Auf der Suche nach einem passenden Namen für die Esslinger Südtangente ist die Automobilpionierin Bertha Benz wegen ihrer Nähe zu Nazi-Größen aus dem Rennen. Aber auch die nun favorisierte Lösung birgt Sprengstoff.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Esslingen - Die Zeit drängt. Denn die Menschen, die seit einigen Wochen die ersten Wohnungen in der Esslinger Neuen Weststadt bezogen haben, haben ein großes Problem. Wenn sie zur Stadt gehen, um ihre Papiere zu ändern, bekommen sie momentan lediglich schriftlich bestätigt, dass sie sich ordnungsgemäß in Esslingen angemeldet haben. Der Hintergrund: bei der im Volksmund als Südtangente bezeichneten neuen Umgehungsstraße entlang der Bahnlinie auf dem ehemaligen Güterbahnhofsareal handelt es sich nicht um einen anerkannten, rechtlich bindenden Straßennamen. Die offizielle Namensgebung steht noch aus. Am Montag soll es im Gemeinderat dann so weit sein.

 

ME hat 2300 Zwangsarbeiter und 373 Kriegsgefangene beschäftigt

Aus der nichtöffentlichen Sitzung des Verwaltungsausschusses ist an die Öffentlichkeit gedrungen, dass der Name so gut wie fest steht. Und der birgt Sprengstoff: Denn die Südtangente soll nicht, wie zunächst geplant, einen Frauennamen bekommen und in Zukunft Bertha-Benz-Straße heißen. Wegen der Nähe der Automobilpionierin zu Größen des Dritten Reichs hat in der Sitzung der Esslinger Stadtarchivar Joachim Halbekann von dieser Lösung abgeraten. Statt dessen soll Esslingen nun eine Maschinenfabrik-Esslingen-Straße erhalten. Die Tatsache, dass auch die Maschinenfabrik Esslingen (ME) im Dritten Reich enge Kontakte zum Nazi-Regime hatte und für dieses mit mehr als 2300 Zwangsarbeitern und 373 Kriegsgefangenen auch Kriegsmaterial produziert hat, ist aus Sicht von Halbekann zu vernachlässigen.

Vielmehr werde mit der Maschinenfabrik-Esslingen-Straße eines Unternehmens gedacht, dessen „unleugbare und überragende Bedeutung für die Geschichte Esslingens im 19. und 20. Jahrhundert und darüber hinaus“ in der Stadt bisher nicht ausreichend gewürdigt worden sei. Entscheide sich der Gemeinderat für diesen Vorschlag, wähle man einen „vollkommen spezifischen, auf die Stadt abgestimmten Namen“. Die Südtangente sei auch deshalb der ideale Ort, weil sie dort sei, wo „sich mehr oder weniger die erste Maschinenfabrik ab 1846 bis zum Wegzug 1913 von Esslingen nach Mettingen befand.“

Die Maschinenfabrik war nicht „genuin ein Rüstungsunternehmen“

Halbekann räumt ein, dass die Maschinenfabrik in den 130 Jahren ihres Bestehens „nachhaltig und intensiv auch in den Schuldtatbeständen eingebunden war: Rüstungsproduktion, Zwangsarbeit und so weiter.“ Aber: die ME sei nicht „genuin ein Rüstungsunternehmen, sondern zunächst eine Lokomotivwerkstatt gewesen“. Zudem sei die Geschichte eines Unternehmens „etwas völlig anderes als die Haltung einer natürlichen Person oder deren Verstrickung in Unrecht“.

Dieser Meinung hat sich dem Vernehmen nach in der Ausschusssitzung eine breite Mehrheit – mit Ausnahme der Grünen – angeschlossen. Allerdings wird das Thema am Montag in der letzten Sitzung des Gemeinderats in diesem Jahr noch einmal aufgerufen. Die Stadträte haben also die Chance, darüber nachzudenken, ob es Alternativen gibt. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Koch hat jedenfalls angekündigt, das Wochenende nutzen zu wollen, um mit seinen SPD-Stadtratkollegen noch einmal über das Thema zu reden.