Der Norden Deutschlands kommt in der Energiewende gut voran. Doch im Süden kostet der Netzausbau deutlich mehr – einer von vielen Streitpunkten in Sachen Netzausbau mit Erneuerbaren Energien.

Berlin: Tobias Heimbach (toh)

Eigentlich haben alle ein gemeinsames Ziel: Industrie und Haushalte sollen mit immer mehr Energie aus erneuerbaren Quellen versorgt werden, vor allem aus Wind und Sonne. Doch auch wenn die grundsätzliche Vision geteilt wird, so kommt es doch immer wieder zu Streit in Deutschland zwischen dem Norden und dem Süden.

 

Zuletzt ging es dabei um die Netzentgelte. Warum gibt es bei Energiethemen immer wieder Konflikte zwischen den beiden Landeshälften? „Am Ende brauchen Norden und Süden einander“, sagt Malte Küper, Energieexperte vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Denn, vereinfacht gesagt, ist das Konzept der Energiewende, den Strom von den Küsten in die Industriezentren im Süden zu bringen. Der Norden kommt dabei gut voran.

So lag 2021 der Anteil von Wind- und Sonnenstrom am in Schleswig-Holstein insgesamt produzierten Strom bei 60 Prozent. Das führt allerdings nicht zu sinkenden Preisen – im Gegenteil.

„Dass die Netzentgelte nun überarbeitet werden sollen, ist überfällig.“

Weil neue Windräder und Solaranlagen ans Netz angeschlossen werden müssen, sind die Kosten für den Netzausbau höher und werden auf die Verbraucher in der Region umgelegt. Hinzu kommt, dass der Norden recht dünn besiedelt ist. Die Kosten werden also auf weniger Menschen aufgeteilt. Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur und früher grüner Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein, will das ändern. „Denn es liegt auf der Hand, dass wir den Erneuerbaren-Ausbau belohnen sollten“, sagte er kürzlich. Dies hieße umgekehrt, dass Menschen in anderen Regionen stärker belastet werden, also etwa im Süden. Aus Bayern gab es daher Widerspruch. Der bayrische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) forderte am Dienstag, nicht Menschen in seinem Bundesland, sondern der Bund müsse sich stärker an den Ausbaukosten beteiligen. Experte Küper sagt: „Dass die Netzentgelte nun überarbeitet werden sollen, ist überfällig.“ Derzeit würden die Menschen in den Regionen bestraft, in denen die Erneuerbaren Energien besonders schnell ausgebaut werden, sagt er. „Das setzt die falschen Anreize.“ Ein weiterer Konfliktpunkt zwischen Nord und Süd ist, dass der Leitungsausbau nicht schnell genug vorankommt. Immer wieder müssen Windräder in der Nordsee daher abgeschaltet werden, weil zu viel Strom produziert wird. Daher gibt es das Szenario, Deutschland in unterschiedliche Strompreiszonen zu unterteilen. Diese würden von der EU-Kommission vorgegeben werden, die über den Wettbewerb am Strommarkt wacht.

Die Landesregierungen in Baden-Württemberg und Bayern haben sich vehement dagegen ausgesprochen. Die Befürchtung: Die ohnehin hohen Strompreise in Deutschland würden für den Süden noch stärker steigen. Die Auswirkungen für die Industrie im Süden wären wohl verheerend. Im Norden würde der Strom allerdings billiger.

Die Konflikte könnte in Zukunft noch weiter gehen

Die unterschiedliche Interessenlage zwischen Nord und Süd ist also klar - doch wie steht es mit Ost und West? „Der Osten hat ähnliche Interessen wie der Norden“, sagt Küper. Durch den schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien hat der Osten es geschafft, dies zu seinem Standortvorteil zu machen wie man an Intels geplanter Chip-Fabrik in Magdeburg sieht. Der Westen vereint die Merkmale der anderen Regionen. Dort gibt es einerseits viele Industriebetriebe, die grünen Strom brauchen. Ein Vorteil ist, dass die dortigen Industriezentren mehrere Hundert Kilometer näher an den Windparks an der Küste liegen als Bayern oder Baden-Württemberg. Zudem hat sich in den vergangenen Jahren das Ausbautempo bei der Windenergie rasant beschleunigt. Das ist besonders bemerkenswert, weil Nordrhein-Westfalen viel dichter besiedelt ist als etwa Bayern. „NRW hat verstanden, dass der Zugang zu bezahlbarer grüne Energie ein Standortfaktor ist“, sagt Experte Küper. Deswegen werde dort nicht nur die Windkraft wieder stärker gefördert und der Leitungsbau vorangetrieben. Man bereite auch Wasserstoffimporte vor, indem man Rohrleitungen in die Niederlande plant.

Dass die Konflikte um die Energie zwischen Norden und Süden in Zukunft verschwinden werden, glaubt Küper nicht. Denn ein weiterer Energiekonflikt deutet sich bereits an. „Der Süden Deutschlands befürchtet, beim ersten Zugang zu grünem Wasserstoff abgehängt zu werden.“ Denn dieser werde vor allem an den Küsten ankommen.