Seit 1950 arbeitet Heinrich Villiger in der Tabakfirma, die sein Großvater 1888 gründete. Heute hat sie ihren Sitz in Waldshut – und der Seniorchef das Lebenswerk an seine Tochter Corina übergeben

Waldshut - Man ist das nicht mehr gewohnt. Ständig begegnet einem ein Typ mit Fluppe im Mund. Im Treppenhaus, in den Produktionshallen, in den Büros. Überall in dem dreistöckigen Jahrhundertwendebau wird gequarzt. Kaum hat man wieder eine der für Werkhallen typischen riesigen Weichplastiktrennwände aufgestemmt, wird einem der Kopf vernebelt. Rauchverbot? Ach was! Hier schlotet einfach jeder. Aber wenn in einer Tabakfabrik nicht mehr geraucht werden darf, wo denn dann?

 

Die Arbeiter und Arbeiterinnen paffen und schaffen drauflos an ihren Maschinen. Klapp, klapp, klapp macht der Kasten. Fein geschnittener Tabak wird einen Stock tiefer mit Unterdruck angesaugt. Die „Hauni“ portioniert ihn auf Bänder, darunter läuft das Deckblatt aus Tabak, dann wird das Gemisch gewickelt. Hauni steht für „Hanseatische Universelle“ und ist eine Maschine, die Zigarillos herstellt. Alle Haunis hier sind gut ein halbes Jahrhundert alt. Vielleicht auch älter. „In der Tabakindustrie ist das normal“, sagt Horst Weißenberger, der Werkleiter bei der Traditionsfirma Villiger in Waldshut. Es gebe aber auch neuere Maschinen hier.

Jede Hauni spuckt pro Stunde 15 000 Stück Brio aus. Eine Million Brio ist der Bedarf im Monat. Brio ist die einfachste Zigarillo aus dem Hause Villiger. Es gibt auch die Villiger Kiel, Rio 6, die Original Krumme oder die Curleys. Bekannt geworden ist die Villiger mit den Stumpen. Sie werden aus einer Tabakrolle geschnitten – zwei bis drei Stück je Rolle. Sie passten in die Patronentaschen der Schweizer Soldaten und waren so unverzichtbar wie das Militärmesser, der „Kafi fertig“ oder die Cervelat. Villiger stellt sie noch immer her als einzige Firma der Branche. In der Schweiz kennt jedes Kind Villiger.

Darf man als Nichtraucher bei Villiger anfangen? Heinrich Villiger, 83 Jahre, eisgrauer Bart, Typ Grandseigneur, schaut milde auf und sagt: „Warum nicht?“ Heinrich Villiger ist Alleininhaber und Vorsitzender des Verwaltungsrates.

Sein Großvater Jean Villiger hat die Firma 1888 im schweizerischen Dorf Pfeffikon gegründet, davor war er Buchhalter. Er starb früh. Seine Frau Louise machte das Unternehmen groß und expandierte bereits 1910 nach Waldshut-Tiengen, um Steuervorteile zu nutzen. Danach übernahmen Villigers Vater Max und dessen Bruder Hans das Geschäft. Nach ihnen kamen Heinrich und sein Bruder Kaspar.

Sein Bruder wurde Schweizer Bundespräsident

Als Kaspar Villiger 1989 für die FDP in die Politik ging (er wurde Verteidigungsminister und später Schweizer Bundespräsident), kaufte ihm Heinrich seinen Teil der Firma ab, machte Schulden und startete neu. Im gleichen Jahr begann das kubanische Abenteuer. Die Kubaner wollten mit Europa ins Geschäft kommen. Aber keines der großen Unternehmen wollte sich mit den Kommunisten einlassen. Villiger griff zu. Er gründete ein Joint Venture mit Cubatabaco. Inzwischen ist er Generalimporteur in Deutschland, Österreich, Russland und der Schweiz für Cohiba, Montechristo, Upmann, Romeo y Julieta und andere edle Havanna-Zigarren. Wie zu hören ist, läuft es prima.

Die Villiger-Gruppe ist zwar ein Mittelständler, gehört aber mit weltweit 1500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von zuletzt 183 Millionen Euro zu den zehn größten Tabakherstellern der Welt. 1,5 Milliarden Zigarren und Zigarillos fertigen die Werke in Pfeffikon, Waldshut-Tiengen, im ostwestfälischen Bünde sowie in Polen, Irland, Frankreich, den USA und Indonesien – überwiegend für den europäischen Markt. In der Schweiz ist Villiger neben Dannemann der größte Produzent und hat einen Marktanteil von 40 Prozent. In Spanien ist man die Nummer zwei. In Deutschland gehört dem Unternehmen ein Viertel des Marktes.

Im vergangenen Jahr feierte Villiger 125. Geburtstag mit einer Roadshow, bei der an fünf Abenden in einem großen Zelt ein Zigarrenabend für Genießer nebst Drei-Gänge-Menü, kubanischer Musik und Zigarren bis zum Abwinken angeboten wurde. Kurz zuvor hatte Villiger passenderweise mit exklusiven Zigarren der Marken Bock, 1888 und neuerdings Tobajara eine Produktoffensive begonnen. Zum Höhepunkt betrat jedes Mal Heinrich Villiger die Bühne und erklärte Details zum Tabakanbau, zur Zigarre, ihrer Geschichte und ihrer Zukunft, die er aber durch die Gesundheitsapostel bedroht sieht.

In der Schweiz nennen sie Villiger den Zigarrenbaron. Er hasst solche Zuschreibungen. Seit er 20 ist, arbeitet Villiger für die Firma. 63 Jahre schon. Er wurde vom Vater nie gefragt, ob ihm das recht sei. Der sagte ihm einfach: „Du musst jetzt arbeiten, weil du der Älteste bist und ich einen Nachfolger brauche.“ Villiger hätte lieber Germanistik studiert, wäre gerne Journalist geworden. Doch die Frage stellte sich ihm nicht.

Das Klappern der Faltmaschinen

Er hat die Sache mit dem Tabak von Grund auf gelernt. Das Klappern der Zigarrenfaltmaschinen auf allen Kontinenten gehört. Er arbeitete als Praktikant in allen US-Staaten, die mit Tabak zu tun haben. Lernte, was man als Tabakauktionator wissen muss. Zog als Einkäufer für Rohtabak durch die Welt. Besuchte alle wichtigen Anbaugebiete: Kongo, Angola, Kamerun, Brasilien, Peru, Kuba und die Dominikanische Republik.

In Deutschland und Europa ist er einer der wichtigsten Repräsentanten der Branche. Von 1965 bis 2001 saß er im Vorstand des Bundesverbandes der Zigarrenindustrie. Er war Vorsitzender der Vereinigung der europäischen Tabakfabrikanten. Seit 2001 ist er Präsident des Verbandes Cigar Coalition Europe.

Nicht alles ist Villiger in seiner Laufbahn gelungen. Das Engagement in der Formel eins Ende der 1970er Jahre blieb nur eine kurze Episode. Auch der Ausflug in das Fahrradgeschäft scheiterte. Nach der Wende hatte Villiger den DDR-Hersteller Diamant übernommen, musste 2003 aber wieder verkaufen.

Vor einem Jahr hat Villiger die Leitung der Firma abgegeben. 20 Jahre lang hat er einen Nachfolger gesucht. Seine älteste Tochter Corina, eine Ärztin und Homöopathin, sitzt im Verwaltungsrat und soll es machen. Villigers Wunsch ist, dass die Firma in Familienbesitz bleibt. „Sie hat Interesse an der Firma“, sagt er. Operativ will sie aber nicht tätig werden. Villiger hat drei weitere Töchter, einen Sohn und neun Enkel. Sein Sohn lebt als Aussteiger in Mexiko. Der Senior hat keinen in die Firma gedrängt.

Seine Nachfolge im operativen Geschäft soll der Deutsch-Schweizer Clemens Gütermann antreten. Er stammt aus einem Breisgauer Unternehmergeschlecht, das weltweit Nähfaden und Garne herstellt. Villiger hat ihn schon im Verwaltungsrat installiert. Der Senior arbeitet natürlich trotzdem weiter. Es hält ihn jung. Villiger ist so solide wie eine Zahlungsanweisung in Schweizer Franken, so verbindlich wie ein Ober in einem Café an der Züricher Bahnhofsstraße und kauzig wie der Almöhi. Er sieht sogar ein bisschen so aus.

Für die Weltgesundheitsorganisation ist er eine Provokation

Für Lungenligen, Krebsforschungszentren und die Weltgesundheitsorganisation WHO stellt Heinrich Villiger eine einzige Provokation dar, weil er für seine Zigarrenfirma und für die Tabakindustrie mit den weltweit 30 Millionen Tabakbauern kämpft. Die WHO steht für ihn an der Spitze des Feldzugs gegen die Tabakproduzenten, denn sie will bis Mitte dieses Jahrhunderts eine rauchfreie Gesellschaft schaffen – was Villiger nur „jenseits“ findet.

Seit mehr als 60 Jahren raucht er Zigarren. Jahrzehntelang waren es zehn bis zwölf am Tag. Seit seinem Herzanfall im Dezember 2006 hat er das Quantum auf zwei bis fünf täglich heruntergeschraubt. Villiger findet, das Leben ist lebensgefährlich, und die Menschen sollten eben selbst entscheiden, ob sie rauchen und sich einem weiteren Risiko aussetzen. Es umweht ihn ein herbwürziger Duft von weiter Welt und großem Abenteuer. Mit seinem wettergegerbten Gesicht könnte er auch als Wiedergänger von Ernest Hemingway durchgehen. In der Schweiz gilt er als einer der letzten echten Männer. Heinrich Villiger raucht, jagt, und er isst nur Bioprodukte. Er fährt fast täglich Mountain Bike. Vor drei Jahren meisterte er mit seinem Geländemotorrad die 3000 Kilometer von Windhoek in Namibia bis ins südafrikanische Johannesburg.

Erst vor Kurzem wurde er zu einem der zehn attraktivsten Manager der Schweiz gewählt. Der Patriarch ist seine eigene Werbe-Ikone. Niemand ist mehr Villiger als Villiger selbst. Er sagt, was er denkt. Tut, was er sagt. Er äußerst sich aber nur, wen er etwas zu sagen hat. Sein Lebensmotto hat er einem afrikanischen Sprichwort entnommen: „Einen Mann kann man nicht essen, nicht trinken, seine Haut kann man nicht gerben. Ein Mann ist nur wert, was er leistet.“