Die Bregenzer Festspiele beweisen mit Puccinis Oper „Madame Butterfly“ auf der Seebühne, dass Kunst und Event, Pathos und zartes Gefühl zusammenkommen können. Doch Donner, Blitz und Regen machen der Premiere einen Strich durch die Rechnung.

Blitze zeichnen grelle Zacken in den Nachthimmel, beleuchten vorne das glitzernde Wasser des Sees, weiter hinten die Ufer und voralpinen Hügel. Ein Schlagzeuger im Orchester haut mächtig auf die Pauke. Dann bricht der Ton ab, und das Flutlicht geht an. Huch?

 

Eine Gewitterfront naht, Starkregen ist angekündigt, und so schneiden die Techniker der Bregenzer Festspiele den Akteuren auf der Seebühne ausgerechnet bei der Eröffnungspremiere am Mittwochabend nach knapp einer Stunde den Ton ab. Schon zuvor, kurz nach der Hochzeit des Liebespaares, hat sich das Publikum regenbedingt unter lautem Knistern in ein Heer von Plastiklemuren verwandelt (das war’s dann mit dem kleinen Schwarzen). Jetzt wird die Vorstellung von „Madame Butterfly“ ganz abgebrochen. 5300 Besucherinnen und Besuchern bleibt als Trost nur die Gewissheit, dass sie das Geld für ihre Tickets zurückbekommen. Die Übrigen, Privilegierten, bekommen im Festspielhaus bei einer „halb konzertanten“ Aufführung den Rest.

Trotz herausragender Gesangsleistungen gibt es Längen

Dabei hätte gerade der zweite Akt visuelle Unterstützung dringend gebraucht, denn dort wird nur gewartet. Die Japanerin Cio-Cio-San, erst mit dem amerikanischen Offizier B. F. Pinkerton verheiratet, dann von diesem verlassen und obendrein von ihrer Familie verstoßen, ersehnt die Rückkehr des Geliebten, um diesem endlich den kleinen Sohn vorstellen zu können, den sie nach seiner Abreise gebar. Die Musik leidet – bis hin zum ohrwurmträchtigen Summchor mitsamt dem anschließenden Orchesterzwischenspiel – auf wunderschöne Weise mit. Enrique Mazzola dirigiert die Wiener Symphoniker mit leichter Hand und viel Sinn für die Balance zwischen großen Bögen und feinen Details. Den Stimmen gibt er liebevolles Geleit, und es ist toll, die Sänger auch mal ganz nah und ohne die Verstärkung der (allerdings genial guten) Verstärkeranlage zu hören, denn sie sind gut. Edgaras Montvidas als Pinkerton, Annalisa Stroppa als Suzuki, Brian Mulligan als Sharpless: klasse. Herausragend ist die usbekische Sopranistin Barno Ismatullaeva, die der Titelpartie Präzision gibt, leuchtende Farben, viel Dramatik und noch mehr Gefühl. Dennoch: Der Akt hat Längen.

Das Bühnenbild ist ein Stück Papier – und wiegt 300 Tonnen

So beginnt man, im Konjunktiv zu träumen. Und kann die Bilder zum Erträumten anschließend im Programmheft nachsehen. Ja, ein Schiff wäre gekommen: eine vergrößerte Version jenes Papierbootes, das Cio-Cio-Sans kleiner Sohn zuvor ins Wasser des Bodensees setzte. Und am Ende, wenn sich die Titelheldin verzweifelt ins Messer wirft, wäre – spektakulär! – die Bühne in Flammen aufgegangen. Denn sie ist nichts als ein Stück Papier.

Das allerdings ist gigantisch und wiegt 300 Tonnen. Michael Levine hat es entworfen. Man erkennt japanische Schriftzeichen und eine Berglandschaft als zarte Tuschezeichnung, die in wechselnden Farben beleuchtet und immer wieder auch mit Videos belebt wird – besonders wirkungsvoll beim Fluch Bonzos, bei dem die Bergkulisse zu einer sprechenden Maske mutiert. So spektakulär wie zuletzt der bewegliche Narrenkopf in Verdis „Rigoletto“ ist das nicht – dem Anfangs-Effekt der sich zerstörerisch durch das Papier bohrenden amerikanischen Flagge, den etliche Besucher bejubeln, folgen bis zum Brand am Ende keine weiteren großen Gesten. Aber die visuelle Zurückhaltung passt zum Stück. Denn „Madame Butterfly“ ist ein Kammerspiel.

Zwischen den handelnden Personen ist immer Spannung da

Passt das zur Bregenzer Seebühne, auf der alles noch größer und pathetischer ist als ohnehin? Der inszenierende Intendant der Oper Zürich, Andreas Homoki, beweist, dass ja. So wie die Leichtigkeit des Bühnenbildes nur eine scheinbare ist, so ist auch die Intimität von Puccinis Oper nur im Vordergrund da. Dahinter stehen große Emotionen, also genau das, was Musiktheater in diesem Rahmen braucht, und Homoki gibt ihm Raum, indem er den Sängern Raum gibt – und die Sänger im Raum arrangiert. Manchmal wirkt seine Inszenierung wie eine Choreografie – auch wenn die (übrigens männlichen) Tänzer, die als Geishas immer wieder die Klüfte und Erhebungen der Bühne füllen, gerade mal nicht da sind. Zwischen den handelnden Personen ist immer Spannung da, auch wenn sie weit voneinander entfernt stehen.

Es ist nicht so, dass der Abend nicht auch Kitschecken hätte. Die gehören aber ebenso zu diesem Stück wie die musikalischen Exotismen, die Puccini seiner Partitur einbaute – und die wunderbaren Momente, mit denen dieser Komponist immer wieder überwältigt: wenn sich die zuvor unabhängigen Gesangslinien und das Orchester in Emphase vereinigen. Welch weiter Himmel! Welch weites Meer! Das singt Cio-Cio San am Bodensee, als sie sich noch vollkommen glücklich glaubt. Das Wetterleuchten im Hintergrund hätte ihr Warnung genug sein sollen.

Kunst und Event gehen zusammen

So findet Madame Butterfly den Tod im Festspielhaus, umgeben von Blütenblättern: Der Schmetterling, den sie im Namen trägt, hat sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Das Publikum, verwirrt, ob es zuvor bei der Ankunft von Pinkertons Schiff Kanonendonner oder doch eher ein Gewittergrollen von außerhalb vernahm, ist trotz des Umzugs mitsamt der damit einhergehenden Zeitverzögerung restlos begeistert. Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass Unterhaltung und Ernsthaftigkeit, Spektakel und Anspruch, Pathos und zarte Gefühle, Kammermusik und Breitwandkulisse, Kunst und Event durchaus zusammenkommen können: Dieser Abend hätte ihn gewiss erbracht.

Bregenzer Festspiel auf dem See und im Festspielhaus

Oper draußen
„Madame Butterfly“ ist noch bis zum 21. August auf der Seebühne zu erleben. Es gibt noch Restkarten.

Oper drinnen
 Umberto Giordanos Oper „Sibirien“ wird im Festspielhaus am 24. 7. und 1. 8. gezeigt. Am 27. 7. hat auf der Werkstattbühne Johannes Kalitzkes „Kapitän Nemos Bibliothek“ Premiere – Uraufführung des Stücks war im Mai bei den koproduzierenden Schwetzinger Festspielen.

Schauspiel
An diesem Samstag (23. 7.) hat Shakespeares „Sturm“ Premiere im Theater am Kornmarkt. Regie: Jan Bosse. Weitere Aufführungen am 25./26. 7.

Außerdem
gibt es Orchesterkonzerte, Kammermusik, Gastspiele und Abende mit dem Opernstudio der Festspiele.

Karten
Informationen und restliche Tickets gibt es bei Eventim (auch telefonisch unter 018 06 / 57 00 70)und www.bregenzerfestspiele.com  ben