Wenn die Energiewende gelingen soll, muss der Südwesten mehr grünen Strom produzieren. Das reicht aber nicht aus: Damit das Netz nicht zum Nadelöhr wird, muss es auch schneller ausgebaut werden – das sorgt für zahlreiche Baustellen und kostet.

Wegen der Energiewende soll das Stromnetz im Südwesten schneller ausgebaut werden. Darauf haben sich die Netzbetreiber und die baden-württembergische Landesregierung verständigt. Der Umbau des Energieversorgungssystems drohe ansonsten ins Stocken zu geraten, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die nach einem Treffen in Stuttgart am Freitag veröffentlicht wurde.

 

„Die Unterzeichnenden setzen sich daher auf der Grundlage einer vorausschauenden Netzplanung für eine zukunftssichere Stärkung der Stromverteilnetzinfrastruktur ein.“ Die Milliardenausgaben dafür zeichnen sich bereits ab.

Ausbaugipfel mit Kretschmann

Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Energieministerin Thekla Walker (beide Grüne) hatten sich mit Vertretern der 118 Verteilnetzbetreiber im Land zu einem Ausbaugipfel getroffen. Auch die Bundesnetzagentur und Wissenschaftler hatten teilgenommen. Bei dem Treffen, das ein Startpunkt für die notwendigen Investitionen in das Netz sein sollte, stand aber der Austausch im Mittelpunkt. 

In dem Rahmen wurde bekannt, dass sich zahlreiche Akteure bereits Anfang der Woche auf Maßnahmen geeinigt hatten, wie grüner Strom besser ins Netz integriert werden kann. Beschlossen wurden unter anderem bessere Prozesse beim Netzanschluss und einheitliche Standards bei Einspeise-Umspannwerken.

Klimaneutralität bis 2045

Die Bundesrepublik soll bis 2045 klimaneutral werden, der Südwesten bis 2040. Dann sollen nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden als auch wieder gebunden werden können. Gelingen soll das vor allem durch eine Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien - etwa aus Wind, Sonne und Wasserstoff. Baden-Württemberg will zum Beispiel die Leistungen von Wind- und Sonnen-Strom von heute 5,4 Gigawatt auf über 30 Gigawatt im Jahr 2030 steigern.

Die Verteilnetze stehen durch diese Entwicklung allerdings vor großen Herausforderungen. Denn wie der Name schon sagt, wurden sie vorrangig zur Verteilung des Stroms errichtet - und nicht zur Einspeisung größerer Strommengen. Die Zukunft der Energie sei aber regional und dezentral, sagte Walker. „Statt einzelner Großkraftwerke speisen viele verschiedene lokale Anlagen ein.“ Darüber hinaus belasten auch große Verbraucher wie Wärmepumpen und Ladestationen für E-Autos das Netz. Weil es mit dieser Entwicklung nicht mithalten kann, kommt es in einigen Regionen des Landes bereits zu Wartezeiten - etwa beim Anschluss von Photovoltaik-Anlagen.

„Und da erwarte ich von allen (...) volle Kraft“

Für Ministerpräsident Kretschmann wäre es ein echtes Problem, wenn sich diese Situation noch verschärft. Er fürchtet, dass die Bürgerinnen und Bürger durch zu lange Wartezeiten die Lust an der Energiewende verlieren. „Die Leute wollen sich beteiligen“, sagte er am Freitag. „Stellen Sie sich mal vor, was das bedeutet, wenn die Leute jetzt einfach zu lange wollen, und dann heißt es: „Geht nicht, wir können das nicht anschließen.““ Man müsse sich darauf konzentrieren, dass das Netz nicht zum Nadelöhr werde. „Und da erwarte ich von allen (...) volle Kraft.“

Das Verteilnetz besteht aus Hoch-, Mittel- und Niederspannungsnetzen. In Baden-Württemberg hat dieses Netz eine Länge von mehr als 220 000 Kilometern. Dem stehen Stromautobahnen, sogenannt Übertragungsnetze, entgegen, die für den überregionalen Transport von Strom verwendet werden und mit Höchstspannung betrieben werden.

In den nächsten Jahren dürfte fast überall gebaut werden

Wie viele Stromleitungen, Umspannwerke und Trafohäuschen ertüchtigt oder neu gebaut werden müssen, lässt sich laut Umweltministerium noch nicht konkret beziffern. Was aber feststeht: In den kommenden Jahren dürfte fast überall im Südwesten gebaut werden. Erst kürzlich hatte etwa Netze BW, der größte Verteilnetzbetreiber im Land, angekündigt, sein Stromnetz deutlich ausbauen zu müssen.

Die Kosten für den Netzausbau im Südwesten belaufen sich laut einer neuen Studie des Beratungsunternehmens ef.Ruhr auf Dutzende Milliarden Euro. Allein in den Nieder- und Mittelspannungsnetzen seien bis 2045 Investitionen von mindestens 25 Milliarden Euro notwendig, sagte Christian Wagner von ef.Ruhr bei der Vorstellung der Untersuchung im Rahmen des Ausbaugipfels. Das Unternehmen berät unter anderem Netzbetreiber, Energieversorger und die Politik.

Benötigte Summe wohl noch deutlich höher

Bei der Summe handelt es sich nach Angaben Wagners aber lediglich um einen theoretischen Minimalwert. In der Praxis dürfte die benötigte Summe unter anderem wegen der Methodik der Studie deutlich höher liegen. Realistisch seien Kosten von voraussichtlich 50 Milliarden Euro. Berücksichtige man dann noch die Inflation, lande man für die Nieder- und Mittelspannungsnetze bei etwa 70 Milliarden. „Das ist das, was auf Baden-Württemberg zukommen wird“, sagte Wagner. Hinzu kommen demnach noch die Investitionen in die Hochspannungsnetze.

Die Netzbetreiber forderten vor diesem Hintergrund die Rückendeckung und Akzeptanz von Politik und Gesellschaft - etwa für bevorstehende Bauprojekte. Die Energiewende sei ein Generationenprojekt, sagte EnBW-Vorstand Dirk Güsewell. Damit dieser Kraftakt gelinge, brauche es aber dringend schnellere Genehmigungsverfahren. Andere Vertreter der Branche forderten unter anderem eine schnellere Verfügbarkeit von Flächen oder besser Investitionsbedingungen.