Matthias Klink und Cornelius Meister haben Schuberts „Schöne Müllerin“ aufgeführt.

Stuttgart - Früher, ganz früher hat er an der Staatsoper Stuttgart den Belmonte in Hans Neuenfels’ legendärer Inszenierung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ gesungen; später, viel später, hat er am selben Haus in Benjamin Brittens „Tod in Venedig“ den Aschenbach in einer Weise verkörpert, dass er gleich zwei große Auszeichnungen dafür bekommen hat. In dieser Spielzeit wird Matthias Klink Hans Zenders Bearbeitung von Schuberts „Winterreise“ szenisch aufführen, und am Mittwochabend hat er, gleichsam als Vorgeschmack auf sein neueres Eintauchen in Schuberts Liederkosmos, im Foyer des Opernhauses „Die schöne Müllerin“ gesungen.

 

Es wird ein Abend der sehr eigenen Sorte. Das hat auch mit dem Mann am Flügel zu tun: Cornelius Meister, der zurzeit geradezu omnipräsente Generalmusikdirektor, demonstriert als Pianist, was er auch als Dirigent gut kann: zuhören, nachfühlen, reagieren, mit atmen, mit formen. Den eigenen Gestaltungswillen ordnet er dem des Sängers unter: Der Pianist Meister ist kein Vorantreiber und kein Theatraliker – eher ein Begleiter und Verstärker, der dicht an der Stimme und am Text bleibt. Schade, dass das oft dumpf klingende Instrument nicht alle Feinheiten seines Spiels weitergibt und – was etwa bei den schnellen Tonwiederholungen in „Ungeduld“ ins Ohr fällt – offenbar mechanisch nicht ganz ohne Tücken ist.

Matthias Klink fühlt sich als Gestalter dort am wohlsten, wo er Gegensätze etablieren kann, Spannungsbögen, Theater-Momente. Wie er in „Am Feierabend“ die Stimmen des Meisters und des Mädchens imitiert, wie er in „Der Neugierige“ das „O Bächlein meiner Liebe“ wie eine Traumsequenz in einen weiten Bogen fasst, wie er in „Die liebe Farbe“ die Traurigkeit und die böse Ironie hinter den (scheinbar) naiven Worten auf eine Weise hörbar macht, dass einem beim Hören schier das Herz bricht: Das ist ganz große, packende Liedkunst.

Matthias Klink ist durch und durch Theatermensch

Das zentrale „Mein!“ hat man allerdings schon überschwänglicher, atemloser, emotional weniger gedrosselt gehört als hier, und bei manchen der folgenden Lieder spürt man in der Folge die mangelnde Fallhöhe zwischen höchster Emphase und tiefster Verzweiflung. Mag sein, dass der Grund dafür ausgerechnet in einer von Klinks größter Tugend zu finden ist: Dieser Tenor, der so wunderbar klar artikuliert, der feine Piani findet, starke Momente der Verinnerlichung wie der Entäußerung, ist durch und durch Theatermensch. Bei ihm sind Singen und Darstellung, Interpretation und Aktion eins, und es gibt Momente bei dieser „Schönen Müllerin“, in denen das nur Konzertante Matthias Klink heftig entgegensteht.

Man vermisst die körperliche Dimension, und so drängt sich manches in den Vordergrund, was einem sonst nicht auf- (und deshalb auch nicht ins Gewicht) fiele: Drücker hier und da, ein paar gepresste Momente in der Höhe, mancher nicht ganz präzise getroffene Ton, manche Unebenheit zwischen Brust- und Kopfstimme, und dann mag man sich obendrein wünschen, dass Klink am Ende des Zyklus den Müllerburschen nicht kämpfend in den Tod hätte gehen lassen, sondern so ruhig, gelöst und gelassen, wie es Cornelius Meister an den Tasten vorgibt. Die Zugabe, Schuberts ganz verinnerlichtes, ganz auf Linie gesungenes „Nacht und Träume“, hätte eine Vorlage sein können. Die Vorstellung, was Klink im März der „Winterreise“ an packendem Theater entlocken könnte, lässt einen jetzt schon innerlich erschauern.