie um Politik, sondern um Gefühle. „Er hat für ältere Menschen Schnee geschaufelt“, berichtet ein Geschäftsfreund, der ihn aus der Zeit als Bischof der mormonischen Gemeinde in Boston kennt. Ein ehemaliges Gemeindemitglied erzählt die Geschichte von der Krebserkrankung ihres damals 14-jährigen Sohnes. „Mitt hat unseren Sohn im Krankenhaus besucht“, berichtet die Mutter: „Er hat ihm geholfen, sein Testament zu schreiben.“

Die Hollywoodlegende Clint Eastwood interviewt als Überraschungsgast auf einem leeren Stuhl etwas nuschelig einen imaginären Barack Obama. „Regierende sind unsere Angestellten“, sagt er: „Wenn sie ihren Job nicht machen, dann müssen sie gehen.“ Der Saal tobt. Romney selbst, der sich händeschüttelnd durch die Arena aufs Podium vorarbeitet, hat von den Redenschreibern für seinen Auftritt viel Lyrik ins Manuskript geträufelt bekommen. „Alle Gesetze und alle Gesetzgebung der Welt werden diese Welt niemals so heilen wie die liebenden Herzen und Arme von Müttern und Vätern“, lautet so ein Satz.

Mitt Romney versucht vergeblich seiner Stimme das passende Timbre zu geben. Als ihn eine Zwischenruferin stört, macht er hastig weiter. Der Manager blüht erst auf, als er seine geschäftlichen Erfolge verteidigen darf – und als er das zentrale Argument formuliert, warum man ihn wählen soll. „Heute ist die Zeit für uns gekommen, die Enttäuschungen der vergangenen vier Jahre hinter uns zu lassen“, sagt der Republikaner. Dazu brauche es keine Visionen: „Präsident Obama hat versprochen, den Anstieg der Ozeane zu verlangsamen und den Planeten zu heilen“, sagt Romney und macht eine lange und dramatische Pause: „Mein Versprechen ist es, euch und eurer Familie zu helfen.“

Der Fünf-Punkte-Plan überzeugt nicht

Präziser wird es nicht. Der hinterhergeschobene Fünfpunkteplan für mehr heimisches Öl und Gas, ein militärisch starkes Amerika, ein niedrigeres Staatsdefizit, bessere Schulen und niedrigere Steuern kommt aus dem Textgenerator des Wahlkampfes. Kein Wort über Afghanistan, keines über Einwanderung oder die Zukunft der Rentenversicherung. Die Delegierten klatschen angesichts des Arbeitsauftritts eifrig. Für sie geht es nicht um Emotionen. „Lasst uns die Sache anpacken“, hatte am Vorabend Romneys Vizepräsidentschaftskandidat Paul Ryan in den Saal gerufen. Für den Delegierten John Wagar aus North Dakota trifft das den Punkt: „Ich bin optimistischer als 2008. Diesmal können wir gewinnen.“ Zur Begründung redet er nicht von den Talenten seines Kandidaten, sondern von der Gefahr, die vom Amtsinhaber ausgehe: „Vier weitere Jahre Obama wird dieses Land nicht überstehen.“

Nein, eine Explosion der Gefühle, wie sie der legendäre erste Auftritt der damaligen Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin auf dem Parteitag vor vier Jahren auslöste, habe in Tampa niemand erwartet. Fast peinlich erscheint seiner Delegiertenkollegin Rebecca Strege die Erinnerung daran, dass 2008 nicht nur die von „Hoffnung und Wandel“ träumenden Demokraten im Rausch waren, sondern dank Palin auch bei den Republikanern die Emotionen ziemlich durchgingen: „Na ja, aus ihr ist ja schnell die Luft raus.“

Was die Delegierten vom Romney halten

Diesmal sei die Sache anders, sagt Wagar: „Wir wissen, worauf wir uns einlassen.“ Er ist eigentlich als Delegierter für den christlichen Fundamentalisten Rick Santorum gewählt worden. Für ihn ist der erzkonservative Vizepräsidentschaftskandidat Paul Ryan die Lebensversicherung, dass Romney nicht zu sehr in die Mitte rücken wird. „Wir haben in jedem Fall einen besseren Kandidaten als vor vier Jahren“, sagt der Delegierte aus Fargo in North Dakota in Anspielung auf John McCain, dessen Rede in Tampa weitgehend ignoriert wurde. Ein paar Reihen weiter, in der Delegation von West Virginia, klingt das wesentlich zurückhaltender. „Ich habe eine Weile gebraucht, um mich für Romney zu erwärmen“, sagt Cindy Frich, eine republikanische Abgeordnete. Sie treibt die Angst vor dem angeblichen Ökoradikalen Obama um: „Er hat unserer Kohle den Krieg erklärt“, sagt sie: „Romney ist unsere letzte Chance.“ Ihr politischer Held Rick Santorum erfüllte jedenfalls in Tampa seine Pflicht. Er hatte seinen Delegierten freigestellt, für Romney zu stimmen – und ganz zum Ende seiner Parteitagsrede fand er auch ein paar dürre, lobende Worte für den Erzrivalen. „Na ja, dicke Freunde werden die nicht mehr“, sagt Frich.

Santorum folgte einem Muster, das in Tampa auffällig war. So mancher Lobredner wie New Jerseys populärer Gouverneur Chris Christie oder George W. Bushs ehemalige Außenministerin Condoleezza Rice nutzte die Parteitagstribüne um die eigenen Erfolge ins Rampenlicht zu rücken – und sich mit Blick auf die Präsidentschaftskandidatur 2016 zu positionieren. „Politiker sind im Allgemeinen nicht sehr loyal“, kommentierte die „Washington Post“: „Aber Romney scheint ein ganz besonderes Problem damit zu haben, Loyalität einzufordern. “

Doch wo sollten machtpolitische Skrupel auf einem Parteitag auch herkommen, dessen Motto „Wir haben alles aufgebaut“ um ein aus dem Zusammenhang gerissenes Obama-Zitat kreiste. Der Präsident soll angeblich behauptet haben, nicht die Privatwirtschaft, sondern der Staat sei für Amerikas Wohlstand verantwortlich.

Viel Fassade, wenig Inhalt

Letztlich war alles Fassade fürs Fernsehen. Obwohl nur zwei Prozent der Parteitagsdelegierten Afroamerikaner waren, konnte man angesichts der Rednerliste glauben, die Republikaner wollten den zweiten schwarzen Präsidenten stellen. Der konservative Nachrichtenkanal Fox News tat ihnen den Gefallen und suchte im Saal nach jedem nicht weißen Gesicht.

Nicht nur beim Auftritt des Vizepräsidentschaftskandidaten Ryan, der den gut versorgten US-Rentnern Angst vor Obamas Gesundheitsreform einflößen wollte, stimmte so gut wie keine Behauptung und fast keine Zahl. Grover Norquist, ein einflussreicher Vordenker für die republikanische Steuerpolitik quittierte den Kampf um die bei den Fakten wenig sattelfesten Durchschnittswähler vor den Fernsehschirmen achselzuckend: „Während des Parteitages schalten viele das erste Mal in den Wahlkampf ein. Denen muss man die Dinge von Grund auf nahebringen.“

Ein Sieg muss her – dafür sind die Republikaner nach einer bitteren Vorwahlsaison zusammengerückt. Ihre angesichts der knappen Umfragen nicht unbegründete Hoffnung ist es, dass die Enttäuschung über den abgestürzten Visionär Obama die Wähler zu Mitt Romney treiben wird. Er muss nicht geliebt werden. Er muss nur gewinnen. Doch zwischen denjenigen, die das Heil der Partei in einem weiteren Rechtsruck sehen, und dem sich hinter Romney scharenden Establishment gibt es nur einen brüchigen Waffenstillstand. Sollte Romney am 6. November scheitern, dann wird noch in der Wahlnacht in der republikanischen Partei die Stunde der Abrechnung beginnen.