Das Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in Stuttgart entwickelt neue Herangehensweisen ans Lernen. Experimentelle, sinnliche Erfahrungen sollen die Schüler stärken. Schub bekommt die Schule durch die Auszeichnung „Kulturschule Baden-Württemberg“.

Stuttgart - Kulturschule in Coronazeiten – kann so etwas überhaupt funktionieren? Davon ist am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in Bad Cannstatt nicht nur Schulleiter Norbert Edel überzeugt. Den Titel hat die Schule gerade erst vom Kultusministerium verliehen bekommen – als eine von 25 landesweit. Doch mit den 12 000 Euro, den das Elly nun auf drei Jahre bekommt, ist es bei Weitem nicht getan. Und was bedeutet das überhaupt, Kulturschule?

 

„Das dreijährige Programm soll die Schulen sowohl bei der Entwicklung fester Kooperationen mit Kulturpartnern außerhalb der Schule als auch bei der Stärkung der kulturellen Bildung im regulären Unterricht unterstützen“, heißt es beim Kultusministerium, das das Landesprogramm mit der Karl Schlecht Stiftung und der Stiftung Mercator ins Leben gerufen hat. Gemeinsam mit anderen Modellschulen solle die Entwicklung von kulturell-ästhetischem Unterricht ausgebaut und etabliert werden. Doch was ist damit gemeint?

„Es geht darum, Methoden zu finden, wo die Kinder konkret was ausprobieren“, erklärt Dorothea Lanz. Die Theaterpädagogin und freischaffende Regisseurin arbeitet als Externe schon länger mit dem Elly zusammen. Gemeinsam mit David Götz, dem Lehrer für Deutsch, Ethik, Philosophie, Literatur und Theater und Kulturbeauftragten des Gymnasiums, leitet sie die 40 Schüler starke Theater-AG. Das Elly fängt beim Thema Kultur nicht bei null an, sondern sucht sich seit Jahren schon außerschulische Partner, um Projekte zu finanzieren.

„Wir möchten die Kinder stärken“, sagt Schulleiter Norbert Edel

Doch es geht der Schule bei Weitem nicht nur darum, interessierten Schülern das Theaterspielen zu ermöglichen. Sondern man wolle „eine Art Didaktik der kulturellen Bildung im Unterricht entwickeln“, erklärt Norbert Edel – „auch in Mathe, Geschichte, Physik“. Der Schulleiter räumt ein: „Viele Kollegen können sich das gar nicht vorstellen: Wie soll ich im Matheunterricht kulturelle Bildung integrieren?“ Tja, wie? Edel: „Man kann in Anlehnung an Hans Magnus Enzensbergers Zahlenteufel in kleinen Theaterstücken die Eigenschaften von Primzahlen herleiten. Beim Bauen geometrischer Körper aus Quadern und Pyramiden kann die eigene Hauskatze, aber auch das Huhn aus Minecraft modelliert und ihr Volumen berechnet werden. Mit Kichererbsen und Zahnstochern können ganz neue Körper erschaffen und nebenbei kann der Eulersche Polyedersatz entdeckt werden.“ Denn, so Edel: „Wir verstehen kulturelle Bildung nicht als Additum, sondern als was Grundsätzliches“, sagt der Schulleiter. „Wir möchten die Kinder stärken. Dazu brauchen sie die Erfahrung, dass bei dem, was sie machen, was rauskommt.“ Das erfordere allerdings eine zukunftsorientierte Form des Lernens. Um sich Sachwissen anzueignen, brauchten Schüler die Schule nicht primär. Stattdessen sei das Ziel, „Schüler dazu zu bringen, sich auf was einzulassen“, so Edel. Dazu trage auch bei: „Wir arbeiten mit festen Tischgruppen, die Schüler sind füreinander verantwortlich, wenn jemand hängen bleibt – von Klasse fünf an wird das geübt.“ Zum Einlassen gehört am Elly auch schon seit Jahren das enge Miteinander mit geistig behinderten Klassenkameraden aus der Helene-Schöttle-Schule, das als kooperative Organisationsform geführt wird und nur offiziell Außenklasse heißt. Und auch die Selbstverständlichkeit, dass Schüler aus der Vorbereitungsklasse in den Regelunterricht wechseln – und in der Theater-AG aufblühten.

David Götz ergänzt: „Es ist auch eine Haltungsfrage: Ich muss mich als Lehrer auch auf Schüler anders einlassen, offen sein, um mich auf einen Prozess der Gestaltung einzulassen.“ Dabei helfen soll zum einen der Austausch mit externen Partnern, zum Beispiel welchen wie Dorothea Lanz: „Künstler gehen anders um mit Unsicherheiten – das hat Potenzial in der Arbeit“, erklärt sie. „Lehrer und Künstler im Tandem – das ist befruchtend“, findet sie. Zum anderen hat das Elly jetzt ein innerschulisches Kulturteam gebildet, dem neben zwölf Lehrern auch je ein Eltern- und Schülervertreter angehören. Das Team plane Pilotprojekte mit Fachschaften sowie mit außerschulischen Partnern.

Die Coronapandemie zwingt dazu, Projekte ganz anders anzulegen

Die Coronapandemie habe allerdings einiges ausgebremst. „Die angedachte Zusammenarbeit mit den Museen mussten wir leider aufgeben“, berichtet Lanz. Etwa den Plan, das Thema Rassismus mit historischem Material aus dem Haus der Geschichte und dem Hotel Silber zu bearbeiten und daraus eigene Szenen zu entwickeln, in denen die Schüler nachspüren sollten, was der Verlust der Grundrechte bedeutet, welche Konsequenz das eigene Tun hat und welche Verantwortung selbst das kleinste Rädchen hat. Stattdessen experimentieren die Schüler nun zum Thema Ausgrenzung mit zeitgenössischer Dramenliteratur in Form von Monologen – coronagerecht. „Man versucht ständig, neue Sachen zu erfinden, weil vieles gerade nicht mehr geht“, sagt Dorothea Lanz. Prozessorientierung sei auch das, was man für den Unterricht brauche, erklärt Edel. „Das Problem ist unser Selbstverständnis: Wir sind verantwortlich für das Ergebnis, wir sollten es verstärkt auch für den Prozess sein.“