Gernot Gruber hat ein Mandat für die Backnanger Sozialdemokraten errungen – wie zuletzt sein Vater Giselher Gruber im Jahr 1972.  

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Stuttgart - Furnierte Möbel, nicht der neueste Schrei. Aus einem der Schränke lässt sich ein Bett ausklappen - eine Option für lange Arbeitstage. Der Neue hat das Büro im Haus der Abgeordneten vor einigen Wochen bezogen: Gernot Gruber aus Backnang, Diplommathematiker, Politikwissenschaftler, Marathonläufer und Sozialdemokrat.

 

Auf dem Schreibtisch liegt ein einsamer Aktenordner. Im Regal stehen Laufschuhe, daneben lagern eine kurze Sporthose und ein Trikot. Gruber hat in den vergangenen Monaten das Training sträflich vernachlässigt. Vielleicht klappt's ja demnächst endlich mit einem Lauf von Stuttgart bis nach Backnang. An der Wand hängt ein großer Bilderrahmen mit Fotos: Gruber im Landtagswahlkampf, Gruber beim Joggen, Gruber mit Parteiprominenz. Einen großen Auftritt am Rednerpult im Landtag hat der gebürtige Murrhardter bisher nicht hingelegt. Das kommt bestimmt noch. Die Legislaturperiode ist jung.

Für die Genossen war es ein langer Weg bis nach Stuttgart. Nicht für Gernot Gruber persönlich. Der 48-Jährige hat erstmals kandidiert und im März auf Anhieb den Sprung ins Parlament geschafft. Die Backnanger SPD hatte im Landtag fast vier Jahrzehnte lang nichts mehr zu melden. Der bis dato letzte SPD-Mann aus dem ländlich geprägten Wahlkreis, in dem die CDU das Abonnement auf das Direktmandat hat, war auch ein Gruber: Giselher Gruber, des Vater des Neuen. Ihm war es 1972 gelungen, einen Sitz im Landesparlament zu erringen. Jetzt tritt der Filius in die Fußstapfen seines Vaters. Familie verpflichtet.

Klein-Gernot ließ sich selten unterkriegen

Gernot Gruber ist in einem durch und durch sozialdemokratisch geprägten Elternhaus aufgewachsen. Sein Vater Giselher Gruber war ein konfessionsloser Lehrer, Mitte der sechziger Jahre arbeitete er an einer Murrhardter Hauptschule. Die Familie wohnte damals im alten Schulhaus im 200-Seelen-Flecken Steinberg. Der Hausherr, Mitglied der SPD-nahen Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, trug nur sehr selten Anzug und Krawatte, viel lieber einen roten Schal. Als Ortsvorsitzender seiner Partei wurde er von den Mitbürgern geachtet, aber auch misstrauisch beäugt. Ein bekennender Sozi auf dem Lande - das war vielen Menschen doch einigermaßen suspekt. Der Bub hat von klein auf erlebt, dass sein Papa ein Exot ist. Gernot und seine drei Geschwister Gislind, Gunhild und Gunter hatten es nicht immer einfach.

Der neue Mann im Landtag erinnert sich an manch eine Geschichte aus seiner Kindheit nicht so gerne. Klein-Gernot ließ sich indes selten unterkriegen. Einmal lief der Knirps im Fußballverein mit einer schwarzen Hose auf, obgleich der Trainer unmissverständlich klargemacht hatte: eine blaue muss es sein. Alle Mitspieler trugen vorschriftsmäßig blau, nur Gernot nicht. Sein in Berlin geborener Vater, in puncto Sparsamkeit ein überzeugter Schwabe, meinte, die schwarze Hose sei noch tadellos. Geld ausgeben für eine neue? Kommt gar nicht infrage. Der Trainer war stinksauer - und Gernot hatte den Ärger. "Dein Vater ist doch sonst nicht für die Schwarzen", ätzte der Übungsleiter, und das Kind musste wieder einmal schlucken.

Gernots Mutter erzählt besonders gerne die Familiengeschichte vom Tag der Taufe des kleinen Brüderchens Gunter im Jahr 1968. Die Zeremonie war im Gange, der Pfarrer forderte die Gemeinde auf, ein Kirchenlied zu singen. Und was tat der vierjährige Sohn, als er das Wort singen hörte? Ganz klar: Gernot stimmte "Brüder zur Sonne zur Freiheit" an - ein altes Lied der Arbeiterbewegung. Die Gemeinde war irritiert.

Meinung kommt oft der des Vaters nahe

Auch im Gymnasium bekam Gernot Gruber, natürlich Chefredakteur der Schülerzeitung, mitunter zu spüren, dass manch ein Lehrer wenig hielt von dem politischen Engagement der Familie. In der achten Klasse wurde dem Schüler der Preis für gute Leistungen flugs aberkannt. Die schlichte Begründung des Rektors: der Schüler sei "zu frech". Heute sagt der neue Abgeordnete: "Ich habe schon immer meine politische Meinung vertreten." Diese Meinung geht nicht immer konform mit der Position seiner Landespartei, aber kommt oft der des Vaters nahe.

Giselher Gruber ist schon seit 1963 Genosse. Während seines Landtagswahlkampfs im Jahr 1972 spielte die neue Ostpolitik der sozial-liberalen Bundesregierung die zentrale Rolle. Viele konservative Wähler echauffierten sich ob des angeblichen Ausverkaufs deutscher Interessen. Als frisch gekürter Abgeordneter habe er sich zudem für eine andere Bildungspolitik eingesetzt, die allen Kindern gleiche Chancen biete, erinnert sich Giselher Gruber. Doch in seiner ersten Rede im Landtag widmete sich der Pädagoge der Lokalpolitik. Er kritisierte die von der Vorgängerregierung aus CDU und SPD beschlossene Kreisreform und die Einführung des WN-Nummernschilds für alle Autos in den zusammengelegten Altkreisen Waiblingen und Backnang. Dass Waiblingen zur Kreisstadt wurde, das habe niemandem im Raum Backnang gepasst, erzählt der 71-Jährige, der seit vielen Jahren wegen einer MS-Erkrankung auf den Rollstuhl angewiesen ist, und fügt schmunzelnd hinzu: "Winnenden hätten wir ja akzeptiert." Aber Waiblingen? Nein danke.

Sein Sohn Gernot kämpfte mehr als drei Jahrzehnte später als Rems-Murr-Kreisrat einen ähnlichen Kampf-gegen die Schließung des Backnanger Krankenhauses. Mit großem Einsatz versuchte der Mathematiker, der bei der Allianz in Stuttgart als Referatsleiter des Rechnungswesens arbeitet, gemeinsam mit anderen Abgeordneten die Mehrheit im Kreisparlament zu überzeugen, der Bau eines neues Hospitals in Winnenden sei ein finanzielles Abenteuer. Vergeblich. Das neue Kreiskrankenhaus wird längst gebaut, es soll 2013 fertig sein.

Gruber steht Stuttgart 21 skeptisch gegenüber

Unterkriegen lassen sich die Grubers aber nicht. Der Senior ist bei der Wahl 1976 zwar aus dem Landtag geflogen, er blieb aber politisch aktiv. Mit Blick auf die Laufbahn seines Sohnes sagt der Pensionär, es sei nur konsequent, dass Gernot jetzt in den Landtag eingezogen sei. Das sozialdemokratische Gen ist ihm offensichtlich in die Wiege gelegt worden. Gruber junior freilich profitiert auch von der Reform des Wahlrechts. Jetzt zählt bei jenen Kandidaten, die das Direktmandat verpassen, ihr Wahlergebnis in Prozentpunkten. Wer über dem Landesdurchschnitt seiner Partei liegt, der hat gute Chancen. Bis dato war die absolute Zahl der Stimmen entscheidend - ein krasser Nachteil für kleine Wahlkreise wie den in und um Backnang. Gernot Gruber erzielte bei der Wahl im März ein lediglich etwas besseres Ergebnis als seine Partei. Der Wahltag wurde für die Familie deshalb zur Zitterpartie. Erst spät am Abend stand fest, dass es für den Backnanger gereicht hat. Seine Mutter Gudrun Gruber, die SPD-Fraktionsvorsitzende im Murrhardter Gemeinderat, sagt: "Ich war diesmal noch aufgeregter als am Wahlabend 1972."·

Gernot Gruber will sich für eine, wie er sagt, verlässliche Haushaltspolitik einsetzen. Möglicherweise sei auch die väterliche Sparsamkeit-hart an der Grenze zum Geiz-dafür mitverantwortlich, sagt er augenzwinkernd und lacht wieder sein verschmitztes Lachen. Außerdem seien für ihn der Klimaschutz und die Förderung regenerativer Energiequellen die Hauptthemen. Der Ausdauersportler ist auch in der Politik ehrgeizig. Er will in fünf Jahren wieder in den Landtag einziehen, dann mit landesweit mehr Stimmen für die SPD als für die Grünen. Falls er scheitern sollte, wie sein Vater im Jahr 1976, dann werde er zur Allianz zurückkehren.

Gernot Gruber sagt, sein alter Posten bei dem Versicherungskonzern sei besser dotiert als das Mandat. Diese Aussicht gebe ihm eine gewisse Unabhängigkeit - möglicherweise auch bei einer künftigen Abstimmung über Stuttgart 21. Wie in vielen Familien wird auch im Hause Gruber oft über die geplante Tieferlegung des Bahnhofs debattiert. In der sechsköpfigen Kernfamilie sind die Befürworter in der Minderheit. Die schärfste Gegnerin des Milliardenprojekts ist Gudrun Gruber. Ihr Ehemann Giselher erklärt, er favorisiere seit vielen Jahren einen Bahnhofsneubau in Cannstatt. Und was sagt der aktuelle Abgeordnete? "Ich bin Stuttgart-21-Skeptiker und in meiner Fraktion in der Minderheit."

Gernot Gruber hat eine 20-jährige Tochter. Anne-Kathrin studiert, wie einst der Papa, Mathematik und Politikwissenschaften an der Universität Tübingen. Sie ist politisch engagiert, gegen den geplanten Tiefbahnhof und ebenfalls SPD-Mitglied. So wie der Vater, der Opa und die Oma. Familie verpflichtet.