Italiens Premierministerin will mit ihrem Anti-EU-Kurs von zunehmenden Problemen im eigenen Land ablenken.

Angesichts massiv steigender Flüchtlingszahlen, einer erneuten Anhebung der Leitzinsen durch die Europäische Zentralbank (EZB) und einer zunehmend prekären Budgetlage schaltet Italiens Premierministerin Giorgia Meloni auf Angriff gegenüber Europa und der EZB. Damit will sie davon ablenken, dass sie viele ihrer Wahlversprechen nicht erfüllen kann.

 

Auf große Verwunderung stoßen in Brüssel Melonis Angriffe auf den italienischen EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni, der „nicht genug“ für sein Heimatland tue. Dabei verweist Carlo Cottarelli, Professor an der renommierten Mailänder Katholischen Universität und Ex-IWF Ökonom, gegenüber unserer Zeitung darauf, dass Gentiloni „viele positive Ergebnisse für Italien erreicht hat, sowohl bei der Diskussion um den künftigen Stabilitätspakt als auch beim Europäischen Wiederaufbauprogramm“.

Meloni verliert ihren Kompass, mit dem sie gut durch die ersten Monate ihrer Amtszeit gesteuert war. Überall wittert sie Blockaden gegen Italien: Von Seiten Spaniens, Deutschlands, Frankreichs oder Europas generell. Mit ihren Angriffen will sie von internen Problem ablenken. Denn nach zwei Jahren, in denen Italien dank umfangreicher Hilfen Roms und Brüssels deutlich stärker gewachsen ist als fast alle anderen EU-Länder, lahmt die Wirtschaft nun. Die OECD hat ihre Wachstumsprognosen für das Land für 2023 von 1 auf 0,9 Prozent und für 2024 auf 0,8 Prozent heruntergesetzt.

Italien leidet unter Deutschlands Schwäche

Italien leidet unter der Wachstumsschwäche beim wichtigsten Wirtschaftspartner Deutschland, aber auch den stark gestiegenen Zinsen. Die Steuereinnahmen sinken. Die Unternehmen fragen weniger Kredite nach. Und der Schuldendienst dürfte in diesem Jahr 80 Milliarden Euro erreichen – deutlich mehr als etwa die 40 Milliarden Euro, die Deutschland zahlen muss. Und großzügige Hilfen von Vorgängerregierungen, bei denen etwa die ökologische Sanierung von Gebäuden vollständig vom Staat übernommen wurde, belasten den Haushalt. Allein diese Maßnahme dürften den Steuerzahler 140 Milliarden Euro kosten.

Es ist kein Geld mehr da für die Erfüllung der Wahlversprechen. Die Bank Morgan Stanley erwartet für 2024 einen Anstieg des Defizits auf bis zu sieben Prozent, nach 4,5 Prozent in diesem Jahr. Dabei ist das Land mit 144 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet. Woher das Geld nehmen für die Erfüllung großzügiger Wahlversprechen wie Steuersenkungen, die Verlängerung von Vorruhestandsregelungen, familienpolitische Maßnahmen oder den Bau einer Brücke zwischen Sizilien und dem Festland? Cottarelli glaubt, dass „das Haushaltsgesetz ein schwieriges Unterfangen“ wird. „Ich erwarte wenig große konkrete Dinge. Es gibt wenig Spielraum für große Manöver.“

Rom braucht Brüssel

Rom ist auf Nachsicht Brüssels angewiesen. Ohne die Milliarden-Hilfen aus dem Europäischen Wiederaufbauprogramm sähe es noch düsterer aus. Und ohne den Euro wären die Zinsen noch höher. Bankenverbands-Präsident Antonio Patuelli wies darauf hin, dass sie einst bei 19,5 Prozent lagen.

Umso unverständlicher ist der Anti-Europa-Kurs Melonis, deren Umfragewerte sinken. Sie steht unter Druck vor allem ihres Koalitionspartners Matteo Salvini, der die rechtsradikale Französin Marine Le Pen empfängt und die riesige Migrationswelle mit der Marine bekämpfen will. Die Flüchtlingszahlen sind in ihrer Amtszeit nicht gesunken, sondern dramatisch gestiegen. Meloni hat die Sozialleistungen für die Ankommenden drastisch reduziert und schiebt sie de facto nach Deutschland ab.

Mit einer Steuer auf Banken-Übergewinne verprellt sie Investoren, schwächt die Institute und sorgt bei der EZB für heftige Kritik. Auch die Preisobergrenze für inneritalienische Flugtarife könnte ihr sehr schaden: Brüssel prüft die Rechtmäßigkeit des Eingriffs in den Markt und Ryanair reduziert das Flugangebot in Italien.

Mit ihrer anhaltenden Blockade der Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sorgt sie für weiteren Ärger: Als einziges EU-Land hat Italien die Reform nicht ratifiziert. Sie verknüpft die Zustimmung Roms mit einer weicheren Formulierung des neuen Stabilitätspakts, ist damit aber in Europa isoliert.

Meloni unterstützt die polnische Pis

Meloni setzt auf Konfrontation. Demonstrativ hat sie sich mit Ungarns Ministerpräsidenten Victor Orban getroffen und unterstützt die polnische Pis und die spanische Vox. Reformen des Wettbewerbsrechts oder der Verwaltung lassen auf sich warten, obwohl Italien sich dazu verpflichtet hat. Stattdessen weitet sie den Staatseinfluss immer weiter aus. „Diese Regierung scheint die Mechanismen der Marktwirtschaft nicht vollständig zu verstehen. Sie verfolgt in mancher Hinsicht eine interventionistische Politik“, sagt Ökonom Cottarelli.

Italiens Wachstum lahmt

Prognose
Die Zeit der großen Wachstumsraten ist auch für Italien vorbei: Im zweiten Quartal schrumpfte die Wirtschaft um 0,3 Prozent und die EU hat die Prognose für das Gesamtjahr gerade auf 0,9 Prozent reduziert.

Vorhaben
Angesichts sinkender Einnahmen und eines steigenden Schuldendienstes wird der Haushaltsentwurf, der in den nächsten Tagen vorgelegt werden soll, zu einem schwierigen Unterfangen. Die geplante Verlängerung von Vorruhestandsregeln, Steuersenkungen und familienpolitische Maßnahmen lassen sich kaum erfüllen.