Die Proteste in der Ukraine haben sich am Streit über ein Abkommen mit der EU entzündet. Deshalb sieht sich die Gemeinschaft in der Verantwortung. Doch bevor Geld fließ, soll es echte Reformen in der Ukraine geben.

Kiew - Jetzt muss es schnell gehen, das ist allen Akteuren in Brüssel klar. Die üblichen langwierigen Entscheidungsprozesse der Europäischen Union wären in dieser fragilen Lage, in der sich die Ukraine nach der Absetzung des Präsidenten und wenige Wochen vor der Zahlungsunfähigkeit gegenüber ihren Kreditgebern befindet, fehl am Platz. „Das Fenster der Gelegenheit steht nun weit offen, um die Dinge in der Ukraine zum Guten zu wenden“, sagt ein EU-Diplomat: „Wir müssen es jetzt einfach nutzen.“ Aus diesem Grund, so ist zu hören, wird die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton schon am heutigen Montag nach Kiew reisen, um über Elemente des künftigen europäischen Engagements in der Ukraine zu sprechen.

 

Kurzfristig geht es um viel Geld. Damit soll das Land, das Mitte März Staatsanleihen in einem Umfang von bis zu 20 Milliarden Euro bedienen muss, vor dem Bankrott bewahrt werden. Um die Pleite zu verhindern, hatte der nun abgesetzte Viktor Janukowitsch vom russischen Präsidenten Wladimir Putin die Zusage bekommen, dass Moskau ukrainische Bonds im Wert von umgerechnet 15 Milliarden Euro aufkaufen würde. Ob diese Zusage mit den neuen Machtverhältnissen in Kiew noch Bestand hat, ist sehr fraglich – zumal die russische Regierung schon am Tag nach dem Umsturz die zweite Hilfstranche auf Eis gelegt hat.

Die Finanzhilfen des Westens sind milliardenschwer

Die Europäische Union bereitet daher schon seit Wochen ein Hilfspaket vor. Man müsse angesichts der nun bevorstehenden Herausforderungen für die Ukraine dafür Sorge tragen, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier schon Anfang Februar, „dass dieser schwierige Weg nicht in einem wirtschaftlichen Desaster endet“. Am Wochenende twitterte der britische Chefdiplomat William Hague bereits, er sei sich „mit Steinmeier einig“, dass sie sich zusammen „für ein lebenswichtiges Finanzhilfepaket des IWF einsetzen“ würden. Ashtons Sprecherin sagte am Sonntag, ein solches würde „derzeit in Erwägung gezogen“.Dessen Umrisse sind klar. Bei den ausgesetzten Gesprächen zwischen der Ukraine und dem Internationalen Währungsfonds war es schon einmal um ein Hilfsprogramm in einer Größenordnung von 15 Milliarden Euro gegangen. Bis zu fünf weitere Milliarden müssten nun von den EU-Banken wie der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg und der Osteuropabank in London kommen, forderte der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung: „Und wir müssen schauen, ob die Amerikaner endlich etwas tun oder nur große Reden halten.“

Entscheidend wird sein, dass es jemanden gibt, mit dem über Finanzhilfen verhandelt werden kann. „Deshalb ist die Bildung einer Koalitionsregierung in den nächsten zehn Tagen so wichtig“, sagt Brok. Dies war Teil der Vereinbarung, die noch Janukowitsch mit der Opposition geschlossen hatte.

Die EU pocht auf radikale Reformen

Die mittel- und langfristige Hilfe dürfte dann schon mit den neuen Machthabern besprochen werden, die aus den nun für den 25. Mai angesetzten Neuwahlen hervorgehen. Spätestens dann wird es darum gehen, ob die Ukraine doch das Partnerschafts- wie das Freihandelsabkommen mit der EU unterzeichnet, deren Scheitern die Maidan-Revolution mit ausgelöst hatten. Die Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, Rebecca Harms, fordert, auch Visumerleichterungen zu vereinbaren: „Die Ukrainer brauchen Reisefreiheit.“Bis dahin will die Gemeinschaft sicherstellen, dass die Wahlen wirklich frei und fair abgehalten werden können. „Wir brauchen eine dauerhafte Lösung der politischen Krise“, teilte die Außenbeauftragte Ashton mit. „Dies muss eine Verfassungsreform enthalten“, so die Britin weiter, „und die Schaffung der richtigen Bedingungen für demokratische Wahlen.“ Manipulierte Wahlen dürfe es, so der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff, „in der jetzigen Lage nicht erneut geben“.

Viele der notwendigen Gesetzesänderungen, die nötig sind, damit sich die jeweilige herrschende Partei nicht bereichern kann, liegen vor. Denn auch die Verfassung von 2004, zu der die Ukraine laut einem Parlamentsbeschluss vom Wochenende nun zurückkehrt, ist „dafür nicht gut genug“, wie ein EU-Diplomat an der Vertretung der Gemeinschaft in Kiew dieser Zeitung am Sonntag sagte. Zusammen mit den ukrainischen Behörden habe man eine Reform der Staatsanwaltschaft, der Gerichtsbarkeit und der Wahlkommission jedoch schon vorbereitet – „finanziert vom europäischen Steuerzahler“, wie der Diplomat ergänzte: „Wir müssen jetzt darauf dringen, dass sich das politische System wirklich ändert und nicht nur Namen ausgetauscht werden.“

Die EU könnte erneut auf das falsche Pferd setzen

Diese Sorge treibt viele Diplomaten derzeit um – erst recht nach der triumphalen Rückkehr der ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko aus der Haft, deren Vertrauter Olexander Turtschinow vom Parlament in Kiew zum Übergangspräsidenten bestimmt wurde. „Es besteht die Gefahr, dass die EU erneut auf das falsche Pferd setzt“, sagte ein EU-Diplomat im Blick darauf, dass vor allem die Europäische Volkspartei, der auch die deutsche CDU angehört, erst viel zu lange mit Janukowitsch verhandelte und nun voll auf Timoschenko zu setzen scheint. Tatsächlich berichtete ein Sprecher von Timoschenkos Partei Vaterland, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Telefonat mit der lange Inhaftierten Unterstützung in Aussicht gestellt habe.

Man darf also gespannt sein, mit wem die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am heutigen Montag zuerst und am längsten redet.