Im Prozess um die islamistischen Anschläge 2016 in Brüssel haben die Geschworenen mehrere der zehn Angeklagten des terroristischen Mordes schuldig gesprochen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Am Ende wird die Geduld noch einmal auf eine schwere Probe gestellt. In letzter Minute wird die Urteilsverkündung des Brüsseler Schwurgerichtes auf den Abend verschoben. Sieben Monate haben die Richter über die islamistischen Terroranschläge von 2016 verhandelt, tausende Seiten Gutachten gelesen und hunderte Zeugen gehört, da wollen sie sich am letzten Tag nicht zur Eile drängen lassen. Kurz nach 19 Uhr nimmt die Richterin Laurence Massart schließlich im vollbesetzen Gerichtssaal Platz und beginnt mit atemberaubender Geschwindigkeit die Anklagepunkte vorzulesen. Sie endet beim Urteil: die sieben anwesenden Angeklagten werden schuldig gesprochen, bei dem Terroranschlag in Brüssel 36 Menschen ermordet zu haben, hunderte wurden verletzt. Das Strafmaß soll erst im September festgelegt werden.

 

Eine Hommage an die ermordete Tochter

Pierre Bastin hat jede Minute des siebenmonatigen Prozesses miterlebt. Wenn der 67-jährige Arzt nicht im Gerichtssaal sitzen konnte, hörte er sich die Übertragung über einen Radiosender an, der für die rund tausend Zivilkläger eingerichtet worden war. Der Belgier hat an jenem 22. März 2016 seine Tochter verloren. 29 Jahre war sie alt und wartete in der Metrostation Maalbeek, in der die Terroristen ihre Bomben zündeten. Seine Anwesenheit bei dem Prozess sei eine Form der Hommage an seine Tochter gewesen, sagt Pierre Bastin.

Doch schon der Beginn des Prozesses brachte unerwartete Probleme. Immer wieder musste der erste Verhandlungstags verschoben werden, weil sich die Angeklagten offenbar zum Ziel gesetzt hätten, „das belgische Justizsystem auszutesten“, erklärt Bastin. Auf der Suche nach einem passenden Saal für den spektakulären Prozess war das ehemalige Nato-Hauptquartier im Nordosten der Stadt für mehrere Millionen Euro zu einem Gerichtsgebäude umgebaut worden. Der Hochsicherheitstrakt bekam den Namen „Justitia“.

Die Terroristen provozieren den Staat

Geplant war der erste Verhandlungstag bereits für Ende Oktober 2022. Doch die Verteidiger beschwerten sich über den Gerichtssaal und die Angeklagten weigerten sich, in einem in Zellen unterteilten Kasten aus Panzerglas Platz zu nehmen. Die Anwälte kritisierten, ihre Mandanten würden darin wie Tiere zur Schau gestellt, zudem konnten sie sich mit ihnen nur durch kleine Schlitze austauschen. Die Vorsitzende Richterin Laurence Massart ordnete den Umbau an, was den Beginn um fast zwei Monate verzögert.

Pierre Bastin findet lobende Worte für die Richterin, die den Prozess unter diesen schwierigen Umständen ruhig, streng, fair und unparteiisch geführt habe. Für den Vater war es nach eigenen Worten wichtig, den Terroristen zu zeigen, dass sich der Rechtsstaat an die Regeln halte und sich auch durch solch eine bestialische Tat nicht in die Knie zwingen lasse.

Enge Verbindung zu den Attentaten in Paris

Insgesamt standen in Brüssel zehn Männer vor Gericht - einer davon gilt als vermisst, möglicherweise in Syrien verstorben. Ihnen wurde terroristischer Mord, versuchter terroristischer Mord sowie die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Unter den Angeklagten sind auch sechs, die bereits im Prozess um die Anschlagsserie in Paris von November 2015 verurteilt wurden - auch der dortige Hauptangeklagte Salah Abdeslam. Der 33-Jährige wurde in Paris zu lebenslanger Haft verurteilt und auch in Belgien bereits zu 20 Jahren, wegen einer Schießerei, bei der drei Polizisten verletzt wurden. Bei den Pariser Attentaten hatten Islamisten 130 Menschen getötet und 350 weitere verletzt. Die Anschläge in den beiden Hauptstädten wurden wahrscheinlich von derselben terroristischen Zelle geplant.

Mehr als eine Frage des Rechts

In Brüssel waren fast 1000 Nebenkläger zu der Gerichtsverhandlung zugelassen. Doch nicht alle sind mit dem Verlauf des Prozesses zufrieden. Für viele unbeantwortet bleibt die Frage, warum ausgerechnet in Belgien die Terrorzelle ihre fanatisierten Anhänger rekrutieren und fast unerkannt ihre tödlichen Anschläge in Paris und Brüssel vorbereiten konnte. Die meisten der mutmaßlichen Täter sind in Belgien geboren oder dort aufgewachsen. Von den belgischen Sicherheitsbehörden nur nachlässig verfolgt, hatten die Männer in Brüssel die Anschläge von Paris geplant und ausgeführt. So bedeutet der Prozess setzt allenfalls das juristische Ende, die gesellschaftliche Aufarbeitung der Anschläge wird aber noch lange dauern. „Das ist eine Seite, die umgeschlagen wird“, sagt Pierre Bastin. „Aber das Buch wird nicht geschlossen werden, es ist nur eine Etappe.“