Der Verschmähte auf der perfekten Welle: Footballspieler Raheem Mostert, der sich gegen eine Profikarriere als Surfer entschied und in der NFL oft aussortiert wurde, führt die San Francisco 49ers in den Super Bowl.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

San Francisco - Der 4. September 2015 war das erste Datum, das er sich notiert und nie vergessen hat, fünf weitere folgten. Vor jedem Spiel hält er sich diese vor Augen – mehr Motivation braucht er nicht.

 

Es ist für Raheem Mostert (27) von den San Francisco 49ers immer der Blick auf die schwersten Tage seiner Karriere als Footballspieler. Die Tage in den Jahren 2015 und 2016, an denen ihn seine sechs vorherigen Teams aus der US-Profiliga NFL nach nur wenigen Monaten oder gar Wochen entlassen haben. Die Tage, an denen er sich intensiv mit dem Aufhören beschäftigte, weil er das Wandelvogeldasein satt hatte. Seine Frau Devon hielt ihn ab. Und das ist auch gut so.

37:20-Halbfinalsieg gegen die Green Bay Packers

Andernfalls hätte sich Raheem Mostert nicht im siebten Versuch bei den San Francisco 49ers seit Ende 2016 zu einem der außergewöhnlichsten NFL-Spieler entwickeln können. Am Sonntag (Ortszeit) führte der Runningback den Traditionsclub aus Kalifornien mit einer Galavorstellung ins Super-Bowl-Finale am 2. Februar in Miami gegen die Kansas City Chiefs (35:24 gegen Tennessee Titans): Mit gigantischen 220 erlaufenen Yards und vier Touchdowns beim 37:20-Halbfinalsieg gegen die Green Bay Packers setzte er sich jeweils auf Rang zwei der ewigen Play-off-Bestenlisten in diesen bedeutsamen Kategorien. „Alles, was ich durchmachen musste, hat mich stärker gemacht“, sagte Mostert. „Ich bin immun gegen Entlassungen geworden. Ich wollte der Welt einfach zeigen, was ich kann.“

Seine Touchdowns feiert er gerne, indem er sich in der Endzone bäuchlings auf den Boden gleiten lässt, mit den Armen seitlich paddelt, dann aufspringt und in Surferpose eine imaginäre Welle reitet. Diesmal war es die perfekte Welle für Mostert, für den sein Jubel eine Reminiszenz an seine Teenagertage ist. Er stammt aus New Smyrna Beach in Florida – „Haibiss-Hauptstadt der Welt“ nennt er den Ort in Florida. Mostert („Es waren meist nur kleine Haie, die uns mit Futter verwechselten“) war so geschickt auf dem Brett unterwegs, dass er als 14-Jähriger ein Sponsorenangebot für eine Profikarriere als Surfer hatte. Er entschied sich jedoch für Football und zunächst noch Leichtathletik.

Entlassungen in Philadelphia, Miami, Baltimore, Cleveland, New York und Chicago

Lange war Mostert, der sich aktiv für den Schutz der Ozeane einsetzt, nach seinen schmerzhaften Entlassungen in Philadelphia, Miami, Baltimore, Cleveland, New York und Chicago auch in San Francisco nur eine Randfigur. Er kam fast ausschließlich in den sogenannten Special Teams zum Zug, also dann, wenn der Ball gekickt wird, wobei er da schnell eine gute Rolle spielte. Allerdings warfen ihn immer wieder Verletzungen zurück.

In dieser Saison gelang Mostert der Durchbruch. Der Spätberufene war eigentlich nur als Ersatzmann eingeplant, wurde aufgrund von Verletzungsproblemen der anderen 49ers-Runningbacks Tevin Coleman und Matt Breida dann aber vermehrt als Ballträger in der Offensive eingesetzt. Er avancierte zum ersten NFL-Spieler, der seine Mannschaft zugleich beim erlaufenen Raumgewinn (772 Yards) als auch bei der Zahl der erst seit 2001 statistisch erfassten Special-Teams-Tacklings (12) anführte. „Nicht jeder kann mit dieser Art von Stress, Schmerz und Qual umgehen, die ich ertragen musste – aber ich habe immer den Glauben an mich selbst behalten“, sagte Mostert.

Jermaine Guynn findet, dass genau das seine Stärke ist. Der Assistenzcoach der Stuttgart Scorpions kennt den 49ers-Profi aus seinen Zeiten als Konditionstrainer an der Purdue University im US-Bundesstaat Indiana. „Er ist ein guter, eher reservierter Typ und ein harter Arbeiter – er redet nicht viel, sondern arbeitet an sich“, sagte Guynn. „Er hat sich nie beschwert, wenn andere mehr Spielzeit bekommen haben. Er hat immer auf seine Chance gewartet und dann Kapital daraus geschlagen.“

Trainer Kyle Shanahan lobt Raheem Mostert in höchsten Tönen

Nachdem beim 37:20-Viertelfinalsieg gegen die Minnesota Vikings noch Tevin Coleman die Last im Laufspiel der 49ers glänzend geschultert hatte, schlug im Halbfinale die große Stunde von Mostert. Er war da, als er gebraucht wurde – und avancierte unerwartet zum großen Helden. 49ers-Quarterback Jimmy Garoppolo warf gerade einmal acht Pässe (!) in der gesamten Partie, weil das Laufspiel wie am Schnürchen funktionierte. Mostert, der zu den schnellsten NFL-Spielern zählt und die 100 Meter einst als Sprinter zu Universitätszeiten in 10,2 Sekunden absolvierte, rannte besonders auf dem Weg zur 27:0-Halbzeitführung alles in Grund und Boden. „Er hat alles verdient, was er erreicht hat. Er hat sich diesen Tag heute verdient“, sagte 49ers-Trainer Kyle Shanahan nach dem Finaleinzug. „Er ist so ein guter Typ. Ich kann gar nicht genug gute Dinge über Raheem sagen.“

Mostert, der lange Verschmähte, war nicht zu stoppen und legte eine der größten individuellen Glanzleistungen in der Geschichte der Play-offs hin, in denen sich regelmäßig Randfiguren ins Rampenlicht katapultieren. Manche glänzen danach weiter, andere verschwinden wieder in der Versenkung. So oder so steht fest: Auch das Datum 19. Januar 2020 wird Raheem Mostert nie vergessen.