Nach zuletzt eher durchwachsenen Nachrichten aus dem WM-Trainingslager in Südtirol hat Bundestrainer Joachim Löw nichtsdestotrotz ein positives Fazit des zehntägigen Trainingscamps gezogen.

Nach zuletzt eher durchwachsenen Nachrichten aus dem WM-Trainingslager in Südtirol hat Bundestrainer Joachim Löw nichtsdestotrotz ein positives Fazit des zehntägigen Trainingscamps gezogen. 

 

St. Leonhard - So positiv hätte Joachim Löw nach einem extrem komplizierten WM-Trainingslager niemand erwartet. Und der Optimismus des Bundestrainers soll beim vorletzten Länderspiel vor der Fußball-Weltmeisterschaft gegen Kamerun auch die hin- und hergerissenen deutschen Fans erfassen. „Am Sonntag beginnt der WM-Countdown“, erklärte Löw am Freitag nach dem letzten Üben der deutschen Nationalmannschaft im italienischen Passeiertal und verkündete: „Wir gehen mit hohen Erwartungen in das Turnier!“

Den 54-Jährigen hat vor seiner vierten und womöglich letzten Titelmission vieles irritiert in einer Woche, die „überschattet“ worden sei von dem „tragischen Unfall“ bei einem Werbetermin mit DFB-Generalsponsor Mercedes-Benz. „Mein Mitgefühl gilt den Betroffenen, ich hoffe, dass die Verletzten schnell gesund werden“, sagte Löw.

Rund ums Team wischte er alle düsteren Prognosen entschieden und wortgewaltig beiseite. „Wir haben sehr, sehr große Fortschritte gemacht“, resümierte Löw, der seine eigenen Erwartungen und Ziele nicht der öffentlichen Stimmungslage unterwerfen will. „Wenn man sagt: Deutschland ist jetzt mal wieder dran - damit kann ich nichts anfangen. Wir reisen als Mitfavorit nach Brasilien. Aber es gibt einen Topfavoriten für mich, das ist Brasilien.“

Dass Philipp Lahm und Manuel Neuer, die am Sonntag (20.30 Uhr/ARD) im nicht ausverkauften Borussia-Park noch nicht auflaufen werden, spätestens im ersten WM-Spiel gegen Portugal spielen können, ist für Löw keine Frage mehr. „Da zeichnen sich klare Fortschritte ab“, betonte er. Lahm habe nach intensiven Belastungen „fast keine Probleme mehr“ mit dem linken Fuß.

Bei Neuer verblüffte Löw sogar mit der Ankündigung, dass der an der Schulter verletzte Münchner schon beim letzten Länderspiel vor der Abreise nach Brasilien am kommenden Freitag in Mainz gegen Armenien wieder zum Einsatz kommen könnte. „Ich gehe davon aus, dass Neuer dann im Tor stehen wird“, erklärte Löw.

Gegen Kamerun darf sich aber Roman Weidenfeller beweisen, der die schwierige Rolle als Torwart Nummer 2 mit erstaunlichem Enthusiasmus annimmt. „Es ist ein Highlight, eine Abrundung meiner Karriere“, sagte der 33 Jahre alte Dortmunder zu seinem Turnierdebüt, von dem er „mit dem Cup nach Hause kommen“ möchte. „Es nutzt nichts, wenn wir hier einen Torwartkampf vom Zaun brechen“, sagte er zur Zusammenarbeit mit Neuer, die ihm „unglaublich leicht“ falle.

Teamgeist lautet das Zauberwort von Löw

Teamgeist lautet auch das Zauberwort von Löw. „Die Stimmung ist sehr gut, ich muss das ausdrücklich so sagen. Aus Vereinsinteressen sind nationale geworden“, schwärmte der Chefcoach auch mit Verweis auf das letzte Turnier, als es noch den Bayern-Dortmund-Konflikt gegeben hatte: „Der Teamspirit ist nicht zu vergleichen, wie er 2012 war.“

Eine Schlüsselfunktion nimmt für ihn Sami Khedira ein. Den Champions-League-Sieger von Real Madrid rief Löw trotz dessen erst gerade überstandener Kreuzbandverletzung zum Mittelfeldchef aus. „Sami ist ein Spieler, der in der Mannschaft einen Leader darstellt, der Charakter und Charisma hat.“ Khediras Kampf um die WM ist für Löw heldenhaft gewesen: „Sein Aufwand, sein Ehrgeiz waren immens, sein Wert für die Mannschaft ist riesengroß. Ich glaube, dass er am Anfang des Turniers auf jeden Fall bereit sein wird.“

Beim 8:0 im geheimen Übungsspiel gegen die U 20-Auswahl des DFB, welches das A-Team um den vierfachen Torschützen Thomas Müller am Donnerstagabend gewann, musste Khedira nach einem Zusammenprall an seinem operierten Knie behandelt werden. Tags darauf rannte er beim letzten Training in Italien aber wieder munter über den Platz. „Man merkt, dass man volle Kraft auf das Knie bekommt und es hält“, sagte Khedira: „Gerade solche Aktionen sind unheimlich wichtig.“

Beim langjährigen Mittelfeld-Leader Bastian Schweinsteiger bleiben Fragezeichen. Immerhin bescheinigte Löw dem Münchner nach Patellasehnen-Problemen die Einsatzfähigkeit gegen Kamerun. In der Zentrale dürfte aber Toni Kroos neben Khedira starten. Löw hat „einige Planspiele im Kopf“, das Kontingent von sechs Wechseln will er am Vorabend der Reduzierung des WM-Kaders von 26 auf 23 Spieler ausschöpfen. „Einzelne Spieler haben noch mal die Chance, auf sich aufmerksam zu machen.“ Das könnte besonders Kandidaten wie den Dortmunder Debütanten Erik Durm betreffen, der auf der linken Abwehrseite anstelle seines noch angeschlagenen Vereinskollegen Marcel Schmelzer spielen könnte. „Danach stehen wichtige und harte Entscheidungen an“, sagte Löw zur Negativ-Auslese drei aus 26.

Das Spiel gegen die vom langjährigen Bundesligacoach Volker Finke trainierten Kameruner ist für Löw ein echter WM-Härtetest. „Es war unser ausdrücklicher Wunsch, dass wir gegen eine afrikanische Mannschaft spielen“, sagte der Bundestrainer mit Blick auf den zweiten WM-Gruppengegner Ghana. Ein Sieg sei das Ziel, erklärte Torwart Weidenfeller: „Das Ergebnis steht im Vordergrund“.

Mit einem „Kids-Day“ versöhnte Löw vor der Abreise aus Südtirol am Samstagmorgen auch noch die Gastgeber, die bis zum letzten Tag auf eine öffentliche Übungseinheit der deutschen Fußball-Heroen warten mussten. 220 Kinder und einige Betreuer der Fußballschule im Passeiertal durften Özil, Götze, Müller und Co. endlich aus der Nähe bewundern. Löw dankte der gesamten Region, den „herzlichen Menschen hier“ und resümierte: „Wir kamen als Gäste und gehen als Freunde.“