Sie taucht ihr Publikum in ein Wechselbad der Stile und Stimmungen: Zaz, der musikalische Tausendsassa aus Frankreich, hat am Donnerstag die Stuttgarter Jazz Open eröffnet – und das Publikum auf dem Schlossplatz zu Begeisterungsstürmen hingerissen.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Die Sprache der Musik ist universell, sie versteht man, ohne Vokabeln zu büffeln und Grammatik zu pauken. Nur so lässt sich das Zaz-Phänomen erklären, also jener schon fast unheimliche Erfolg, den die französische Pop-Chansonnière seit ihrem 2010 erschienenen Debütalbum „Zaz“ mit dem Hit „Je veux“ auch in Deutschland feiert.

 

Nun hat das Zaz-Phänomen in Stuttgart wieder zugeschlagen: Kaum war die Sängerin gegen neun Uhr am Donnerstagabend in gold-schwarzer Tunika und schwarzen Leggings im gut gefüllten Ehrenhof des Neuen Schlosses auf der Bühne erschienen und hatte ihre ersten, kratzig-verführerischen Töne angestimmt, waren die Zuschauer aus dem Häuschen. Zaz‘ Landsfrau, die zwanzigjährige Pariserin Nina Attal, hatte als Vorband mit ihrer satten Stimme, mitreißend von der zierlichen Person selbst gespielten Gitarrensoli und einer technisch perfekt präsentierten Mischung aus Soul, Funk, Rock und Blues für die Publikums-Animierung deutlich länger gebraucht, aber dennoch einen überraschend starken Eindruck hinterlassen.

Ihre Botschaft: Das Leben ist schön!

Dann sang Zaz, hüpfte – und siegte. Selbst wenn unter denen, die sich eine Karte für das Eröffnungskonzert der 20. Ausgabe der Jazz-Open gesichert hatten, mit Sicherheit jede Menge Frankophile waren, die des Französischen mächtig sind: so rasant, wie die 33-jährige Popkünstlerin Worte und Silben zu nicht enden wollenden Lautgirlanden zusammenfügt, dürften die wenigsten komplett Sinn und Bedeutung ihrer Texte erfasst haben. Aber, und das ist eben das Zaz-Phänomen, die Botschaft ihrer Lieder – 21 Songs inklusive zweier Zugaben hat sie in gut eineinhalb Stunden gepackt – kommt trotzdem immer an: Das Leben ist schön!

Zaz meint es gut mit den Stuttgartern und schickt der einen oder anderen Nummer einen kurzen deutschen Satz voraus, mit starkem französischem Akzent, très charmant: „Traut euch, ihr selbst zu sein“. Oder „Wir merken erst, was wir hatten, nachdem wir es verloren haben“. Und wenn sie mitten in ihre Songs hin und wieder ein enthusiastisch ausgerufenes „Stuttgaaar!“ einbaut, danken es ihr die Zuschauer mit Klatschen und Johlen. Ihr Publikum taucht der energiegeladene musikalische Tausendsassa mit seiner sechsköpfigen Band von Anfang in ein Wechselbad der Stile und Stimmungen. Dunkel dröhnende bretonische Hymnen schlagen in eingängige Poprhythmen um, wie bei „On ira“ aus ihrem neuen Studioalbum „Recto verso“, mit dem die in Tours an der Loire geborene und in Bordeaux aufgewachsene Musikerin den Abend eröffnete. Der bunte, naturverliebte Reigen von „Toujours“ wird in „Si je perds“ erst von melancholischer Tristesse abgelöst, bevor mitten im Stück ein aufbegehrender elektronischer Sound-Irrwisch über die Bühne fegt. Es geht um das Alter, um Amnesie und Entmündigung – ein Thema, dem sie mit bitterer Ironie begegnet.

Mit Waschbrett und Akkordeon

Dann wieder beschwören die Musiker mit Akkordeon, Mundharmonika, einem alten roten Leierkasten – ja, sogar ein klapperndes Waschbrett kommt zum Einsatz – französisches Jahrmarktflair, Baguette-Cigarette-Feeling und die Tradition des großen französischen Chansons. Ein Hauch von Jacques Brel weht über den Schlosshof. Dass ihr die französische Kritik deshalb Rückwärtsgewandtheit und die Bedienung überholter Frankreich-Klischees vorwirft, scheint ihr schnurzegal zu sein. „Je suis comme ça“ – so bin ich eben, ist ihr Credo.

Bei „Je veux“ („Ich will“), ihrem so lebenshungrig vorwärts drängendem Ohrwurm, bei dem sie mit ihrer Stimme fantastische Kazou-Kapriolen fabriziert, schwenken die Festivalbesucher schwärmerisch die Arme über den Köpfen, lange bevor der Refrain ertönt.

Durch TV-Castingshow zum Star

Schon das erste Album von Isabelle Geffroy, so Zaz‘ bürgerlicher Name, changierte zwischen Jazz, Folklore, Pop, Chanson und Gypsy-Swing im Stil eines Django Reinhardt und demonstrierte, welche Vielfalt ihre wunderbar angeschossene Stimme meistert. Mit ihren neuen Liedern von „Recto verso“, das soviel wie „beidseitig“ bedeutet, geht die Sängerin, die Musik studierte, als Straßenmusikerin durch Paris tingelte, mal in einer Latin-Rockband und in einem Cabaret-Ensemble spielte und in einer TV-Castingshow entdeckt wurde, der musikalischen Weltenbummelei noch konsequenter nach. Beim Jazz-Open-Auftakt jedenfalls schreckt Zaz vor nichts zurück: Mal scattet sie wie Al Jarreau, mal hat sie den Mut, Frankreichs heimliche Nationalhymne, Edith Piafs „La vie en rose“ zu covern, dann schäkert sie mit Tangomelodien und lateinamerikanischen Rhythmen.

Zaz singt einfach alles – leider, muss man nach diesem Abend fast sagen, denn was nach selbstbewusstem „Ich bin, wer ich bin, und ich mache, was mir gefällt“ aussehen soll, wirkt bisweilen auch etwas beliebig. Schade ist das vor allem deshalb, weil ihre einzigartige Stimme ab und an im bunten Potpourri zu verschwinden droht. Am Schluss, beim donnernden Rocksong „Déterre“, gräbt sie sich, dem Titel entsprechend, wieder hervor – und Stuttgart belohnt seinen französischen Liebling dafür mit tosendem Applaus im Ehrenhof des illuminierten Schlosses.