Der Stadtjugendring Stuttgart steht seit 75 Jahren für Vielfalt und Demokratie und die Botschaft: Ehrenamtliches Engagement ist heute wichtiger denn je.

Stuttgart - Vieles hat sich in den 75 Jahren, seit es den Stadtjugendring gibt, verändert. Doch zwei Schlagworte prägen die Arbeit des Dachverbands der Stuttgarter Jugendverbände nach wie vor: Vielfalt und Demokratie. Am 15. Oktober 1945 schlossen sich vier Verbände zusammen, „mit dem Ziel, die Vielfalt in der Jugendarbeit wiederherzustellen“, wie Alexander Schell, Geschäftsführer des Stadtjugendrings Stuttgart, erklärt. Mit der Gründung nur fünf Monate nach Kriegsende sei Stuttgart Vorreiter für andere Städte gewesen. „Die meisten zogen erst ein paar Jahre später nach“, sagt Schell. Mittlerweile zählt der Stadtjugendring 60 Mitgliedsverbände aus den Bereichen Kirche, Gewerkschaft, Sport, Natur, Feuerwehr oder Rotes Kreuz. Nicht nur Institutionen und Vereine, sondern auch Initiativen wie zum Beispiel die Initiativgruppe Homosexualität oder Organisationen wie die Eritreische Jugend machen mit.

 

Es gilt Gleichheit

„Wir sind Ansprechpartner für unsere Mitglieder, vertreten deren Interessen in Politik und Verwaltung und haben damit einen gesellschaftspolitischen Auftrag“, fasst Schell die Arbeit der Geschäftsstelle und des Vorstands zusammen. Dem Vorstand gehörte von 1986 bis 1990 auch Gökay Sofuoglu an, mittlerweile Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland und Landesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg. Der türkische Fußballverein, in dem Sofuoglu kickte, war der erste Verein mit Migrationshintergrund im Stadtjugendring. Ihnen sei wichtig gewesen, mit anderen Jugendverbänden auf Augenhöhe zu sein, erklärt Sofuoglu. In oft langen Diskussionen musste damals ein gemeinsamer Nenner gefunden werden. Der Stadtjugendring sei schon immer eine Demokratieschule gewesen, so Sofuoglu.

Die politischen Unterschiede, die kleinen und großen Verbände mit ihren Ehren- und Hauptamtlichen unter einen Hut zu bekommen, sieht er als wichtige Aufgabe der Geschäftsstelle. Im Stadtjugendring herrsche Gleichheit, unabhängig von Herkunft und Bildungsniveau. Daher hat der Dachverband kürzlich auch das Referat „Ausländer*innen“ in Servicestelle „Vereinsentwicklung“ umbenannt. „Mittlerweile leben viele Jugendliche mit Migrationshintergrund hier in der dritten oder vierten Generation und müssen nicht mehr integriert werden“, erklärt Alexander Schell. Einzelfälle mit spezifischen Fragen zur Integration wie die Somalische Jugend, die dem Stadtjugendring 2019 beigetreten ist, gebe es aber natürlich nach wie vor.

Engagement gegen Rechtsextremismus

Seit vier Jahren engagiert sich der Verband stattdessen verstärkt gegen Rechtsextremismus. „Aber auch wer sich nicht vordergründig politisch engagiert, leistet einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft“, erklärt Vorstandsmitglied Jessica Messinger, die hauptamtlich bei der DGB-Jugend arbeitet. Fußballtrainer sein, Chorproben leiten: Das sei ebenfalls gesellschaftliches Engagement. Vor allem in Zeiten, in denen Individualität vorherrsche und Kinder mit einem starken Konkurrenzdenken aufwachsen. „Wir rechnen es Jugendlichen hoch an, wenn sie sich engagieren“, so Messinger. Die Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement hätten sich mit der G8-Reform und dem Bologna-Prozess verändert, stellt Schell fest. Schulbildung sei wichtig, aber nicht alles. „Wie Wahlen theoretisch funktionieren, lernen die Jugendlichen in der Schule. Aber die praktische Umsetzung von Demokratie findet in Vereinen statt“, sagt der Geschäftsführer.