Der Wirbelsturm Michael ist im Anmarsch auf Florida. Forscher simulieren dort mit einer riesigen Windmaschine die Auswirkungen von Stürmen – und suchen nach Wegen, die Folgen zu mildern.

Florida - Es beginnt harmlos. Der große Zierblumentopf vor dem Haus fällt um und rollt im aufkommenden Wind weg. Dann kippt der Holzkohlegrill, wird hochgewirbelt und scheppernd weggepustet. Es folgen Gartenstühle, geparkte Fahrräder, ein Rasenmäher. Das kleine Holzhaus steht nun alleine im Sturm. Bebend. Zitternd. Wackelnd. Ein Bildschirm zeigt die Windgeschwindigkeit an. 110 Meilen pro Stunde, rund 177 Kilometer pro Stunde. Der Wind wird stärker – und bei 219 Kilometern pro Stunde geht alles blitzschnell. Das Flachdach wird ruckartig nach oben gerissen, bricht in das Gebäude ein, hebt die Wände aus den Verankerungen und zerschmettert die Fenster. In weniger als zwei Sekunden ist das Häuschen zerstört, seine Bestandteile liegen über mehrere Hundert Meter verteilt auf einer Wiese.

 

So wie in diesem Test könnte es nun vielen Häusern ergehen, wenn Hurrikan Michael mit voller Wucht auf Florida trifft, wie es die Wetterexperten befürchten. Am Dienstag hatte er sich zu einem Hurrikan der Kategorie zwei entwickelt. Auf seinem Weg über dem Golf von Mexiko tankt Michael zudem noch erheblich Kraft – was ihn sehr gefährlich macht. „Dieser Sturm ist monströs“, sagte Floridas Gouverneur Rick Scott am Dienstag. Rund 120 000 Menschen in tief gelegenen Teilen der Küste wurden aufgefordert, sich in Sicherheit zu bringen. Scott warnte, der Hurrikan könnte Teilen des US-Bundesstaats „totale Verwüstung“ bringen.

„Katastrophales Design“

Über das im Test zusammengebrochene Holzhaus fällt Walter Conklin ein harsches Urteil: „Katastrophales Design – und das war nicht mal ein Hurrikan der höchsten Kategorie.“ Der 46-jährige Ingenieur fährt die zwölf mannshohen gelben Windmaschinen mit einem Mausklick am Computer herunter. „Jetzt geht die Arbeit los“, sagt er. Forscher schwärmen in Sicherheitskleidung auf das Trümmerfeld aus, inspizieren zerfetzte Teile, vermessen Bruchstellen und verfolgen am Computer in Zeitlupe die Zerstörung. Dann beginnen sie damit, Zigtausende Daten auszuwerten, die Sensoren an den Bauteilen im Laufe des Test erhoben haben.

Auf dem Gelände des Hurricane Research Centers in Miami (US-Bundesstaat Florida) pustet eine der größten Windmaschinen der Welt zu Forschungszwecken Gebäude um. „Fast alle Besucher sagen das gleiche Wort, wenn sie unsere Versuchsanlage das erste Mal sehen“, sagt Erik Salna, „und dieses Wort ist einfach nur ‚Wow!‘. Deshalb haben wir die Anlage WOW genannt“, erklärt er. Es ist aber auch eine Abkürzung für Wall of Wind – Wand aus Wind. Salna, Meteorologe und einer der Leiter des Instituts für Extremereignisse, beschreibt die Aufgabe so: „Wir versuchen, besser zu verstehen wie Hurrikans funktionieren und was wir tun müssen, um die Schäden und die Zahl der Todesopfer zu verringern.“

Trümmerteile als Geschosse

Jedes Jahr suchen Hurrikans zwischen Juni und November den Südosten der USA heim. Die Namen der Wirbelstürme stehen für Tod, Leid und Verwüstung. Andrew 1992 forderte 65 Tote, Katrina war 2005 mit 81 Milliarden Dollar an Schäden der teuerste aller Stürme. Dann 2017 gleich drei Rekordstürme hintereinander, Harvey, Irma und Maria mit knapp 350 Toten. Die meisten sterben in kollabierenden Gebäuden oder durch fliegende Trümmerteile, die wie Geschosse wirken. Um Hurrikans zu simulieren, erzeugt das von Elektromotoren angetriebene 8400-PS-Gebläse der Wall of Wind Windgeschwindigkeiten von bis zu 253 Kilometern pro Stunde. Das entspricht der Kategorie fünf, der höchsten Stufe der Hurrikans. Jeder der zwölf Ventilatoren wiegt sieben Tonnen. „Wir haben ein Monster geschaffen“, lächelt Erik Salna, „ein gutes Monster, das genau das tut, was wir wollen.“

Am Boden vor den Ventilatoren montierte Metallteile brechen den Wind und erzeugen Turbulenzen – wie in der Realität. Die Hausattrappen stehen auf einem großen Drehtisch, um die Angriffswinkel des Sturms verändern zu können. Düsen blasen Wasser in den Wind, der peitschende Regen ist einer der Hauptschwerpunkte der Forscher. „Dringt Wasser in die Häuser ein, ist der Schaden meist größer als durch reine Windschäden“, sagt Amal Elawady, eine der Forschungsleiterinnen. Die 32-jährige Ägypterin hat in Kanada Tornados studiert, bevor sie ans Hurrikanforschungszentrum nach Miami kam.

Neue Bauvorschriften

Elawady und Salna gehen zum „Friedhof“ des Testgeländes. Hier liegen zerstörte Flachdächer, Ziegelteile, Bretterhaufen, die früher Hauswände waren, Fensterrahmen, zerborstene Solaranlagen. Letztlich sind es Details, die den Unterschied zwischen Verwüstung und Unversehrtheit ausmachen. „Unsere Erkenntnisse fließen in die Bauvorschriften ein“, sagt Elawady. „Gehen Haustüren nach außen auf, statt nach innen, drückt der Wind sie weniger leicht ein. Ist die Dachkonstruktion nicht mit Nägeln auf dem Haus verankert, sondern mit Metallstreifen verstärkt und angeschraubt, hält das besser.“ Jeder in den Schutz investierte Dollar spart Hausbesitzern fünf bis sechs Dollar bei der Schadensbehebung, haben Versicherungen ausgerechnet.

Vor einem Jahr, unmittelbar nach Hurrikan Irma, fuhr Elawady auf die Inselkette der Florida Keys, die arg vom Sturm mitgenommen worden war. „Es war verrückt: Da standen Häuser in der Schneise der Verwüstung, die kaum Schäden aufwiesen. Direkt neben ihnen nur Trümmerhaufen, das was vom Nachbarhaus übrig geblieben war.“ Elawadys sonst eher regloses Gesicht zuckt, fahrig streicht sie sich über ihr Kopftuch, als sie anfügt: „Jeder Hurrikan erteilt uns eine neue Lektion. Wir lernen, lernen und lernen nochmals.“ Schon das Abrunden der Dachkanten verbessere die Aerodynamik des Gebäudes. Spezielle Fensterläden schützen vor Glasbruch, aber auch eine Metallabschirmung, welche die auf Dächern befestigten Klimaanlagen schützen soll. „Der Schirm reduziert den Winddruck um 58 Prozent“, sagt Elawady.

„Noch verdammt viel Arbeit“

Die WOW-Betreiber sind sehr gefragt, hurrikansicheres Design ist ein Milliardengeschäft – für Bauunternehmen, Baustoffhersteller und Versicherungen. Nach den Versuchen mit Wohnhäusern sollen nun auch andere Strukturen Härtetests unterworfen werden: Baukräne, Solarpaneele, Ampeln, Stromleitungen. „Vom Wind losgerissene fliegende Objekte sind mit die größte Gefahr für Menschen während eines Hurrikans“, sagt Salna.

Künftig wollen die Windingenieure Holzbretter, Dachziegel, Metallteile oder Getränkedosen auf die Testhäuser schießen. „Auch bei gut verankerten Dächern und Wänden, hat man nicht viel davon, wenn ein Ziegel das Fenster durchschlägt, der Wind eindringt und das Haus von innen zerlegt.“ Erik Salna stellt sich vor einen der zwölf Riesenventilatoren und streicht über das gelbe Gehäuse: „Unser Monster hat noch verdammt viel Arbeit vor sich.“

Riesiges Blasinstrument

Maschine
Die Wall-of-Wind-Anlage (WOW) im Hurrikan-Forschungszentrum der Florida International University in Miami (US-Bundesstaat Florida) ist die leistungsfähigste Forschungsanlage für Windenergie- und Aerodynamiktests der Welt. An 250 Tagen im Jahr testet hier ein Team von etwa 20 Forschern und technischen Mitarbeitern die Auswirkungen von Sturmwinden auf Strukturen wie Gebäude, Kräne oder Stromleitungen. Nur hier ist es möglich, realitätsnah schwere Hurrikans der Kategorie 5 zu simulieren, das sind Winde mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 248 Kilometern pro Stunde .

Leistung
Das von Elektromotoren angetriebene 8400-PS-Gebläse erzeugt Windgeschwindigkeiten von bis zu 253 Kilometern pro Stunde. Jeder der zwölf Ventilatoren wiegt sieben Tonnen.

Saison
Die offizielle Hurrikansaison beginnt am 1. Juni und endet am 30. November.