In Stuttgart-Möhringen gibt es elf nette Toiletten, im Nachbarstadtbezirk Stuttgart-Vaihingen sind es acht. Warum ist das Projekt für die Stadt und die beteiligten Gastronomiebetriebe eine Win-win-Situation?

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Möhringen/Vaihingen - Öffentliche Toiletten in Litfaßsäulen sind vielen Menschen unheimlich. Ulrich Klingele war vor einiger Zeit mit seinem Vater unterwegs. Er sei Ingenieur, aber auf dieses stille Örtchen habe er trotz aller Not nicht gehen wollen. Zu groß sei seine Angst gewesen, da nicht wieder rauszukommen, berichtet der Mann vom Stadtseniorenrat. Und irgendwie könne er diese Skepsis auch verstehen. Doch nicht nur ältere Menschen misstrauen der Technik. Und nicht nur Senioren brauchen unterwegs mal eine öffentliche Toilette. Doch diese sind in Stuttgart rar, insbesondere in den Außenbezirken.

 

Das wollte Ingrid Schulte vom Stadtseniorenrat ändern. Bereits 2013 ergriff sie die Initiative und regte das Projekt Nette Toilette an. Das gibt es in mehr als 200 Städten und Gemeinden in Deutschland, Frankreich und der Schweiz schon seit Jahren. Das Prinzip ist einfach: Gastronomiebetriebe und öffentliche Einrichtungen stellen ihre WCs zur Verfügung – und zwar jedem und nicht nur ihren Kunden. Ein Schild am Eingang weist darauf hin. Zudem geben Symbole an, ob die Toilette barrierefrei ist und ob es auch einen Wickeltisch gibt. Im Gegenzug bekommen die Gastronomen für die zusätzlich entstehenden Kosten insbesondere für die Reinigung eine Aufwandsentschädigung von der Stadt. In der Landeshauptstadt Stuttgart sind es 50 Euro im Monat.

Ein Schnäppchen für die Stadt

Für die Stadt ist es also ein Schnäppchen. Denn das Errichten einer Automatiksäulen-Toilette kostet im Vergleich dazu 300 000 Euro. Hinzu kommen die jährlichen Betriebskosten. Doch weil es auch die Netten Toiletten nicht zum Nulltarif gibt, musste das Projekt zunächst durch den Gemeinderat. Dieser hat im aktuellen Doppelhaushalt 30 000 Euro zur Verfügung gestellt. Damit werden zunächst 30 Toiletten in vier Pilotbezirken finanziert. Darunter sind neben Möhringen und Vaihingen noch Stammheim und Untertürkheim. Der Stuttgarter Verwaltungsbürgermeister Fabian Mayer hat am Montagmorgen ganz offiziell den ersten Nette-Toilette-Aufkleber auf ein Schaufenster geklebt, und zwar beim Backhaus Veit im Einkaufszentrum am Europaplatz 20.

Das kleine Café ist ein Treffpunkt. An den Tischen sitzen oft Menschen mit Behinderung, die vom Bhz auf eine Tasse Kaffee und eine Brezel herüberkommen. Und auch Mütter mit kleinen Kindern sind häufig zu Gast. Bärbel Meizler, Bezirksleiterin bei der Bäckerei Veit, und ihr Team sind darauf eingestellt. So gibt es zum Beispiel eine Spielecke für die Kleinen. Und die Toilette durfte schon immer jeder nutzen. Dennoch mache das Schild am Schaufenster einen Unterschied, betont Mayer. „Die Hemmschwelle ist damit niedriger“, sagt der Verwaltungsbürgermeister. Denn nicht jeder habe den Mut zu fragen, ob er mal kurz auf die Toilette gehen dürfe.

Fragen muss man aber nach wie vor, denn den Schlüssel zum WC gibt es bei den Verkäuferinnen. Auf diese Weise bleiben die Toiletten sauberer, sagt Bärbel Meizler. Sie hatte sich sofort dazu bereit erklärt, bei dem Projekt Nette Toilette mitzumachen. Dabei geht es ihr nicht ums Geld: „Wenn die Leute sowieso wissen, dass sie unsere Toilette nutzen dürfen, dann können wir das auch öffentlich und ganz offiziell machen“, sagt die Bezirksleiterin.

Ein Imagegewinn für Gastronomen

Auch andere Gastromoniebetriebe in Möhringen hätten erkannt, dass eine Nette Toilette durchaus ein Imagegewinn sein könne, ergänzt Klingele. Allerdings sei diese Erkenntnis nur langsam gereift. Bereits im Februar 2017 machte sich der Stadtseniorenrat auf die Suche nach Gastronomiebetrieben, die mitmachen wollen. „Zunächst lief das nur schleppend. Aber am Ende habe ich sogar Anrufe bekommen, von Cafés und Restaurants, die sich beteiligen wollen. Der Stadtseniorenrat hat darauf geachtet, dass sich die Netten Toiletten gut über den Bezirk verteilen und es ein Angebot in allen Stadtteilen gibt. In Möhringen gibt es insgesamt elf Nette Toiletten, im Nachbarstadtbezirk Vaihingen sind es immerhin acht kostenlose öffentliche WCs.

Ob das Projekt über das Jahr 2019 hinaus fortgesetzt werden kann, ist noch mit einem Fragezeichen versehen. Aber nur mit einem ganz kleinen, wie Mayer betont. Fakt ist, dass der Gemeinderat wieder eine entsprechende Summe im Doppelhaushalt einstellen muss. Der Verwaltungsbürgermeister glaubt nicht, dass jemand was dagegen hat. Denn die Netten Toiletten seien von Anfang an unstrittig gewesen. Nach Abschluss der Pilotphase wird ausgewertet, ob das Projekt ausgeweitet werden soll. Über alle Standorte der Netten Toiletten informieren ein Faltblatt der Stadt sowie eine kostenlose App fürs Handy, erhältlich unter www.die-nette-toilette.de.