Trotz anhaltend hoher Arbeitslosigkeit scheinen sich die Krisenstaaten Südeuropas langsam zu erholen. Doch das birgt die Gefahr, dass der Reformeifer nachlässt. Vor allem Frankreich gilt den Experten als Sorgenkind Europas.

Berlin - Die Anspannung ist gewichen. Vor wenigen Wochen hetzten die Haushalts- und Finanzpolitiker im Bundestag noch von einer Krisensitzung zur nächsten, um über die Nothilfen für Zypern zu beraten. Von dieser Hektik ist in der Hauptstadt nichts mehr zu spüren. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verwendet zwar nach wie vor den Großteil seiner Zeit auf Europa. Doch er muss sich aktuell weniger mit Notkrediten beschäftigten. In der vergangenen Woche telefonierte er beispielsweise mit der spanischen Arbeitsministerin und sprach mit ihr darüber, wie neue Ausbildungsprogramme für arbeitslose Jugendliche finanziert werden können. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit sei seine größte Sorge, sagte Schäuble anschließend in einer Diskussion mit Schülern.

 

Die Finanzmärkte fassen wieder Vertrauen in Südeuropa

Rückblende: Im Mai vor drei Jahren hatte Europa das erste Hilfspaket für Griechenland geschnürt. Nun gibt es zumindest bei den Finanzindikatoren erste Hoffnungsschimmer. Die Ratingagenturen haben die Bonität Griechenlands hochgestuft und das Land zahlt für zehnjährige Staatsanleihen weniger als zehn Prozent. Früher waren die Sätze vier Mal so hoch. Die Erholung ist zwar nicht überzubewerten, da Hellas sein Geld nicht in erster Linie von den Kapitalmärkten, sondern von der Eurozone und dem Internationalen Währungsfonds bekommt. Doch binnen kurzer Zeit hat sich das Bild geändert: Die Finanzmärkte fassen wieder Vertrauen in Südeuropa. Spanien, das auf dem Höhepunkt der Krise für Staatsanleihen sieben Prozent bezahlen musste, erhält jetzt neue Mittel für vier Prozent. „Damit sind die Spanier nicht unzufrieden“, sagte Schäuble den Schülern. Günstiger an Geld kommt auch Italien. Frankreich muss für zehnjährigen Staatspapiere weniger als zwei Prozent bezahlen. Der CDU-Haushaltspolitiker Norbert Barthle spürt die Veränderungen. Jüngst sprach er mit großen Investoren aus den USA: „Alle sagen, die Krise hat sich an der Oberfläche beruhigt“, so Barthle. Bei Treffen mit ausländischen Gästen stoßen die Bundestagsabgeordneten auf einen Stimmungswandel. „Die Investoren haben begriffen, dass der Euro Bestand hat“, sagte Barthle. Zweifel an der Gemeinschaftswährung seien ausgeräumt, findet auch der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar. Die Spekulationswelle gegen den Euroraum sei vorüber. Der Vizefraktionschef der Liberalen bringt es auf diese Formel: „Wir haben die Feuerwehreinsätze hinter uns.“ Die Stützungsaktionen für mehrere Länder zeigten Wirkung. Trotz der Zuversicht kann sich aber niemand sicher sein, ob es nicht neue Rückschläge gibt. „Wir müssen Brandwache halten“, meinte Toncar.

Jetzt gilt Frankreich als Sorgenkind Europas

Es mag paradox klingen, doch die Abkehr vom Krisenmodus birgt auch Gefahren. „In vielen Euroländern lässt die Bereitschaft nach, sich Strukturreformen zu unterziehen“, sagte der CDU-Mann Barthle. Aus Rom, Lissabon und Paris wird der Ruf immer lauter, den Sparkurs abzuschwächen. Wachstum heißt das Zauberwort. Die Lage habe sich beruhigt, jetzt müsse es darum gehen, Wachstum zu erzeugen, fordern die Südländer. Was gemeint, aber nicht gesagt wird, ist Wachstum auf Pump. Vor allem Frankreich macht Front gegen die angebliche Austeritätspolitik in Europa. Kritiker wie Jürgen Stark, früherer Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, entgegnete darauf, Frankreich habe mit dem Sparen noch nicht richtig begonnen.

In der schwarz-gelben Koalition gilt Frankreich inzwischen als Sorgenkind. Die Entscheidung der EU-Kommission, Frankreich bis 2015 Zeit zu geben, um die Drei-Prozent-Defizitgrenze nach dem Maastricht-Vertrag zu erreichen, hält Berlin für ein fatales Signal. Die Bundesregierung vermeidet es zwar, den Partner offen zu rüffeln. In der Unionsfraktion und der FDP ist der Ärger aber groß. Deutschland setzt sich nun dafür ein, dass Brüssel bei der formalen Entscheidung Ende des Monats die Fristverlängerung mit strikten Reformauflagen verbindet. „Ich hoffe, dass die Kommission den Mumm hat, harte Vorgaben zu machen“, sagte Barthle. Dem Ausgang dieses Konflikts kommt einige Bedeutung zu. Seitdem die Krise an Schrecken verliert, wächst die Neigung, zur Tagesordnung überzugehen. Hinter dem Streit um Defizitziele steckt die Richtungsentscheidung, ob Europa aus den Erfahrungen lernt. In der Vergangenheit zeigte sich, dass ein Vorteil der Währungszone schnell zum Nachteil werden kann. Der Euro hat insbesondere Südeuropa ein Jahrzehnt lang niedrige Kapitalmarktzinsen beschert. Das machte es den Staaten seinerzeit leicht, Wohlstand über Schulden zu finanzieren. Die Versuchung nimmt erneut zu, da sich die Zinsen nach unten bewegen.

Hinter den Kulissen warnen einflussreiche Politiker und Notenbanker aus Deutschland davor, alte Fehler zu wiederholen. Die extremen Niedrigzinsen sind vor allem darauf zurückzuführen, dass die großen Zentralbanken auf dem Globus seit Jahren kräftig Geld drucken. Seitdem die japanische Notenbank ihre Geldpolitik im Frühjahr nochmals gelockert hat, nutzen Investoren das billige Geld auch zum Kauf europäischer Staatsanleihen. Das mag die Eurofinanzminister freuen, ist aber nicht nachhaltig.

Auch in Deutschland verbreitet sich die Stimmung, die schlimmste Phase der Krise sei überstanden. Der Bankenrettungsfonds Soffin meldete in der vergangenen Woche erstmals Gewinn. Doch das sagt nicht viel aus, denn der Fonds erlitt in der Vergangenheit hohe Milliardenverluste. Auch der verbreitete Eindruck, Deutschland gehe als Gewinner aus der Krise hervor, ist trügerisch. Der deutsche Kassenwart muss wegen der Beliebtheit seiner Anleihen diesem Jahr zwar sieben Milliarden Euro weniger für Zinsen im Bundeshaushalt aufwenden als früher. Deutschland ist aber auch größter Zahler in Europas Rettungsfonds. Die Endabrechnung steht aus.