Die Zulassung der E-Autos ist sprunghaft gestiegen. Allerdings hält die öffentliche Ladeinfrastruktur mit dieser Entwicklung nicht Schritt, wie die Kfz-Innung kritisiert: Schon die derzeitigen 600 oder 700 Ladepunkte würden bei der aktuellen Fahrzeugzahl nicht reichen. Und eine Ende des Booms ist nicht in Sicht.

Stuttgart - Torsten Treiber, Obermeister Kfz-Innung Stuttgart und Region, freut sich speziell in diesen schweren Zeiten „über jedes Auto, das wir verkaufen“. Nur den derzeitigen Zuwachs bei den E-Autos und Hybriden sieht er mit gemischten Gefühlen. Denn sie erzeugten keinen Nachfrageschub: „Diese Autos ersetzen in der Regel andere Fahrzeuge.“ Was den Mann von der Innung grämt, ist für die Stadt Stuttgart eine gute Nachricht. Weniger Verbrenner und mehr E-Autos, die im besten Fall mit regenerativ erzeugtem Strom fahren, bedeuten automatisch eine Verbesserung der Luftqualität im Kessel.

 

Und offenbar hat die Umweltprämie des Bundes dazu beigetragen, dass in Stuttgart die E-Mobil-Flotte stark wächst. Christian Reher, Geschäftsführer der KfZ-Innung bestätigt das: „Stuttgart ist bei den E-Fahrzeugen und auch in der Region vorneweg. Mit rund 5000 E-Autos sind weit mehr als ein Viertel der über 17 000 Elektroautos hier gemeldet.“ Ähnlich sieht es bei den Plugin-Hybriden aus, die auch staatlich gefördert werden: „Mit über 7000 ist es in Stuttgart nicht ganz die Hälfte des insgesamt vorhandenen Bestandes von rund 15 000 Plugin-Pkw.“ Wichtig sei in diesem Zusammenhang: „Dabei müssen wir wissen, dass Plugins ja häufig von Pendelnden gefahren werden, die vor Fahrverboten sicher sein wollen.“

Der Markt wächst weiter

Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Auch die EnBW als ein Anbieter von E-Auto Ladesäulen rechnet mit einem starken Wachstum: „Vor allem im vergangenen Jahr konnte man einen starken Anstieg am Anteil der Gesamtzulassungen feststellen. Elektro-PKW erreichten, kumuliert über das vergangene Jahr, ein Wachstum von 206,8 Prozent“, sagt Unternehmenssprecherin Henrike Reichert. In den kommenden zehn Jahren rechnet auch die Nationale Plattform Elektromobilität (NPM) mit sieben bis 10,5 Millionen Elektrofahrzeugen in Deutschland.

So weit so gut. Gäbe es da nicht das Problem mit den öffentlichen Ladestationen. Selbst in diesen Tagen, die von Homeoffice und Lockdown geprägt sind, ist es nicht leicht, in der Innenstadt eine freie Ladesäule zu finden. Obermeister Torsten Treiber nennt die aktuelle Ladeinfrastruktur in Stuttgart daher „als noch sehr ausbaufähig“. „Wenn wir uns die Zahlen anschauen, dann haben wir ja nicht nur die E-Autos und Plugins in der Region, sondern auch E-Fahrzeuge, die von außen kommen“, sagt er. Und er spricht ein Problem an, dass die Anbieter von Ladestrom bisher nicht stark im Fokus hatten: Statt nur zu Laden parken Pendler an den raren Plätzen. „Ich bin nicht einmal sicher, dass der Kunde auch wirklich wegfährt, wenn er beispielsweise sein Auto in der Innenstadt fußläufig zum Arbeitsplatz abgestellt hat. Aber selbst wenn, dann haben wir nach Aussage der Stadt in Stuttgart aktuell 600 oder 700 Ladepunkte. Das kann bei der aktuellen Fahrzeugzahl nicht reichen.“

Stadt sieht den Bedarf

Auch die Stadt räumt ein: „Aufgrund der steigenden Zulassungszahlen für E-Fahrzeuge ist die pilothafte Projekt- und Experimentierphase in diesem Bereich vorüber, und es entsteht ein echter Markt.“ Daher sei im Bereich des öffentlichen Ladens ein Wettbewerb notwendig und auch geboten. Diese Entwicklung kommt nun allmählich in Gang: Insgesamt 346 neue und zusätzliche Normalladestandorte wurden 2019 ausgeschrieben und in einem wettbewerblichen Verfahren vergeben. Sie wurden seit Jahresbeginn 2020 ämterübergreifend verortet und begangen. Derzeit sind von 23 Stadtbezirken insgesamt 19 begangen worden. Die Ergebnisse werden und wurden in den Bezirksbeiräten zur Anhörung vorgestellt. Die bauliche Umsetzung der Standorte findet 2021 statt.

Zudem hat die Stadt 145 Bestandsstandorte nach Auslaufen des entsprechenden Gestattungsvertrags zum Jahreswechsel neu ausgeschrieben und damit den Wettbewerb gefördert. Neben der EnBW AG und den Stadtwerken Stuttgart haben auch die beiden Unternehmen EZE network GmbH und Allego GmbH Zuschläge für den Betrieb von Normalladeinfrastruktur erhalten. Eine besondere Rolle in dieser Vermarktungsstrategie spielen die Stadtwerke. Mit 62 Ladesäulen aus dem Bestand der EnBW ist die städtische Tochter nun an den Start gegangen . Die Stadtwerke sollen im Auftrag der Stadt die Energiewende in Stuttgart umsetzen. „Insofern sehen die Stadtwerke Elektromobilität als große Chance, die Energiewende schneller voranzubringen. Mit dem Ausbau öffentlicher Ladeinfrastruktur tragen die Stadtwerke ihren Teil dazu bei, dass sich mehr Stuttgarter auch ohne eigene Lademöglichkeit für ein E-Auto entscheiden können.“

Nicht nur wegen des aktuellen Engpasses in der öffentlichen Ladeinfrastruktur sieht Christian Reher von der KfZ-Innung die Zukunft der Elektromobilität eher kritisch. Grund seiner Skepsis: „Weil jetzt mit Prämien auf Teufel komm‘ raus E-Autos in den Markt gedrückt werden, für die wir in drei, vier Jahren einen Gebrauchtwagenmarkt brauchen, von dem wir heute nicht wissen, wie er aussehen wird.“

Zudem könnte bald ein weiteres Argument für den Kauf eines E-Autos wegfallen: Die Gebührenbefreiung auf Stellplätzen mit Parkautomaten im öffentlichen Straßenraum in Stuttgart für E-Fahrzeuge läuft Ende Dezember 2022 aus. „Über eine mögliche Verlängerung wird zum gegebenen Zeitpunkt durch die zuständigen Gremien entschieden“, heißt es bei der Stadt.