Schüler der Albertville-Realschule üben sich mit Hilfe der Friedrich-Ebert-Stiftung in den Regularien der Kommunalpolitik und halten eine ganz normale Gemeinderatssitzung ab. Der Oberbürgermeister verspricht, Anregungen aufzugreifen.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Winnenden - Die Freien Wähler möchten von der Verwaltung wissen, ob die Stadt von August an ihrer Verpflichtung zur Betreuung von Kleinkindern nachkommen kann, die FDP moniert ein Defizit beim Schulschwimmen im Wunnebad, die Alternative Liste regt eine Begrünung im Schelmenholz an. Hartmut Holzwarth, der Winnender Oberbürgermeister, bezieht für die Verwaltung Stellung. Dann kommen die Anträge der Fraktionen: Die CDU will den Stadtpark attraktiver gestalten, die Freien Wähler fordern, die Sicherheit am Bahnhof zu verbessern, die SPD macht sich für eine öffentliche Toilette auf dem Viehmarkt stark. Die Anträge werden vorgetragen, begründet, diskutiert – und dann beschlossen oder abgelehnt. Der Rathauschef moderiert, fasst zusammen und erinnert bisweilen an die Regularien. Eine ganz normale Sitzung des Winnender Kommunalparlaments - wenn man davon absieht, dass die Gemeinderäte zwischen 14 und 16 Jahre jung sind.

 

Am Donnerstagabend hat im großen Ratssaal der Kommune statt der etablierten Volksvertreter eine neunte Klasse der örtlichen Albertville-Realschule getagt. Die gut anderthalbstündige Sitzung unter realistischen Bedingungen war gewissermaßen das Finale eines dreitägigen „Planspiels Kommunalpolitik“, das die Friedrich-Ebert-Stiftung für Schulklassen anbietet, um ihnen die Funktionsweise der Politik an der Basis näher zu bringen.

An den Tagen zuvor hatten die Schüler unter der Anleitung zweier von der Stiftung gestellten „Spielleiter“ die Gelegenheit, sich in ihre Rolle als Stadträte einzuarbeiten. Es gab Informationen über die Funktionsweise des Gremiums und der Stadtverwaltung, am Abend besuchten die Jugendlichen eine Sitzung des Stadtparlaments. Am Tag darauf kamen Vertreter der Fraktionen in die Schule, denen die Schüler nach dem Zufallsprinzip zugeordnet wurden. Die ehrenamtlichen „Profipolitiker“ gaben Tipps, wie man Anträge formuliert und worauf man achten muss. Schließlich stand noch ein Vorgespräch mit dem Oberbürgermeister auf der Tagesordnung.

Der lobte am Ende der abschließenden Sitzung nicht nur die engagiert geführten Diskussionen, sondern versprach durchaus, die ein oder andere Anregung aufzugreifen. In einigen Punkten habe das Nachwuchsparlament ohnehin die bereits angestrebten eigenen Bemühungen bestätigt, etwa durch den Ruf nach einer Verbesserung des Buskonzepts innerhalb der Stadt und mit den Umlandkommunen.

Die Schüler, die im nächsten Jahr ihren Abschluss machen werden, wollten sich noch nicht auf eine spätere Karriere als Bundeskanzler oder Gemeinderat festlegen lassen. Abgeschreckt habe das Projekt aber keinesfalls, betonte etwa Daniel aus Nellmersbach: „Es war schon interessant.“ So mancher hat an nur einem Abend schnell begriffen, was die Friedrich-Ebert-Stiftung als eines der Lernziele formuliert: dass beim Ringen um politische Mehrheiten insbesondere Kompromissfähigkeit gefragt ist. Torben, der für die Sozialdemokraten um eine öffentliche Toilette auf dem Viehmarkt gekämpft hatte, zog seinen Antrag nach einer längeren, kontroversen Diskussion zurück: „Ich merke, dass es dafür keine Mehrheit gibt.“ Der Antrag wurde so modifiziert, dass künftig auf das bereits bestehende Angebot der sogenannten „Netten Toilette“ besser hingewiesen werden solle. Dafür gab es am Ende nicht nur einhellige Zustimmung im Gremium, sondern auch die Einsicht des Oberbürgermeisters, dass in dieser Hinsicht tatsächlich noch ein wenig getan werden müsse.

Projekt gegen Politikverdrossenheit

Stiftung:
Die Friedrich-Ebert-Stiftung mit Hauptsitz in Bonn ist die größte und älteste parteinahe Stiftung in Deutschland. Sie wurde nach dem sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert benannt und nach seinem Tod 1925 gegründet.

Projekt:
Das „Planspiel Kommunalpolitik“ folgt der Idee, eine in der Realität funktionierende Institution real nachzuspielen. Das Ziel dabei ist, Jugendliche für Politik zu interessieren und ihre Lust auf Mitgestaltung zu wecken.