Das Verbot des türkischen Boxclubs Osmanen Germania sorgt bundesweit für Aufsehen. Doch der Innenminister Hors Seehofer (CSU) liefert kaum Begründungen für sein Handeln.

Stuttgart - In den frühen Morgenstunden sind am Dienstag in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz Polizisten ausgerückt, um das Verbot des türkischen Boxclubs Osmanen Germania umzusetzen. Dieses hat der Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erlassen, weil er eine „schwerwiegende Gefährdung für die Allgemeinheit“ befürchtet.

 

Allein in Baden-Württemberg sind acht Gebäude durchsucht worden, 90 Polizisten waren im Einsatz. „Es wurden Objekte in Forst, Jettingen, Heilbronn, Crailsheim, Wannweil, Niefern-Öschelbronn und Horb durchsucht“, teilte der Sprecher des Innenministeriums, mit. 62 Mitgliedern der Osmanen wurde die Verbotsverfügung zugestellt, zudem wurden Waffen und Geld in großem Stil beschlagnahmt.

Gut 60 Anhänger in Baden-Württemberg

Bei den Osmanen Germania BC handelt es sich um einen 2015 in Frankfurt/Main entstandenen rockerähnlichen Club, der schnell gewachsen ist, einige Chapter wurden aber bereits wieder aufgelöst. Nach eigenen Angaben hatte er bis zum Verbot 2000 Mitglieder, die Behörden sprechen von aktuell 160 bis 300 Anhängern, vorwiegend mit türkischen Wurzeln. In Baden-Württemberg soll es sechs Chapter (Ortsgruppen) mit gut 60 Anhängern geben. Gegründet wurde der Boxclub von dem ehemaligen Kickboxer Mehmet Bagci (46), der wie sein Stellvertreter Selcuk Sahin seit Juli 2017 in Haft sitzt und sich seit April in einem Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten muss.

Nach ihrem offiziellen Selbstbild holen die Osmanen Jugendliche mit Problemen von der Straße. „Tatsächlich aber liegt der Zweck in gewalttätiger Gebiets- und Machtentfaltung“, erklärte das Bundesinnenministerium. In der Region Stuttgart fiel der Club durch blutige Straßenkämpfe mit Anhängern kurdischer Gruppen auf.

Durch das Verbot ist der Verein aufgelöst, er darf auch nicht in anderer Organisationsform weitergeführt werden. Bei einer Razzia im März dieses Jahres mit 1000 Beamten ist dieser Schritt vorbereitet worden, dabei wurden auch die Zellen der inhaftierten Führungskräfte in Stuttgart-Stammheim durchsucht. Im Südwesten haben Polizei und Landeskriminalamt mit der Ermittlungsgruppe „Meteor“ schon vor zwei Jahren darauf gesetzt, die Aktivitäten gegen die Osmanen zu bündeln und offensiv einzugreifen.Offen bleibt die Frage, warum das Verbot gerade jetzt erfolgte. Horst Seehofer gab bei seiner Pressekonferenz in Berlin zwar zwei Stunden zum Flüchtlings-Masterplan Auskunft. Beim Verbot der Osmanen wurde er hingegen auffallend wortkarg. Vielleicht, um die am Dienstag noch laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden. Vielleicht auch, um mögliche Belastungen des deutsch-türkischen Verhältnisses zu vermeiden. Bei dem Thema zeigte sich der Minister ausgesprochen zugeknöpft. Zu den türkischen Reaktionen wolle er gar nichts sagen. Nur so viel überhaupt zum Sachverhalt: „Wir sind überzeugt, dass es notwendig war.“ Doch es folgte noch eine Nachfrage zu den Gründen des Verbots. Diesmal schob Seehofer einen Halbsatz hinterher: „Weil wir schwerwiegende Auswirkungen auf die Allgemeinheit fürchten.“ Ins Detail ging er nicht.

Wortkarge Begründungen von Horst Seehofer

Hinweise auf Verbindungen zu Erdogan

Dabei haben sich in den vergangenen Wochen die Anzeichen verdichtet, dass es Verbindungen von den Osmanen Germania über den türkischen Kulturverein UID (früher UETD) und den türkischen Geheimdienst zur Regierungspartei AKP von Recep Tayyip Erdogan gibt. Diese Einschätzung teilt auch das Innenministerium in Nordrhein-Westfalen. Und der hessische Innenminister bestätigte kürzlich auf Anfrage der FDP im Landtag erstmals, dass der Staatsanwaltschaft Darmstadt solche Kontakte bekannt seien und dass der Kulturverein UID die Osmanen für seine Zwecke einspanne. Weiter sagte der hessische Innenminister: „Es haben sich Hinweise auf ein Treffen zwischen Mitarbeitern des türkischen Geheimdienstes MIT und hochrangiger Mitglieder der Osmanen Germania ergeben.“ Das Ermittlungsverfahren zu konkreten Absprachen oder gar Waffenlieferungen an den Boxclub sei aber eingestellt worden.Diese politischen Verbindungen spielen in dem großen Osmanen-Prozess im Saal der Justizvollzugsanstalt Stammheim keine Rolle. Dabei geht es um Vorwürfe wie Mordversuch, schwere Gewalttaten und Menschenhandel – und die Frage, welche Rolle dabei die Führung des Boxclubs spielt.

Gegen den früheren Präsidenten Mehmet Bagci und seinen Ex-Vize Selcuk Sahin hat parallel dazu die Staatsanwaltschaft Darmstadt Anklage wegen gewerbs- und bandenmäßigen Diebstahls und Hehlerei erhoben. Die Ermittler werfen dabei neun Osmanen im Alter von 28 bis 59 Jahren vor, 67-mal von zwei Firmengeländen in Hessen Europaletten und Gitterboxen gestohlen und diese weiterverkauft zu haben, der Schaden soll sich auf gut 80 000 Euro belaufen.

Unterstützung von CDU und Grünen im Land

Politisch bekommt Seehofer für das Vereinsverbot Rückendeckung. Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte: „Wir dulden keine Gewaltexzesse von rockerähnlichen Gruppierungen.“ Und der Grünen-Landtagsabgeordnete David Fischer betonte: „Mit harter Hand gegen Erdogans mutmaßliche kriminelle Handlanger vorzugehen ist genau der richtige Weg.“ Ein Verbot allein löse das Problem allerdings nicht, man müsse weiter entschieden gegen „nationalistische Ideen“ vorgehen, egal aus welcher Ecke.

Einige gehen aber noch weiter – und fordern, Licht ins Dunkel der Kontakte nach Ankara zu bringen. Die Linke-Abgeordnete Sevim Dagdelen hat dazu mehrere Anfragen im Bundestag laufen – bislang halten sich die Ministerien dazu allerdings bedeckt.

Klar ist: Durch das Verbot wächst der Druck auf die Gruppierung, die sich nun nicht mehr offiziell betätigen darf. Auch mögliche Finanzströme werden gekappt – der bislang legal auftretende Kulturverein UID etwa darf keine Kontakte mehr zu dem Club unterhalten. Experten gehen allerdings davon aus, dass sich die Aktivitäten in den Untergrund verlagern.