Was tun mit dem Integrationsministerium? Bilkay Öney hinterlässt ein schweres Erbe

Das Integrationsministerium ist nur Manövriermasse in den grün-schwarzen Koalitionsverhandlungen. Das Ressort gilt als zu klein und deshalb als Auslaufmodell. Was geschieht mit dem Erbe der scheidenden SPD-Ministerin Bilkay Öney?
Stuttgart - Als SPD-Landeschef Nils Schmid nach dem Machtwechsel 2011 das Integrationsministerium aus dem Hut zauberte, fühlten sich die Grünen überrumpelt. Ein neues Ministerium? Schwierig. Doch Schmid setzte sich durch. Es ging ihm um ein politisches Signal. Mit einem eigenständigen Ressort wollte er den Willen zu einer aktiven Integrationspolitik dokumentieren und institutionell absichern. Dass die SPD in der Migranten-Community schon immer ein Wählerreservoir sah, kam hinzu.
Das Signal wurde auch vernommen. „Die Migranten fühlten sich zum ersten Mal mit ihren Anliegen richtig wahrgenommen“, resümiert die scheidende Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD), die Schmid aus Berlin abgeworben hatte. Zwar hatte es auch zuvor schon mit dem FDP-Politiker Ulrich Goll einen Ausländerbeauftragten geben, doch der war eben im Hauptberuf Justizminister. Öney sagt aber auch mit Nachdruck: „Die Existenz eines Integrationsministeriums darf sich nicht nur in Symbolpolitik erschöpfen.“ Just danach hatte es angesichts des schmalen Kompetenzzuschnitts zunächst ausgesehen. Öney machte nie einen Hehl daraus, dass sie ihr Ressort als zu klein erachtete: ein-Personen-Referate, die im Krankheitsfall still lagen, Abteilungsleiter, die regelmäßig von früh morgens bis in die Nacht hinein am Schreibtisch saßen, dazu zumindest in den ersten Jahren die mitunter fast täglichen Scharmützel mit der Opposition, welche die türkisch-stämmige Ministerin mit den schnoddrigen Sprüchen als Eindringling betrachtete. Die Existenz des Integrationsministeriums erschien von Anfang an als prekär; eine Sternschnuppe am Verwaltungshimmel, die schnell wieder verschwinden würde.
Das passiert jetzt womöglich. Was tun mit dem ungeliebten Mini-Ministerium, fragen sich die grün-schwarzen Koalitionäre. Die CDU war sich immer einig in der Ablehnung eines eigenständigen Integrationsministeriums. Setzt sie sich durch, könnte es ins Innenministerium eingegliedert werden, dessen voraussichtlicher künftiger Chef Thomas Strobl versuchen wird, sich eine möglichst breite Machtbasis aufzubauen. Bei der Integrationspolitik handelt es sich um ein Thema von eminenter Bedeutung für den sozialen Frieden und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, allerdings auch um eines, bei dem sich die Landes-CDU bisher auf plakative Forderungen wie jener nach einem Burka-Verbot beschränkte. Ein Innenminister Strobl geriete in der Integrationspolitik leicht in eine ungemütliche Schraubstock-Position: von der einen Seiten drückten die liberalen Grünen, von der anderen Seite AfD und FDP – immer bereit, dem CDU-Minister mit scharfen, gerade auch in der CDU-Wählerschaft Anklang findenden Positionen zuzusetzen. Ein Ausweg könnte darin bestehen, im Innenressort einen für Integration zuständigen Staatssekretär zu installieren. Das nähme etwas Druck von Strobl.
Für ein eigenständiges Integrationsministerium wiederum spricht aus Sicht der künftigen Koalitionäre, dass damit auch der dazugehörige Ministerposten bliebe und verteilt werden könnte. Wie aber ließe sich das Ressort aufwerten? Dazu gibt es Planspiele. Thematisch würde das Aufenthaltsrecht, das bisher im Innenministerium beheimatet ist, gut passen. Dazu die Zuständigkeit für Chancengleichheit, Antidiskriminierung und Demografie aus dem Sozialministerium sowie der interreligiöse Dialog aus dem Staatsministerium. Dieser Aufgabenzuwachs liefe auf eine Verdoppelung des Ressorts hinaus.
Bilkay Öney verlässt das Ministerium erhobenen Hauptes. „Ich habe viel auf den Weg gebracht“, sagt sie. Als Integrationsministerin war sie bundesweit in den Medien präsent – etwa mit der Forderung, Flüchtlinge in den sich leerenden Städten Ostdeutschlands unterzubringen. Ministerpräsident Kretschmann nahm diesen Vorschlag später auf. Sie setzte sich für die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts ein und legte eine ganze Reihe umfangreicher Gesetzeswerke vor. Sie setzte in Meßstetten und danach in Ellwangen die Einrichtung von großen Erstaufnahmelagern durch. „Meßstetten war grandios“, sagt die 45-Jährige. Ihr seien die Tränen gekommen, als die Bürgerschaft sich für die Flüchtlingsaufnahme entschied. Dabei hätten alle prophezeit, das werde sehr, sehr schwierig. Nun, am Ende des Weges, zeigt sich Öney „stolz, in einem Land Ministerin gewesen zu sein, in dem es so viel Herzlichkeit, Humanität und Engagement gibt“. Überhaupt verfüge Baden-Württemberg dank seines aufnahmefähigen Arbeitsmarkts über eine gute Grundlage für Integration. Nur das Bildungssystem habe lange Zeit nicht mitgehalten, viele begabte Migrantenkinder seien auf der Strecke geblieben. „Deshalb war es wichtig, Bildungsreformen in Gang zu bringen.“ Öney meint damit etwa die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung oder auch die Gemeinschaftsschulen. „Sozialer Aufstieg durch Bildung, das war immer die Politik der SPD.“
Mit ihrer Partei wurde Öney in Baden-Württemberg indes nicht glücklich. Sie äußert sich dazu nicht, aber natürlich fiel auf, dass ihr Haus trotz Flüchtlingskrise bis heute bei 72 Mitarbeitern verharrt – inklusive Abordnungen, Aushilfen und Beurlaubte. Andere Häuser erhielten neue Stellen. Ein Landtagswahlkreis blieb ihr verwehrt, Unterstützung durch Kabinettskollegen gab es wenig, die SPD wusste nicht viel mir ihr anzufangen. Nur Ministerpräsident Kretschmann lobte Öneys „unverstellte Sprache“, mit der sie sich allerdings mehrmals in die Bredouille brachte. Etwa mit ihrer Bemerkung zum „tiefen Staat“ oder zum Rassismus in der CDU. Dass die Ministerin die Migranten in die Pflicht nahm und sie ermahnte, nicht in Selbstmitleid zu zerfließen, sondern sich aufzurappeln und ihre Rechte wahrzunehmen, das fand Kretschmann gut. Künftig allerdings wird Öneys Stimme in der Landespolitik fehlen.
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