Radikal und kompromisslos: Zum Tod des italienischen Jahrhundert-Pianisten Maurizio Pollini.

Schon mit 18 Jahren war Maurizio Pollini dort, wo andere nie hinkommen. Der begabte Sohn eines Architekten siegte bei einem der renommiertesten Schauläufe der klassischen Musikwelt, dem Warschauer Chopin-Wettbewerb. „Dieser Junge spielt besser Klavier als jeder von uns“, schwärmte der Jurypräsident Arthur Rubinstein. Bessere Startchancen für eine glanzvolle Karriere kann man nicht haben. Maurizio Pollini zog sich danach erst einmal zurück, um zu arbeiten. Wie wenn er sich erst einmal selbst hätte beweisen müssen, dass er die Auszeichnung wirklich wert war.

 

Akribischer und analytischer Geist

Diese Episode sagt viel über den Charakter des Pianisten aus, der am Samstag im Alter von 82 Jahren in seiner Heimatstadt Mailand gestorben ist. Maurizio Pollini war kein Mann der Kompromisse. Die Zahl seiner Auftritte hat er auf vierzig pro Jahr beschränkt. Und er hat sich trotz seiner stupenden Fingerflinkheit und eines durchgängig hohen Grundtempos nie auf die Virtuosenmusik der Vergangenheit beschränkt. Zeitgenössische Musik zu spielen war ihm ein Bedürfnis. Aus dem Blickwinkel des Anti-Romantischen und Analytischen heraus hat er zum Beispiel die Sonaten Beethovens interpretiert, für deren Gesamteinspielung er fast vier Jahrzehnte brauchte. Pollini war skrupulös, er studierte und verglich, bevor er in die Tasten griff. Auch der Flügel, der stets mit ihm reiste, ein auf trennschärfere Register hin bearbeiteter Steinway, steht für diese Perspektive. Chopin hat er auch deshalb wertgeschätzt, weil dessen Arbeitsweise der seinen ähnelte.

Mit seinem Landsmann Arturo Benedetti Michelangeli verbindet Pollini die hohe Anschlagskultur und ein eher kleines Repertoire. Eingespielt hat er Beethoven, Chopins Etüden, Werke von Schubert und Schumann, außerdem Werke der Zweiten Wiener Schule. Mit dem Komponisten Luigi Nono und dem Dirigenten Claudio Abbado fand er nicht nur musikalisch zusammen, sondern auch politisch, im Engagement für die Kommunistische Partei und später gegen Silvio Berlusconi. In seinem Klavierspiel ist das Kantige, Revolutionäre seines Zugriffs mit den Jahren weicher, vermittelter geworden. Ein Suchender ist er aber stets geblieben.