Um den Wandel zur E-Mobilität zu schaffen, brauchen die deutschen Autobauer weiterhin den Diesel. Denn mit den Gewinnen von heute müssen sie die Investitionen in die Zukunft finanzieren, kommentiert StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Es ist eine Mentalitätsfrage, wie man die Situation der hiesigen Autoindustrie beurteilt. Diejenigen, bei denen das Glas eher halb leer ist, sehen sie so: Die Branche hat den Wandel zur Elektromobilität verschlafen und steht in ihrem klassischen Geschäft mit Verbrennungsmotoren durch eigene Fehler und kriminelles Verhalten vor einem Scherbenhaufen. Der Dieselskandal hat das Vertrauen der Kunden nachhaltig beschädigt, in Städten drohen Fahrverbote und für die Beschäftigten brechen harte Zeiten an.

 

Mitmenschen mit sonnigerem Gemüt verweisen hingegen darauf, dass es bis zur flächendeckenden Einführung von Elektromobilität noch sehr weit hin sei, die im Rahmen der Klimaziele notwendige CO2-Reduktion ohne den Diesel nicht zu schaffen sei und es weltweit keinen Industriezweig gebe, der so gut wie die deutsche Autobranche geeignet sei, solche Herausforderungen zu meistern.

In der gegenwärtigen Diskussion mit immer neuen Enthüllungen um einen allzu freizügigen und womöglich kriminellen Umgang der Branche mit Schadstoffgrenzwerten sowie drohenden Fahrverboten nimmt die Zahl der Anhänger der ersten Sichtweise zu, während die Optimisten an Terrain verlieren. Doch die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte. In diesen Tagen gibt es einige Nachrichten, die darauf hindeuten, dass der Übergang gewissermaßen – der Vergleich sei einstweilen noch erlaubt – durch ein Spielen mit Gaspedal und Kupplung geregelt werden kann.

Die Einigung bei Daimler kann wegweisend sein

Das beginnt mit der Einigung, die Daimler mit seinen Beschäftigten zur Zukunft des Traditionswerkes in Untertürkheim getroffen hat. Dort werden künftig auch Batterien für Elektrofahrzeuge hergestellt. Das sichert die Zukunft des Werks, freilich perspektivisch mit weniger Beschäftigten und größerer Flexibilität. Das ist insgesamt eine gute Nachricht und kann Vorbildcharakter für weitere Unternehmen und Standorte in der Region haben.

Daimler und die anderen Autohersteller in Deutschland benötigen jedoch auf absehbare Zeit sowohl Benziner als auch Diesel – ein Ausstieg aus der Forschung oder Produktion, wie das Volvo angekündigt hat, ist für sie keine Option. Es spricht viel für die Erwartung von Daimler-Forschungsvorstand Ola Källenius, dass sein Unternehmen selbst im Jahr 2025 noch mehr Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren verkauft als heute. Auch dann werden wohl noch drei von vier abgesetzten Autos nicht mit Strom angetrieben, und außerdem gibt es nicht nur Metropolen und entwickelte Länder, sondern auch Schwellenländer, in denen die klassischen Fahrzeugmärkte weiter wachsen.

Der Übergang zur E-Mobilität hängt auch am Diesel

Das ist für die Hersteller auch bitter nötig, denn sie müssen mit den Gewinnen von heute und der näheren Zukunft die gewaltigen Investitionen finanzieren, die sie nicht nur für die Elektromobilität benötigen, sondern auch für autonomes Fahren und neue Mobilitätskonzepte. Wer also daran arbeitet, den Diesel möglichst schnell zum Ladenhüter abzustempeln, der fördert nicht den Übergang in neue Antriebsformen, sondern gefährdet ihn zumindest bei den hiesigen Anbietern.

Dazu freilich müssen die Hersteller belegen, dass Nachrüstungen die Euro-5-Diesel deutlich sauberer machen, um drohende Fahrverbote zu verhindern. Die Autobauer haben die baden-württembergische Landesregierung offenbar davon überzeugt; ob es auch für die damit befassten Gerichte reicht, bleibt abzuwarten. Zudem müssen ihre aktuellen Aggregate wirklich so „clean“ sein, wie sie es schon für ihre Vorgängermodelle behauptet haben.

Gelingt beides, können die Autohersteller sich Zeit und Mittel kaufen, um die gewaltigen Herausforderungen zu meistern. So paradox es klingt: Investitionen in den Diesel könnten kurzfristig die zukunftsträchtigsten Ausgaben für die Branche sein.