Nach „Altersglühen“ schickt Jan Georg Schütte nun eine Riege hervorragender Schauspieler zur Paaranaylse in ein Wasserschloß. Was sich dort abspielt, ist ein echtes Drama, Kunst, Improvisation mit Therapie.

Stuttgart - Aufgekratzt wie auf Klassenfahrt, checken fünf Paare in einem Hotel ein. Ihre Teenagerzeit liegt allerdings Jahrzehnte zurück. Im mittleren Alter angekommen, verloren im Dickicht der Selbstfindung, jenseits jeglichen Sexlebens und bis zum Hals im Beziehungssumpf steckend, mussten sie früher oder später hier landen: in diesem schmucken Wasserschloss in Nordrhein-Westfalen. Kronleuchter hängen schwer in der Luft, die böse Ahnung schwingt gleich mit.

 

Denn noch wissen nicht alle der zehn Gäste, dass es zwischen diesen dicken Luxuswänden nicht nur um schnöde Aufgüsse für den Körper, Wellness im altbekannten Sinne gehen wird. Sie haben eine ganz besondere Form gebucht, nicht all-inclusive, sondern – „le dernier cri“ – eine kleine Paartherapie ist in diesem Hotel mit drin. Dass die Seele hier aber kaum zum Baumeln kommen wird, ist schnell klar. Schon in den ersten Minuten erfährt mancher Partner, warum er ausgerechnet hier im Hotel hockt. Und dieser erste Aufguss für die Seele ist schmerzhaft.

Wie ein alter Pfirsich

Therese Pönsgen (Anke Engelke) bringt die Spezial-Buchung ihrem Freund Thomas (Sebastian Blomberg), der – in Aussicht auf hemmungslose Entspannung auf dem Zimmer angekommen – schon wohlig auf dem Fußboden rumrollt, ganz sanft bei: Er solle gleich „nur mal reinschauen“ in die Beziehung. Er darauf: „Ich habe schon jetzt einen Geschmack auf der Zunge, der nach altem Pfirsich schmeckt.“

Ein herrlicher Satz, der seine Größe erst recht dann entfaltet, wenn man weiß, dass der so in keinem Drehbuch stehen konnte – weil ein solches für die Tragikomödie „Wellness für Paare“ überhaupt nicht existiert. Wie in seiner preisgekrönten Beziehungskomödie „Altersglühen – Speed-Dating für Senioren“ lässt Jan Georg Schütte (Buch und Regie) auch hier wieder die Schauspieler lediglich auf der Basis von Figurprofilen aufeinander los. Ohne zu wissen, wohin das Ding läuft, haben innerhalb von 48 Stunden 21 Kameraleute einfach draufgehalten – und aus 111 Stunden Material wurde ein neunzigminütiger Film.

Der Zimmermann Dirk (mit Halbglatze und Badelatschen: Martin Brambach) und die Zahnarzthelferin Maren (im sehr kurzen Rock: Katharina Marie Schubert) lassen erst einmal die Piccolo-Korken knallen, machen prollige Witze und können noch sehr darüber lachen. Nur Marens aufgekratzter Satz „Heute ist Eisprung!“ prickelt so unangenehm auf Dirks Stimmung wie der Sekt auf seinem Kaugummi. Die Porsche-geile Kasa (Magdalena Boczarska) und der pleitegegangene Jan (Devid Striesow) sind genauso wie die Direktorin Nina (Anneke Kim Sarnau) und der Pädagoge Malte (Bjarne Mädel) „einfach nicht mehr so miteinander“. Und irgendwas belastet auch die Beziehung zwischen der Hausfrau Michaela (Gabriela Maria Schmeide) und dem Gardinenhändler Heinz (Michael Wittenborn). Was? Das weiß am Anfang nur einer der Partner.

Tränen auf dicken Bettdecken

Was dann vor den Therapeuten – „Sie stellen ihm Fragen, er Ihnen, und ich darf zuschauen“ – an Härte zwischen die Paare aufs Plüschsofa plumpst, sorgt für Gesichtsausdrücke, die sich so nur durch echte Überraschung formen. Die anfängliche Nervosität weicht schnell bitterer Enttäuschung, die auf den dicken Bettdecken weggeweint, aber nicht weichen wird. Therese und Thomas tun rauchenderweise so, als hätten sie mit dem ganzen übrigen Pack und überhaupt mit Problemen wenig zu tun – dabei nimmt gerade ihre Geschichte die überraschendste Wendung. „Ankes Job war ja eigentlich, sich von ihrem jüngeren Partner vorbeugend zu trennen, weil sie denkt, dass er sie sowieso früher oder später verlassen wird. Irrsinnigerweise hat Sebastian Blomberg das ganz früh herausgefunden“, sagt der Regisseur, der dann selbst überrascht war, wie das Ganze ausging.

Wie gehen Paare mit Streit, Sehnsüchten, Geheimnissen und am Ende miteinander um? Schütte rückt sein Dauerthema hier in den Vordergrund, puzzelt es vor dem Zuschauer zusammen, der den Paaren frontal gegenübersitzt. Ach was, gegenübersitzt: Er fiebert mit. Ärgert sich mit. Freut sich mit. Fühlt mit. Das geschieht ganz einfach unter Schüttes Zauberhand, weil er den hervorragenden Schauspielern Platz lässt, weil sich hier welche ins Wort fallen, dort ein Satz unvollendet im Raum hängenbleibt. Weil Schütte sie so zeigt, wie jeder sie kennt: die „paar“ Probleme.