Vor den Augen der ganzen Welt sind Spezialtaucher zur Befreiung von 13 Jugendlichen aus einer thailändischen Höhle aufgebrochen. Um nach draußen zu gelangen, müssen die Jungen durch pechschwarzes Wasser tauchen, das einer Kaffeebrühe gleicht.

Baan Jong - Ein einsamer Polizist sitzt auf einem roten Plastikstuhl vor einem blauen Wegweiser mit der Aufschrift: Tham Luang Höhle zwei Kilometer. Daneben dröhnt im Dorflokal Discomusik aus den Lautsprechern. Ein Schild weist auf den Strand Nang Non (Liegende Dame) hin. Stünde nicht eine massive Wasserpumpe am Fuß des gleichnamigen Berges, die kubikmeterweise lehmfarbenes Wasser aus dem Höhlenlabyrinth pumpt, würde man nichts merken von dem Drama, das sich am Sonntag seit zehn Uhr morgens im Inneren der Höhle abspielt.

 

13 ausländische Taucher – die besten der Welt, sagen Thailands Behörden – und fünf lokale Navy Seals haben sich vom Eingang der Höhlen unter dem grün bedeckten, von Wolken umrahmten „Gesicht der Lady“ vier Kilometer tief und fünf Stunden lang zu der kleinen Grotte vorgekämpft, in dem die Eingeschlossenen feststecken. „Wo die Brüste der Frau des Berges zu erkennen sind, darunter sind die Jungen“, sagt Prayong, ein Bewohner des Dorfes Bann Jong. In Tauchanzügen, mit Helmen, Stirnlampen und Spezialausrüstung für Höhlentauchgänge hatten sich die Retter auf den Weg gemacht. Menschen vor Ort und in aller Welt halten den Atem an.

Krankenwagen rasen mit Warnlicht weg

Am frühen Sonntagabend dann schwirren die ersten Gerüchte durch die Stadt: Mehrere Jungen hätten die Höhle verlassen. Krankenwagen rasen mit Warnlicht weg vom Höhleneingang. Die ersten guten Nachrichten folgen dann auch ganz offiziell. Die Rettungsteams haben zwei Jungen herausgebracht, die sofort Richtung Krankenhaus gebracht werden. „Einer trug ein rotes Hemd, einer ein grünes“, meldete der Fernsehsender Nation TV. Handelt es sich um den Kicker, der ein englisches Nationaltrikot trug? Oder ist es der 14-jährige Adul Samorn, der die Welt bei seiner Begegnung mit dem britischen Taucher mit Englischkenntnissen überrascht hatte?

Dann überschlagen sich die Nachrichten. Zwei weitere Jungen sind befreit. Die Jungen Nummer fünf und sechs seien in Kammer drei bei der vorgeschobenen Basis der Retter angekommen, ob sie auch noch am Sonntagabend ins Freie gelangen, darüber herrscht bis Redaktionsschluss Unklarheit. Nur einer der bereitstehenden Hubschrauber hebt dann mit zwei jungen Patienten ab. Die anderen müssen offenbar erst etwas länger in dem Feldlazarett behandelt werden, das neben dem Höhleneingang aufgebaut wurde.

Der Himmel ist am Sonntagabend nach einwöchiger Pause wieder von den bleiernen grauen Wolken der Regenzeit verhangen. 15 Tage sind vergangen, seit die zwölf jungen Kicker im Alter von elf bis 16 Jahre mit ihrem 25-jährigen Trainer bei gutem Wetter zu einer Geburtstagsparty in der zehn Kilometer tiefen Höhle verschwanden und nach plötzlich einsetzendem Regen nicht wieder herauskonnten. Zehn Tage lang fehlte daraufhin jedes Lebenszeichen von den Jungen. Bis zwei eingeflogene britische Höhlentaucher sie zufällig entdeckten. Dann starb ein Taucher, der Sauerstoff in die Höhlen transportierte. Als die Marineeinheit die Rettung der ersten vier Jungen am Sonntagabend auf ihrer offiziellen Facebook-Seite postete, waren seit Beginn der Aktion rund zehn Stunden verstrichen. Die Jungen und ihr Trainer sollten jeweils von zwei Tauchern durch die teilweise überflutete Höhle ins Freie begleitet werden. Der Einsatz gilt als schwierig und gefährlich. In dem verzweigten Höhlensystem gibt es dunkle und enge Durchgänge mit schlammigem Wasser, starken Strömungen und zahlreichen Windungen und Kurven, die Luft ist arm an Sauerstoff. In den vergangenen Tagen hatten die Behörden daher stets abgewogen, ob die Tauchaktion gewagt werden sollte.

Zuletzt waren die Bedingungen nach Einschätzung der Behörden günstig

Die Zeit drängt wegen vorhergesagten Monsunregens, mit dem die Wasserpegel in der Höhle weiter steigen dürften. Eine Rettung der Gruppe wäre dann deutlich schwerer. Zuletzt waren die Bedingungen nach Einschätzung der Behörden vergleichsweise günstig, da der Regen etwas nachgelassen hatte und die Wasserstände in der Folge davon gesunken waren.

Und am Sonntagabend wirkt es nun, als scheine trotz Regenwolken am Himmel unversehens die Sonne über dem Schicksal der Kinder. Offenbar können die Retter die Jungen – die gar nicht oder kaum schwimmen können und noch nie getaucht sind – schneller und einfacher aus ihrem dunklen Verließ holen als erhofft. 30 Meter in pechschwarzem Wasser, das laut einem Taucher einer Kaffeebrühe gleicht, mussten die Jungen durchtauchen – in einer Höhle, die laut einem erfahrenen Höhlentaucher einem „Mount Everest der Höhlen“ gleichkommt. Der Weg ab der Kammer drei bis zum Eingang dürfte im Vergleich ein Kinderspiel für die Jungen gewesen sein: eine langatmige Klettertour über Gestein. Die sinkenden Wasserstände dürften den Rettern die Arbeit am Sonntag allerdings tatsächlich erleichtert haben: So konnten die Jungen auf ihrem Weg vermutlich längere Strecken gehen als befürchtet. Und so konnten die ersten rascher nach draußen gelangen als ursprünglich erwartet, wie thailändische Medien spekulieren.

Dann muss die Befreiung plötzlich abgebrochen werden

Die Rettungsoperation wird hermetisch gegen die Außenwelt abgeschirmt. Auch am Abend ist noch ungewiss, wie es um die verbleibenden Jungen und ihren Trainer steht. Vor einigen Tagen galten der Coach, der seine wenigen Lebensmittelvorräte den Kindern gegeben hatte, und zwei Jungen als noch zu schwach. Ein australischer Mediziner, dessen Name noch nicht bekannt gegeben wurde, war auf Drängen der anderen ausländischen Höhlentaucher eigens für die Evakuierung eingeflogen worden und ist an der Befreiung der Jungen beteiligt. Er gilt als internationale Kapazität und harrt angeblich bei den Kindern aus.

„Die Bedingungen waren noch nie so perfekt wie heute“, hatte am Sonntagmorgen Gouverneur Narongsak Osottanakorn erklärt, als die Aktion startete. Die Kinder und auch deren Eltern seien mit der Evakuierung einverstanden. Doch ob die Rettungsaktion wirklich zu einem „Wunder von Thailand“ werden würde, ist am Sonntag noch nicht klar, als die Befreiung dann abgebrochen werden muss, weil die Atemluft-Vorräte knapp werden. Am Montagmorgen sollen die übrigen Gefangenen befreit werden. Der Letzte wird der 25-jährige Trainer der Jungen sein, ein ehemaliger Mönch, der den Kindern in der Finsternis das Meditieren beibrachte – und dem sie wohl ihre Leben ebenso verdanken wie den Tauchern, die sie aus dem Bauch der „Liegenden Dame“ nahe der Stadt Mae Sai im Norden Thailands herausholten.

Am Sonntag jedenfalls scheint es plötzlich nicht mehr unmöglich, dass die Nachwuchsmannschaft der Einladung der Fifa folgen könnte und beim Weltmeisterschaftsendspiel in Moskau am 15. Juli dabei ist. Am Samstag ließen die Jungs bereits ihre Eltern in Briefen wissen, auf welche Lieblingsspeisen sie sich freuen. Ein Gericht: gegrilltes Schwein mit viel Chili.