Themenschwerpunkt Holz (2): Das Nagolder Start-up Tapio hat es binnen zwei Jahren geschafft, die Branche rund um das Naturprodukt Holz zu digitalisieren.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Nagold - Holz ist ein äußerst vielfältiger Werkstoff und wird ebenfalls auf vielfältige Weise verarbeitet. Und genau dies schafft die Grundlage für das innovative Geschäftsmodell des Start-ups Tapio aus Nagold: Es bringt die Akteure rund um die Holzverarbeitung auf einer digitalen Plattform zusammen. Benannt ist Tapio nach dem gleichnamigen finnischen Waldgott – und „Tap“ steht im Englischen fürs Tippen am Computer.

 

„Das geht von Leichtbau über Holzspanwerkstoffe bis hin zum Massivholz“ – so beschreibt Verkaufschef Julian Spöcker die Bandbreite der Holzverarbeitung. Daraus ergibt sich eine Vielzahl an Fertigungsverfahren. „Um diese zu realisieren, arbeiten die holzverarbeitenden Unternehmen oft eng mit vielen Herstellern zusammen,“ sagt er. Der Werkstoff liegt im Trend, aber die Produktionswelt rund um das Holz ist komplex – und bietet sich deshalb für die Digitalisierung geradezu an.

Holz liegt im Trend, aber die Produktion ist komplex

Wenn Spöcker bei seiner Präsentation das Symbolbild einer Möbelfabrik zeigt, kann man dort 14 unterschiedliche Produktionssegmente erkennen. Möbel sind gerade in Deutschland individuelle Lifestyle-Produkte, die eine sehr flexible Produktion verlangen. „Bei der Fertigung eines Möbelstücks gibt es sehr viele Teilnehmer“, sagt Spöcker. Das Start-up richtet sich dabei nicht an die Möbelhersteller und Holzverarbeiter selbst, sondern in erster Linie an die Anbieter der nötigen Maschinen, der Werkzeuge und der Zuliefermaterialien.

Für diese Unternehmen hat man eine einheitliche, digitale Plattform aufgebaut. Die dort angebotenen IT-Lösungen reichen von Ausbildungsvideos für Maschinenbediener über die laufende Überwachung der Maschinen per App bis hin zur Datenanalyse für die Wartung oder die Reparatur. Live-Maschinendaten auf dem Smartphone oder die Möglichkeit, einen Wartungstechniker per Video zuzuschalten, gehören dazu. Die Kunden haben die Möglichkeit, ihre Anwendungen individuell anzupassen.

In zwei Jahren eine umfassende Plattform etabliert

Mit diesem Ansatz, der die Segmente Produktionssteuerung und -optimierung, Service sowie Werkzeug- und Materialverwaltung umfasst, ist man seit der Gründung vor zwei Jahren schnell ein führender Anbieter in diesem Bereich geworden. „Wir haben ein sehr breites Kundenspektrum, vom Schreiner bis zum Fließbandhersteller“, sagt Spöcker. Inzwischen sind 38 Firmen aus der Holzbranche Partner auf der Plattform – vom Sägemaschinenbauer bis zum Klebstoffproduzenten.

Tapio vom Rande des Schwarzwalds ist ein Beispiel für ein Start-up, welches das vom baden-württembergischen Mittelstand geprägte Prinzip des heimlichen Weltmarktführers in das digitale Zeitalter überträgt. Dank der vereinheitlichten Schnittstellen und Prozesse von Tapio kann in der Holzbranche ein sogenanntes Ökosystem entstehen, das Hersteller und Kunden verknüpft. „Wir bauen eine digitale Umwelt, in der man alle Informationen wiederfindet, sie kombinieren und gewinnbringend nutzen kann“, sagt Spöcker. Man arbeitet dabei mit sogenannten digitalen Zwillingen. Maschinen oder Prozesse bekommen ihr digitales Pendant, das alle relevanten Daten vereinigt.

Das Start-up agiert herstellerneutral

Zwar versuchten einzelne Hersteller ihre eigenen Plattformen aufzubauen, sagt Spöcker; doch wenn ein herstellerunabhängiges Start-up eine solche IT-Basis für die ganze Branche entwickele, sei dies effizienter und nutzerfreundlicher: „Tapio schafft einheitliche Services für die Holzbranche. Zum Beispiel hat jede Softwareanwendung bei uns den gleichen Log-in.“ Der Schlüssel für einen solchen Plattformanbieter ist, dass er möglichst schnell das in seinem Bereich dominierende Angebot etabliert. Die mittelständische Struktur der Holzbranche kommt dem Start-up dabei zugute. Es gibt im Gegensatz zur Autoproduktion keine großen Konzerne, die den Markt dominieren und den Takt angeben. „Die Branche ist für ein solches Modell offen“, sagt Spöcker. Im vergangenen Jahr wurde man vom Berliner Start-up-Wettbewerb „The Hundert“ von einer 42-köpfigen, prominenten Jury als eines der 100 innovativsten Start-ups in Deutschland ausgezeichnet.

Standort in der Provinz ist kein Nachteil

Nagold ist der Standort, weil es in der Region einen etablierten Mittelstand für die Technologie der Holzverarbeitung gibt. Der Kern des Gründerteams war in der Region zuvor bei einem Weltmarktführer für Holzverarbeitungsmaschinen angestellt. Einen vorübergehenden Ausflug des Unternehmens nach München hat man schnell wieder beendet. Dort wollte man davon profitieren, dass IT-Talente in einer Metropole leichter zu rekrutieren sind. Doch in der bayerischen Hauptstadt war man ein kleiner Fisch im großen Teich. In Nagold hingegen ist man für die Kunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz ein naher Partner. „In der Region wird viel vom Konsum in Möbel gesteckt – und deswegen gibt es dort viele Hersteller“, sagt Spöcker.