Der Landtag nennt sich neuerdings „Vollzeitparlament“ – zu Unrecht. Der Föderlismus erschlafft, kommentiert StZ-Autor Reiner Ruf.

Stuttgart - Endlich Ferien! Die Schüler müssen – oder dürfen – noch wenige Tage ausharren (Vorfreude ist die schönste Freude), für die Abgeordneten des Landtags aber ist jetzt Schluss: Plenarsaal, ade. Schon spüren sie den meersäumenden Sand zwischen den Zehen, schmecken das Salz des azurblauen Ozeans auf den Lippen, atmen den modrigen Duft dunkler Bergwälder. Sie schütteln den Staub eines Parlamentsjahres von ihren Füßen, das für den Landtag Licht und Schatten bereithielt.

 

Im umgestalteten Plenarsaal erhellt nun Tageslicht die nicht immer funkelnde, mitunter düstere Gedankenwelt der Abgeordneten. Das Bürger- und Medienzentrum mit seinem – dem antiken Amphitheater abgeschauten – Außenbereich ist inzwischen ebenfalls fertig und ganz okay. Weniger lichtvoll war hingegen das Aufscheinen antisemitischer und rassistischer Kräfte in den Reihen der neu ins Parlament gewählten AfD. Auch die gescheiterte Nacht-und-Nebel-Aktion von Grünen, CDU und SPD zur Aufbesserung der Altersversorgung der Abgeordneten trug nicht zur Hebung des Ansehens des Parlaments bei.

Das ist misslich, begleitet die Länderparlamente doch stets die leise Frage, ob es sie denn wirklich brauche, es gebe schon in Berlin den Bundestag. Es ist die Sinnfrage, die beispielhaft darin ihren Ausdruck findet, dass etwa die ganze Republik eine sich ins Krähwinkelhafte verlierende Kleinstaaterei in der Bildungspolitik beklagt, dieselbe aber zu den Kernkompetenzen der Länder zählt. Ein bitterer Befund: Dort, wo die Länder stark sind, ruft das Publikum nach dem Zentralstaat. Bei der Polizei verhält es sich neuerdings ebenso.

Mangel an Gestaltungskraft

Die Tagesordnungen des Parlaments wie auch des Kabinetts verstärken – nicht immer, aber auch nicht selten – den von Melancholie durchwirkten Eindruck, dass der Föderalismus nicht mehr das ist, was er vielleicht einmal war. Der vor einigen Jahren unternommene Versuch, die Zuständigkeiten von Bund und Ländern zu entflechten und damit den Föderalismus zu stärken, verlief im Sande. Was machen die Länder zum Beispiel aus der neuen Zuständigkeit für das Beamtenrecht? Nichts. An die Pensionen trauen sie sich schon gar nicht ran. Der mit den Mitteln des Landespolizeirechts forcierte Ausbau des Überwachungsstaats wäre ebenfalls eine mit Herzblut geführte Kontroverse wert. Stattdessen treibt die Abgeordneten vor allem die Frage um, ob es im Südwesten 13 oder 14 Polizeipräsidien geben oder bei zwölf bleiben soll. Das ist auch wichtig. Aber vielleicht nicht ganz so wichtig.

In diesem Licht entpuppt sich die Umfirmierung des Landtags vom Teilzeit- zum Vollzeitparlament als fragwürdig. Die vor knapp zehn Jahren beschlossene Parlamentsreform brachte den Abgeordneten um fast ein Drittel erhöhte Diäten ein. Ein politischer Mehrwert dieser vermeintlichen Professionalisierung aber ist nicht ersichtlich. Fasst man die gesamte landespolitische Szenerie ins Auge, die Legislative wie die Exekutive, so kann man ganz grob einen jährlichen Aufwand für die politische Führung in Höhe von 350 Millionen Euro veranschlagen. Das sind die im Staatshaushaltsplan ausgewiesenen Kosten für den Landtag und die Ministerien.

Doch was soll die Klage? Das Land als politisches Gebilde ist uns schon deshalb teuer, weil es das Grundgesetz so will. Länderneubildungen sind möglich, die Gliederung des Bundes in Länder aber ist unverrückbar. Also sollte man das Beste daraus machen. Denn der Föderalismus schafft zwar Reibungsflächen und stellt sich mitunter schrecklich ineffektiv an. Aber vieles wird nicht dadurch besser, dass es zentral geregelt wird. Die Länder wahren Vielfalt in der Einheit, und sie bieten regionale Identität in einer unübersichtlichen Welt. Das gelingt besser, wenn sich Landespolitiker weniger als gut alimentierte Verwalter denn als engagierte Gestalter begreifen.