Der SPD ist das Bündnis mit den Grünen im Land nicht bekommen. Das lag an „zu viel Harmonie“, meint Parteichef Andreas Stoch.

Stuttgart - Als Grüne und SPD im Jahr 2011 nach 58 Jahren die CDU von der Macht verdrängten, lagen die beiden Parteien noch dicht beieinander. 24,2 Prozent der Stimmen entfielen bei der Landtagswahl auf die Grünen, die SPD verbuchte 23,1 Prozent. Vereint reicht es zur grün-roten Koalition mit Winfried Kretschmann als Ministerpräsident und Nils Schmid als dessen Vize.

 

Der Aufstieg der Grünen ließ Rot abstürzen

Fünf Jahre später trennten Grüne und Sozialdemokraten Welten: Kretschmann überholte mit seiner Partei sogar die CDU und kam bei der Landtagswahl 2016 auf 30,3 Prozent, die Genossen stürzten tief und mussten sich mit 12,7 Prozent bescheiden. Wie konnte das geschehen? Die SPD empfand das Wahlergebnis als zutiefst ungerecht, hatten sie doch wichtige Ministerien mit Erfolg geführt. Finanzen und Wirtschaft, Arbeit und Soziales, Integration, das Innenressort und die Justiz – all das gehörte zu ihrem Reich. Dazu die Landesvertretung in Berlin und – vor allem – die Schulpolitik, das zentrale, auf mehr Bildungsgerechtigkeit zielende Reformprojekt von Grün-Rot.

Das Hauptproblem der SPD: Kretschmann

Für den Absturz der SPD gab es nicht nur den einen Grund, aber doch einen besonders wichtigen: Kretschmann. Zwischen Roten und Grünen hatte es sich schon in der Vergangenheit bei Wahlen häufig so verhalten: Des einen Glück bedeutete des anderen Leid. Schnitt die SPD gut ab, versagten die Grünen. Und umgekehrt. Und so fiel es den Grünen 2016 nicht schwer, der SPD unter der Losung „Kretschmann muss Regierungschef bleiben“ 160 000 Stimmen abzuknöpfen. Das alte rot-grüne Wählermilieu votierte für den Ministerpräsidenten. Von der CDU holte Kretschmann allerdings auch mehr als 100 000 Stimmen, womit er sich ein konservatives Wählerpotenzial erschloss.

Andreas Stoch, der drei Jahre unter Kretschmann als Kultusminister diente, neigt heute als Landes- und Fraktionsvorsitzender der SPD zu der These, dass seine Partei in der Koalition „zu viel Harmonie“ zugelassen habe. „Wir haben zu wenig Kontroversen öffentlich gemacht.“ Zwar sei auch an der Gegenthese was dran: dass eine Regierung nicht zerstritten vor die Wählerschaft treten solle. Aber bei Grün-Rot habe über den Kompromissen, nachdem sie still im Maschinenraum der Koalition ausgehandelt worden waren, eben immer die Sonne Kretschmann geschienen. Die im Dunkeln schuften, die sah man nicht.

Der Ministerpräsident hat immer einen Bonus

Ein Ministerpräsident, egal wie er heißt, genießt ohnehin das Privileg, jedes attraktive Thema an sich ziehen zu können. Der eigentlich zuständige Fachminister kommt dann kaum mehr vor in der öffentlichen Wahrnehmung. Weil Wirtschaft wichtig ist, besonders in Baden-Württemberg, ereilt regelmäßig das Wirtschaftsressort dieses Schicksal. Das muss derzeit Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) erfahren. Die großen Autokonzerne und ihre Zulieferer gelten als Chefsache. „Die Bilder in den Medien zeigen Kretschmann, nicht die Ministerin“, beobachtet Stoch. So sei es der SPD auch widerfahren. „Bei wichtigen Themen hat sich Kretschmann einfach draufgesetzt.“ Allerdings erging es so regelmäßig auch CDU-Ministern mit CDU-Ministerpräsidenten.

Der SPD-Landeschef attestiert den Grünen außerdem eine „Bigotterie“ in der inhaltlichen Ausrichtung. Kretschmann neble das Publikum mit seinem bürgerlichen Grundkonservativismus ein, während Verkehrsminister Winfried Hermann mit der grünen Fahne durch die Landschaft ziehe. „Den Grünen lässt man das durchgehen“, moniert Stoch.

Kretschmann jedoch kommentierte die eigene mediale Übermacht schon vor der Wahl 2016 mit der Frage: „Soll ich mich etwa unsichtbar machen?“